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Der Heros auf dem Thron

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benteurer oder Märchenprinzen im Bettelrock ...

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benteurer oder Märchenprinzen im Bettelrock ...

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Diese Sätze stehen in der Monographie „Kaiser Friedrich der Zweite“ von Ernst von Kantorowicz, und wer dieses große Buch in festlich-feierlichem Dunkelblau mit goldgeprägtem Titel in die Hand nimmt, der rührt an ein Kapitel deutscher Geistesgeschichte, das, obwohl erst ein knappes halbes Jahrhundert zurückliegend, den jüngeren Menschen von heute so fremd und fern ist wie Atlantis. Wir meinen jene Werke der Wissenschaft, später „Werk der Schau und Forschung aus dem Kreis der Blätter für die Kunst“, deren Autoren sich zu Stefan George bekannten und den weiteren „Kreis“ bildeten; deren neuer Stil der Darstellung von Georges Werk und Geist inspiriert war, und die ihre Kraft aus; einer geistigen Gemeinschaft bezogen,. wie es sie seither nicht mehr gegeben hat. In einer Zeit des Positivtemu^, als Max Weber die Freiheit der Wissenschaft von allen Werten deklarierte, erschienen, wie durch einen Zauber heraufgerufen, eine Reihe von Büchern, deren Gestalten mit ihrer unversehrten Lebendigkeit und rätselvollen Undurchdringlichkeit an den Schwung und die Idealität der Romantiker erinnerten. Geistige Weite und sinnliche Dichte kennzeichnen diese Darstellungen, deren Sprache zugleich glühend bewegt und von gehaltener Nüchternheit ist. Ohne populär zu sein, werden die Schranken der Fachliteratur durchbrochen. Die Ehrfurcht vor der leiblich-geistigen Gestalt ist gepaart mit dem Wissen um Rang und Größe. Auffallend ist ferner, wie die wahllose Beschäftigung mit dem Stoff vermieden wird und die Glieder der Entwicklung, die eigentlichen Lieblingskinder der Philologen, unbeachtet bleiben. Wir meinen die Werke von Friedrich Gundolf über Caesar (Die Geschichte seines Ruhmes), „Shakespeare und der deutsche Geist“, „Goethe“ die „Romantiker“ und „Stefan George“. Wir denken an Ernst Bertrams „Nietzsche“, an Berthold Valentins „Napoleon“, Max Kommereils „Der Dichter ajs Führer“ und einige andere. * Einer der jüngsten Wissenschaftler aus diesem Kreis war Emst von Kantorowicz. 1895 in Posen geboren, kam er nach dem Kriegsdienst und kurzer Studienzeit in München nach Heidelberg, wo er von 1920 bis 1921 bei dem mit George befreundeten Eberhard Gothein dissertierte. Bereits 1930 wurde er auf Grund seines Opus magnum, der Monographie über Kaiser Friedrich II., Honorarprofessor für Geschichte an der Universität Frankfurt. Die erste Anregung mag er durch die Verse Georges über „Die Gräber in Speyer“ empfangen haben, wo es heißt: „Der größte Friedrich, wahren Volkes Sehnen ... Des Morgenlandes ungeheuren Traum, Weisheit der Kabbala und Römerwürde, Feste von Agri-gent und Selinunt...“ Diese große und herrscherliche Gestalt, der dämonische Tatstoff dieses Lebens, in dem Germanentum, antikes Erbe und Christentum eine einzigartige Synthese eingegangen sind, der Staufer, von Jugend auf als ein Auserwählter gefeiert und gespannt das große Ziel vor Augen: durch seine Taten die alte Cäsaren- und Römergröße zu verwirklichen; der, von seinem leidenschaftlichen Willen getrieben, stolz sein Reich durchwanderte, „David in Syrien, Guiskard in Sizilien und Karl in Deutschland,“ wie ein zeitgenössischer Dichter ihn pries, thronend in Palermo, das er über alles liebte, in Aachen, Worms, Mainz und Jerusalem: er mußte dem jungen, durch George Stärkstens beeindruckten Gelehrten als der Heros auf dem Thron erscheinen. Friedrichs universales Denken, seine weltweite Bildung, besonders aber die westöstliche Synthese: — hier fanden

Kantorowiczs Fähigkeiten: sein durchdringender Verstand, seine großartige und lebendige Anschauung der Geschichte, die Kraft zur Synthese und seine hochgestimmte Sprache einen adäquaten Gegenstand.

Von dem jungen Gelehrten, der damals in der Heidelberger Wohnung seines Freundes Waldemar Graf Üx-küll lebte, dem das Buch gewidmet ist und bei dem George häufig einkehrte, sagte der Meister damals, er sei was die Franzosen einen Chevalier genannt hätten, und er sei es so ganz, wie man ihn nicht mehr sehe: geschmeidig und doch männlich-fest, weltmännisch, elegant in Kleidung, Geste und Sprache, habe Kantorowicz etwas von einem Florettfechter...

Urteil erfordert Rang. Wer dieses Buch liest, wird die Maxime begreifen. Zuweilen meint man, Georges Tonfall herauszuhören, und in der Tat sind die Druckbogen sowohl von George wie von mehreren seiner Freunde (die Kantorowicz gar nicht alle kannte) mit dem Stift in der Hand mitgelesen worden. — Da sich zunächst kein Verleger fand, wurde das große Werk auf Georges Risiko bei Bondi gedruckt. 1927 erschien die erste Auflage, bald folgten neue Ausgaben, 1931 kam der Ergänzungsband heraus, durch den dokumentiert wurde, daß diese jungen Wissenschaftler besser gerüstet waren als viele ihrer eingebildeten Fachkollegen: ihre Tadler, die sich über die feinen und faulen Jünglinge aus gutem Haus lustig machten. In neun große Kapitel ist der erzählende Teil gegliedert: Friedrichs Kindheit, Puer Apuliae, Anfänge des Staatsmannes. Der Kreuzzug, Tyrann von Sizilien, Der deutsche Kaiser, Caesar und Rom, Dominus mundi und Antichrist. — Nach den ersten drei Auflagen emigrierte Kantorowicz, der sich geweigert hatte, den Treueeid auf den Führer zu leisten. Es folgte noch eine Auflage 1936. Seit 1938 lebte Kantorowicz in den USA, zuletzt seit 1950, als Professor an der Universität von Princeton, wo er 1963 gestorben ist. Unmittelbar nach seinem Tod erschien der erste fotomechanische Nachdruck, für den er nur zögernd die Einwilligung gegeben hatte: weniger wegen neuer zu berücksichtigender Quellen, als wegen des ganzen gehobenen Tones, der ihm nicht mehr behagte, vor allem aber wiesen ihn die deutschen Ereignisse nach 1933 sowie in eine amerikanischen Erfahrungen in eine andere Richtung. Kantorowicz meinte, das ganze Buch müsse neu geschrieben werden, und dazu fühlte er sich nicht mehr geneigt.

Seien wir froh darüber, daß er die Neuausgabe in der alten Form gestattete, die ein Denkmal zweier großer Kapitel deutscher Kulturgeschichte ist: der Regierungszeit Friedrichs II. (t 1250) und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die durch Stefan George und seinen Kreis mitgeprägt wurde.

KAISER FRIEDRICH DER ZWEITE. Von Ernst von Kantorowicz. Hauptband 651 Seiten. Ergänzungsband (Quellenbelege und Literatur) 335 Seiten. Verlag Helmut Küppers, vormals Georg Bondi, Düsseldorf und München. Preis DM 65.—.

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