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Der alte Kaiser

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Der alte Kaiser — Franz Joseph I. Vom Berliner Kongreß bis zu seinem Tode. Von Cäsar Conte Corti und Hans Sokol. Mit 53 Abbildungen nach bisher vielfach unbekannten Originalen. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln 1955. 491 Seiten. Ganzleinen. Preis 125.40 S

In dem ungemein vielseitigen Lebenswerk des österreichischen Historiographen Egon Cäsar Conte Corti nimmt die Biographie Franz Josephs eine zentrale Stellung ein. Das literarische Denkmal, das er dem Kaiser setzen wollte, hätte drei Bände umfassen sollen. Die beiden ersten sind 1951 und 1952 erschienen: „Vom Kind zum Kaiser“ (1830 bis 1848) und „Mensch und Herrscher“ (1848 bis 1878). Für den dritten Band: „Der alte Kaiser“ (1878 bis 1916) waren bloß Notizen und Arbeitsskizzen vorhanden, als die Landgräfin Margarethe von Hessen dem Autor den Briefwechsel und die Tagebücher ihrer Mutter, der deutschen Kaiserin Friedrich, zur Verfügung stellte. Corti fühlte sich von dem europäischen Thema, das ihm die Landgräfin von Hessen nahelegte, derart fasziniert, daß er sich sogleich diesem Gegenstand zuwandte und die Arbeit an dem dritten Bande „Franz Joseph“ vertagte. So entstand das Buch unter dem Titel „Wenn ...“ Als es so gut wie. vollendet war, starb Corti am 17. September 195 3. „Der alte Kaiser“ war nicht mehr geschrieben worden. Cortis Witwe, die ihren Gatten nur um 50 Wochen überlebte, faßte nach zwei nicht geglückten Versuclmi kurz vor ihrem Tode auf den Rat von Professor Dr. Schöndorfer den Entschluß, Hans Sokol zu ersuchen, dieses Werk zu schreiben.

Sokol, der sich als Marineschriftsteller bereits sehr bewährt hatte, unternahm es nun, mit den Aufzeichnungen des Verstorbenen und nach- ergänzenden eigenen Vorarbeiten, die große Trilogie durch den letzten Band im Sinne und Stile Cortis zu vollenden. Zu einer sehr mühevollen eigenen Aktivität trat jetzt noch, wenn man so sagen darf, das gewollt Passive, sich der Art anzugleichen, in der Corti konzipiert und geschrieben hatte. Sokol wählte wie sein Vorgänger die sprachliche Gegenwartsform und, was noch viel bedeutungsvoller und wichtiger war, er versuchte, in seinem Werke jenes Wesentliche fortzusetzen, aus dem das Phänomen des Autors Corti bestanden hatte: Wissenschaftlich Grundlegendes so auszusagen, daß es der Anteilnahme des großen Publikums sicher ist.

Diese ungemein schweren Aufgaben hat Sokol erfüllt. Wenn wir, wie wir annehmen möchten, im

Sinne Cortis etwas einzuwenden haben, so ist es nur das eine: Sokol ließ der Persönlichkeit des Kaisers nicht den Vorrang, den wir in einer biographischen Schrift erwartet hätten; der Politik, insbesondere der Innenpolitik, wird zu großer Raum gewidmet, so daß der Leser hier doch eher eine Geschichte Oesterreich-Ungarns als eine Lebensbeschreibung Franz Josephs findet. Man verstehe uns recht: Das Buch sagt zwar viel über den Kaiser selbst aus, aber noch mehr über die allgemeine Geschichte seines Reiches.

Stärker als dieser an sich nicht entscheidende Einwand muß jedoch die volle Anerkennung für die literarische Gestaltung der Erscheinung Franz Josephs sein. Wir begegnen in dem dAtten Bande dem Kaiser als dem Menschen, der auf der Höhe der Erfahrung und der Lebenserkenntnis den Weg eingeschlagen hat, der ihn nach schweren Rückschlägen der äußeren Politik zum Bewahrer des Ueberkommenen werden läßt, zum Herrscher, der ohne weithin leuchtende Triumphe im Rahmen des von ihm streng beachteten Konstitutionellen den Völkern seines Reiches alle Möglichkeiten geistiger und materieller Entfaltung sichert. Erst unter dem reifen und alten Kaiser konnte das francisco-josephinische Zeitalter entstehen. Hier geht es um Tatsachen, die wir heute klarer überblicken können als Franz Josephs eigene Zeitgenossen. Der Autor zeigt uns die Fähigkeiten des Lavierens und Beharrens, mit denen der Monarch auf die nationalen und sozialen Strömungen reagiert. Wir erfreuen uns an Sokols Herzenswärme und wahrhaft vorbildlichem Takt bei der Darstellung der tragischen Ereignisse in Franz Josephs Familie. •

Wie Corti gliedert auch Sokol den Stoff in gut gegeneinander abgewogene Kapitel und belebt den Text durch Kolumnentitel auf jeder Seite. Das Namensregister wird dem historisch tiefer Interessierten die Benützung des Werkes erleichtern. Einen besonderen Schmuck des Buches ergeben die Bilder. Nur wenige unter ihnen sind bekannt. Die meisten findet man hier zum erstenmal, sie eröffnen uns reizvolle Einblicke ins Persönliche.

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