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Die Wölfin

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In vielen Städten Rumäniens, auf freien Plätzen, in Parks und vor öffentlichen Gebäuden, sieht man das Standbild der säugenden Wölfin mit Romulus und Remus: Zeugnis für den Stolz eines Volkes auf die Latinität, auf seine Abstammung von römischen Solda ten und Beamten, die sich nach der Eroberung des Landes unter Kaiser Trajan in der römischen Provinz Dazien niedergelassen und mit der Urbevölkerung vermischt hatten. Eine Wölfin steht auch am vorläufigen Ende der Geschichte dieses Staates. „Lupoaica“ nannten nämlich ihre Feinde jene Frau, die Kronprinz Carol bei einem Ball der Bukä-rester Garnison im Winter 1922/23 kennengelernt hatte und die nicht nur sein Schicksal, sondern auch das des ganzen Landes auf fatale Weise bestimmte. Wer war diese Frau?

Auch der wohlinformierte Joachim von Kürenberg gibt in seinem Buch* nur Vermutungen und Gerüchte wieder. Helene Lupescu ist ihr offizieller Name. Eigentlich heiße sie Martha oder Magda Wolf. Angeblich war sie vorher mit einem Oberleutnant, nach einer anderen Version mit einem Hof-

fhotographen verheiratet und stammt aus ukarest oder jassy, auch das ist nicht sicher. Ihr Vater wird als Apotheker, von anderen ais Makler bezeichnet, ihre Mutter war eine ukrainische Tänzerin. König Ferdinand verlangt sofortigen Abbruch der Beziehungen und schickt den Kronprinzen auf Reisen. Aber Carol läßt Helene Lupescu nach Italien nachkommen und verzichteten einem Brief, der dem unglücklichen Ferdinand am Weihnachtsabend des Jahres 1925 überreicht wird, auf. die Thronrechte. Er begründet diesen Schritt mit Differenzen, die er mit den Hofchargen und gewissen liberalen Politikern gehabt habe. .Von der eigentlichen Ursache ist — wie in einer ganzen Reihe späterer offizieller und offiziöser Mitteilungen und Verlautbarungen — nicht die Rede. (Erst 15 Jahre später wurde durch Marschall Antonescu ein Brief publiziert, den damals Königin Maria an ihren widerspenstigen Sohn geschrieben hatte, in dem sie darauf hinweist, daß man wegen einer Mme. Lupescu nicht auf den Thron verzichten dürfe. Nach einem vergeblichen Besuch des Hofmarschalls Hioto setzt Carol einen nochmaligen, „endgültigen“ Verzicht auf und siedelt nach Paris über. Nun wenden sich die Liberalen endgültig von Carol ah, und im Krortrat vom 31. Dezember wird für den minderjährigen Kronprinzen Mihail, den Sohn Carols und der Prinzessin Helene von Griechenland, ein Regentschaftsrat eingesetzt, dem Prinz Nicolae (der Bruder Carols), der Patriarch von Bukarest und der Präsident des Obersten Gerichtshofes angehören. In der Nationalversammlung vom 4. Jänner 1926 sprechen sich Julius Mahiu, der angesehene Führer der Bauernpartei, und der bekannte Historiker, Universitätsprofessdr Nicolae jorga, der Lehrer Carols, gegen diese Regelung aus und melden Bedenken an. Nur widerwillig unterschreibt der bereits schwerkranke König Ferdinand die vorn Ministerpräsidenten verfaßte, in drohendem Ton gehaltene Proklamation, die es Carol verbietet, vor dem Ablauf von zehn Jahren ins Land zurückzukehren. Vom Leibarzt des Königs stammt die Diagnose, Carol sei zwar ein „Triebneurotiker“, es bestehe aber keine Gefahr, daß er durch seine Rückkehr das Land in neue Krisen stürzen werde. Worauf General Averescu angeblich repliziert haben soll, er fürchte nicht den Prinzen und seine Launen, er fürchte „diese Frau“, an die alle dachten, aber von der niemals öffentlich gesprochen werden durfte. Auf dem Totenbett söhnte sich Ferdinand mit der römisch-katholischen Kirche aus, der er angehört und die gegen die orthodoxe Taufe der Kinder Einspruch erhoben hatte, schloß ein Konkordat mit dem Vatikan und empfing durch den Nuntius den Segen des Papstes. An seinen Ministerpräsidenten Bratianu aber richtete Ferdinand den folgenden Brief, der von den einen als Fälschung bezeichnet wird, aber M a n i u, wohl der glaubwürdigste aller rumänischen Politiker jener Aera, sagte untcr Eid aus, ihn selbst gelesen zü haben:

..Mein lieber Ministerpräsident! Da ich mein Ende herannahen fühle, ist jetzt mein ganzes Denken auf mein liebes Rumänien gerichtet. für das ich die Kräfte meines Lebens eingesetzt habe. Ich sehe es in dieser Stunde als notwendig an, Ihnen zu gestehen, daß die durch den Thronverzicht meines liehen Sohnes Caröl entstandene Lage mir große Sorge bereitet. Mein Sohn wurde dazu erzogen, König zu werden. Heute glaube ich, daß dii Konsolidierung Rumäniens, die so viele Opfer gefordert hat, die Rückkehr zur alten dynastischen Ordnung empfiehlt. Ich bin sicher, Herr Ministerpräsident, daß Ihr Patriotismus, der so oft auf die Probe gestellt worden ist, Ihnen den Weg zeigen wird, wie mein Wunsch in die tat umgesetzt werden kann. Ich wünsche meinem lieben Sohn Carol ' eine glorreiche Und zufriedene Herrschaft zum Wohle Rumäniens, das ich so sehr geliebt habe.“

Am 20. Juli 1927 stirbt König Ferdinand, Mihail wird zum König ausgerufen, der Regentschaftsrat eingesetzt. Im „Matin“ gibt Carol eine Erklärung ab: man habe ihm nicht gestattet, ans Totenbett seines Vaters zu eilen, die „Legenden sentimentaler Art“, die man mit seinem Thronverzicht in Zusammenhang bringe, seien erfunden, und er sei bereit, dem Rufe seines Volkes, wenn es seine Rückkehr begehre, Folge zu leisten. — Im gleichen Jahr noch stirbt Carols großer Gegner, Jon Bratianu. Dessen schwächerer Bruder Vihtila eröffnet die Reihe jener Kabinette, die einander in rascher Folge ablösen und das Land an den Rand des moralischen und wirtschaftlichen Ruins bringen. Endlich, 1928, gelingt es Julius Maniu, gestützt auf das Vertrauen der Masse der Bauern, die fast 80 Prozent der Bevölkerung ausmachen, eine stabile Regierung zu bilden und längst notwendige Reformen durchzuführen. Er kann es auch wagen, die Königsfrage wieder aufzurollen, ohne einen Putsch heraufzubeschwören, und nach gründlicher Vorbereitung landet Carol nach einem abenteuerlichen Flug, der nur noch mit dem merkwürdigen Einzug seinfes Großvaters in sein Land zu vergleichen ist, am 6. Juni 1930 auf dem Flugfeld von Bäneasa dicht bei Bukarest. Kammer und Senat begrüßen ihn stürmisch, lösen den Regentschaftsrat auf, und der bisherige „König“ Mihail wird zum Thronfolger „degradiert“. Aber wie groß ist die Enttäuschung, als Carol mit der Aussöhnung und Rehabilitierung seiner Gattin zögert — und als sich in der Hauptstadt das Gerücht von der Rückkehr der „Wölfin“ verbreitet. Damit hatte Carol die Bedingungen, die ihm von Maniu vor seiner Heimkehr gestellt worden waren, nicht erfüllt bzw. gebrochen. Maniu tritt zurück, auch Jorga ist enttäuscht, die Kabinette wechseln rasch, die Liberalen sehen schadenfroh zu, Unruhe und Unzufriedenheit unter der Bevölkerung wachsen und Vajda-Voevod erklärt auf dem Kongreß der Nationalen Bauernpartei 1931: „Mit unserer ganzen Kraft protestieren wir gegen die Tyrannei der Bukarester Zentrale (eine Anspielung auf Carols diktatorische Maßnahmen und den immer schärfer werdenden Polizeiterror), welche nur das eine Ziel vor sich sieht, uns bis auf die Haut auszuplündern.“

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