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Eine österreichische Wappenrolle

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Auf der Höhe de Arlbergpasse, def Wasserscheide zwischen Rhein und Donau, wo Tirol an Vorarlberg grenzt, steht das ehemalige Hospiz St. Christoph, über dessen Gründer Forschungen manches Neue ans Tageslicht brachten. Jenseits des Rheins wohnte im Dorfe Garns (Kanton St. Gallen) das Edelgeschlecht der von Gamsberg, die, vom Grafen Rudolf IV. von Montfort (1355) vertrieben, „über den Rhein“ flohen, nach Tirol, auf den Arlberg, weshalb sie im Volksmunde den Namen „Uberreiner“ erhielten, der ihnen auch blieb. Sie erwarben von den Rittern von Schrofenstein das Schloß Arl (Arien) im obersten Stanzertale, oberhalb St. Anton am Arlberg .

Jakob v. Überreiner, Sohn des Ulrich und der Walburga v. Rasp, seit 1370 Besitzer des Sdilosses Arl, verwendete als Hirtenknaben einen Bauernjungen namens Heinrich. Dieser, von unbekannten Eltern, ein Findelkind, etwa 1355 geboren, erzählt von sich selbst: „Ich bin Heinrich Findelkind. Mein Vater, der mich da fand, hieß Ocze, Mayr von Kempten, der verdarb einer Bürgschaft wegen. Der hatte neun Kinder, da war ich, Heinrich Findelkind, das zehnte. Da schlug er uns halb aus, daß wir gingen und dienen sollten. Da kam ich, Heinrich Findelkind, zu zwei Priestern, die wollten gegen Rom gehen; mit denen ging ich über den Arlberg und komm zu Jakob Überreiner. Da sprach Jakob (Jack!): Wo wollt Ihr mit dem Knaben hin? Da sprachen die Herren: Er ist zu uns gekommen auf dem Feld! Da sprach Jakob: Wollt Ihr ihn hier lassen, daß er uns die Schweine hüte? Da sprachen sie: Was er tut, das ist uns lieb! Da dingten sie mich und gaben mir das erste Jahr zwei Gulden. Da war ich bei dem ehegenannten Jakob zehn Jahre. Da ging ich mit ihm zur Kirche in dem Winter und trug ihm das Schwert nach. Da brachte man viele Leute, die da waren auf dem Arlberg in dem Schnee verdorben. Denen hatten die Vögel die Augen ausgefressen und die Kehlen. Das erbarmte mich, Heinrich Findelkind, so übel. Da hatte ich 15 Gulden verdient mit dem Hirtenstab, da rufe ich und sprach, ob jemand wollte nehmen die 15 Gulden und einen Anfang wollte anheben auf dem Arlberg, daß die Leute nidit also verderben. Das wollte niemand tun. Da nahm ich den allmächtigen Gott zu Hilfe und den lieben Herrn, der ein großer Nothelfer ist, den St. Christof, und fing an mit den 15 Gulden, die ich mit dem Hirtenstab habe verdient von Herrn Jakob Überreiner; und den ersten Winter, da half ich sieben Mensdien das Leben mit dem heiligen Almosen. Seit desselben Male hat mir Gott und ehrbare Leute geholfen in den sieben Jahren, daß ich und mein Helfer haben geholfen 50 Menschen da Leben, und den Anfang habe ich gemacht Anno Domini 1386, am Tage Johannes de Täufers.“ (24. Juni 1386.)

Diese kleine Selbstlebensbeschreibung wurde zuerst von dem Direktor der Innsbrucker Gubernialregistratur, Franz Sebastian Gaßler, geb. 4. Februar 1746 in Innsbruck, gest. als Geheimer Hofarchivar in Wien, 13. August 1810, der sich auch als Dichter von Kriegsliedern und Schrift steller betätigte, in seinem Budie .Schilderungen und Urschriften unserer Voreltern“, Innsbruck 1789, bei A. Wagner, unter dem Titel „Die Johannesfeyer, begangen von Heinrich, dem Menschenfreund, auf dem Arlberg, 1386“, veröffentlicht.

Heinrich Findelkind faßte den Plan, auf der Höhe des unwirtlichen Jochübergange ein Unterkunftshaus und einen Rettungsdienst für Bedürftig während der stürmischen Jahreszeit zu errichten. Er gründete eine Bruderschaft, sammelte milde Beiträge und stellte sich mit seinen Ersparnissen an die Spitze der Guttäter. Die Bruderschaft wurde vom Fürstbisdiof von Brixen, Friedrich v. Erdingen, genehmigt und dem Patron der Pilger, Christophorus, geweht. Im Jahre 1382 erhielt die Bruderschaft schon die erste größere Spende von dem Fürsten Johann I. von Anhalt (1340 bis 1382) und seiner Frau Elisabeth, weshalb wir das Jahr 1382 als Gründung s-j a h r annehmen können. Mit Erlaubnis (vom 27. Dezember 1385) des Landes-fürsten Erzherzogs Leopold III. von Österreich (gefallen bei Sempach. 9. Juli* 1 386), wurde auf der Paßhöhe ein Hospiz gebaut und am 24. Juli 1387 eröffnet.

Im Jahre 1397 verlieh Papst Bonifa? TX. (1389—1404) dem Heinrich Findelkind einen Gnadenbrief, den wir, wohlverwahrt in einer Dachkammer, des Pfarrhauses in St. Jakob am Arlberg, wohin St. Christoph seit alters her kirchlich gehört, fanden. Der lateinische Text laut?t in deutscher Übersetzung (auszugsweise):

„IA Bonifaz bestätige, daß Heinrich Findelkind Ton Kempten und Ulrich Notseck, ein Knecht, von St. Gallen mit Hilf anderer Gläubigen ein Hau auf dem Arlberg gebaut und dort eine Kapelle zur Ehren der hl. Jungfrau und des hl. Christoforui mit drei Altären errichtet haben. Also verleihen wir ihnen auf ihre Bitte diesen Bau nnd gestatten, daß die besagte Kapelle ohne weitere Erlaubnis konsekriert werden möge, usw.“

Heinrich das Findelkind wollte aber sein Werk vergrößern, wandert durch Deutschland, Polen, Österreich, Ungarn und Böhmen und sammelte überall Liebesgaben, die er sorgfältig in einem Buche verzeichnete. Jeder Eintretende spendete eine milde Gab und verpflichtete sich, diese Spende alljährlich zu wiederholen. Dagegen verpflichtete sich Heinrich, alle Morgen und Abend mit seinem Knecht auszugehen und viermal mit hoher Stimme zu rufen, um Verirrten ein Zeichen zu geben und sie in die Herberge zu geleiten. Anme Reisende mußte er freihalten. Heinrich war immer mit acht Schneereifen ausgestattet, hatte Brot und Wein mit, die er, auf- und niedersteigend, bis zum ausgesteckten Kreuze trug, nach Verunglückten Ausschau haltend. Im Jahre 1414 waren schon vier Herzoge mit ihren Gattinen, siebzehn Bischöfe, zwölf Äbte, sechzehn regierende Grafen, sechsunddreißig Adelige und schthundert sonstige Personen Mitglieder dieser Wohlfahrtsstätte. Auch der von Meran über den Arlberg nach Konstanz reisende Papst Johann XXIII. kehrte im Hospiz ein. Er hatte auf der Arlberg-Paß-höhe am 24. Oktober 1414 einen schweren Unfall erlitten; sein Reise wagen, ein Vehikel mit hohen Rädern, nach Art der Karnerwägen, war umgestürzt, die Räder nach oben, der Papst nach unten, so daß von ihm, wie ein Holzschnitt im Buche des Konzils von Konstanz zeigt, nur noch der Kopf mit der Tiara aus der Plache des Wagens hervorschaute.

Ober Anregung des Herzogs Friedrich rV. mit der leeren Tasche wurde vom Fürstbischof von Brisen, Berchtold II. von Bückeisberg, Stefan Hofkirchr von Ulrichsberg, aus Passau, am 10. Februar 1421 zum Seelsorger der St.-Christoph-Kapelle bestellt (Fb. Diözesanarchiv Brixen, Urkunde Nummer 833).

Ebenso wie es unbekannt ist, wo Heinrich das Findelkind geboren ist, so wissen wir auch nichts über sein Todesjahr (etwa 1420). Aber nicht nur durch die Erbauung des Hospize St. Christoph, sondern auch durch ein andere Einrichtung hat sich Heinrich das Findelkind unsterblich gemacht. Als di Bruderschaft weiter Verbreitung erlangte, hat der Ritter Rudolf von Laßberg (aus Osterreich) di Anregung gegeben, die Namen der Mitglieder und ihr Spenden in ein Buch einzutragen, und der Tiroler Ritter Georg von Zwingenstein hatte den glücklichen Einfall, die Wappen der Mitglieder in ein Bruderschaftsbuch einmalen zu lassen (begonnen 1395). Hiedurdi wurde ein unschätzbares wappengeschichtliches Werk der Nachwelt überliefert. Aber auch dieses kulturhistorisch kostbare Gut wäre für immer verlorengegangen, da die fünf Wappenbücher bald zerrissen, zerlumpt und zerschnitten waren, wenn nicht der Tiroler Maler V i g i 1 R a b e r (geboren um 1500, gestorben aim 14. Dezemer 1552 in Sterzing) die 7244 Wappen der St. - Christop h-A r 1 b erg-Bruderschaftsbücher mit Bienenfleiß sorgfältig kopiert und abgemalt hätte (1520 bis 1548). Die Wappenbücher Vigil Rabers werden jetzt in Wien, Innsbruck • und Weimar aufbewahrt. (Einige Proben aus dem im Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien aufbewahrten Exemplar brachte „Die Furche“ in ihrer Ausgabe vom 21. September 1946.) Im Februar 1927 hat ein Verein in Berlin diese Wappenbücher in farbigem Druck mit begleitendem Texte (von Otto Hump) zu veröffentlichen begonnen (bis „L“).

Die Bruderschaft ist seit 1517 aufgelöst; das wiederholt umgebaute Hospiz steht noch, hat aber durch den Bau der großen Arlbergstraße an Stelle des alten, 1319 bis 1335 errichteten Karrenweges (1780 bis 1824) und durdi die Eröffnung der Arlbergbahn (20. September 1884) seine Bedeutung verloren.

Nun sollen die St.-Christoph-Wappenbücher, nach 560 Jahren, Nachfolger erhalten. Die heraldisch-genealogische Gesellschaft „Adler“ in Wien (gegründet 1870) will alle in Österreich von Bauern, Bürgern und Edelleuten ehedem geführten Wappen in einer „österreichischen Wappenrolle“ sammeln und wissenschaftlich verzeichnen, um dieses für die österreichische Kulturgeschichte, Heraldik und Geschlechterkunde wappengeschichtlich wertvolle Material der Nachwelt zu erhalten.

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