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Lebensbild eines genialen Deutschen

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Hans Poelzig. Lebensbild eines Baumeisters. Von Theodor Heuss. Rainer-Wunderlich-Verlag, Hermann Leins, Tübingen. 162 Seiten

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Hans Poelzig. Lebensbild eines Baumeisters. Von Theodor Heuss. Rainer-Wunderlich-Verlag, Hermann Leins, Tübingen. 162 Seiten

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Wenn das alte römische Sprichwort. „Habent sua lata libelli“ für ein neueres Druckwerk Bedeutung besitzt, dann zweifellos für dieses. Es ist ein Buch mit einem bewegten Schicksal. 1939 bei Wasmuth drei Jahre nach dem Tode Poelzigs erschienen, löste es bei Hitler einen Tobsuchtsanfall aus; er ließ die gesamte Auflage einstampfen, so daß diese erste Ausgabe, die mit ausgezeichnet zusammengestelltem, teils farbigem Bildmaterial versehen war, nur noch in einigen wenigen Exemplaren existiert. 195,5 wurde eine dritte Ausgabe' des Buches in bescheidenerem Format wieder herausgegeben, nachdem die beiden er:ten Nachkriegsauflagen rasch vergriffen waren. Als Verfasser zeichnet kein Geringerer als der gegenwärtige Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Theodor H e u s s, dessen freundschaftliche Beziehungen zu Poelzig im Rahmen des Deutschen Werkbundes bis auf das Jahr 1918 zurückreichen.

Das Buch ist nicht nur eine glänzende Biographie eines genialen Baukünstlers. Es besitzt für unsere Zeit eine besondere Bedeutung, die vom Verfasser in dessen Vorwort gekennzeichnet ist. wenn er sagt, daß er die Darstellung und Charakteristik eines großen und starken Menschentums einer Zeit und einer Generation zeigen will, die ,n a c h dem Einbruch von subalternem Banausentum in den Bereich künstlerischer Schöpfung und nach der Vergewaltigung jeder freien Gesinnung zum Gefühl für geistige Kontinuitäten zurückgeführt werden muß.

Daß das Buch von einem „Nichtfachmann“ in engerem Sinne geschrieben wurde, ist nur zu begrüßen; denn wie der Verfasser selbst feststellt, sah er bei Abfassung des Werkes die Erscheinung des Mannes, der in Temperament, Geist, Gefühlsstarke, in der Weite seiner Maße den fachlichen Rahmen zerbrach ...

Diese Feststellung im Vorwort gibt den Maßstab für die gesamte kritische Beurteilung Poelzigs als Architekt, akademischer Lehrer und Mensch. Daneben werden seine großen Qualitäten als Maler und Graphiker, als Bühnenbildner und als Organisator aufgezeigt. Der Verfasser wertet die künstlerische Gesamtpersönlichkeit Poelzigs als zwischen den Zeiten stehend. Er war der „konservative Revolutionär“ und der „revolutionäre Konservative“. Jeder, der Poelzig näher kannte — wie der Rezensent, welcher dessen Schüler und späterer Mitarbeiter war —, wird dieser Formulierung beipflichten müssen. Er war es, der die „große Form“ aus früheren Zeiten herüberrettete und seinen Schülern predigte, wenn eine materialistische Ueberbetonung von Konstruktion und Funktion die Form zu zertrümmern wagte; er war es aber auch, der gegen einen historischen Formalismus donnerte, wie er besonders in der Architektur des Dritten Reiches wucherte und der eine organische moderne Entwicklung in Deutschland zu unterbinden drohte.

In den einzelnen Kapiteln schildert Theodor H e u s s zunächst die Familiengeschichte, die Abstammung von dem thüringischen Grafengeschlecht der Poelzig, dessen verwandtschaftliche Beziehungen zu regierenden Fürstenhäusern Deutschlands, seine Kindheit und lugend. Treffend geschildert ist der Eindruck der Umwelt in de'n Jahren der Reife in Potsdam und Berlin, wo Poelzig an der Charlottenburger Technischen Hochschule seine Ausbildung als Architekt erfährt. Es folgen die schlesischen Jahre. Mit 31 Jahren wird Poelzig an die Breslauer Kunstgewerbeschule berufen, an der er — erst 34jährig — die Direktion übernimmt. Es ist die Zeit einer großen erzieherischen Entfaltung. Dort erfolgt in den ersten Jahren unseres Jahrhunderts der Durchbruch zu einem neuen Formwillen, der Poelzig zu den Pionieren einer neuen Baukunst, zunächst zu Theodor Fischer, dann zu Olbrich und Otto Wagner, in enge Beziehung bringt. An Bauaufgaben ist es der bis dahin völlig vernachlässigte Industriebau, den Poelzig zu gestalten versucht. 1916 erfolgt seine Berufung zum Stadtbaudirektor von Dresden. Jahre planenden Ueberschwanges folgen, seltsam beeinflußt von der barocken Atmosphäre Dresdens, die sich vor allem in den späteren Planungen für Theater und Bühnenbilder sowie bei Filminszenierungen auswirkt. Die Entwürfe für das Salzburger Festspielhaus, für das große Theater Max Reinhardts in Berlin, das nach dem ersten Weltkrieg nach Plänen Poelzigs ausgeführt wird, zeigen noch stark diese Beeinflussung. Das großangelegte „Haus der Freundschaft“, 1916 für Konstantinopel geplant, blieb leider nur Projekt.

in den ersten Wirren der Nachkriegszeit zog sich Poelzig, von der Architektur in die Malerei zurück, in „gemalte Balladen“, wie sich der Verfasser treffend ausdrückt. Dann folgen die äußerst fruchtbaren Berliner Jahre. Zunächst die Berufung Poelzigs an die Akademie der Bildenden Künste, dann an die Technische Hochschule in Charlottenburg. Große Bauaufträge ergänzen die Lehrtätigkeit; das Funkhaus in Berlin, das Verwaltungsgebäude der IG-Farben in Frankfurt am Main, das Ausstellungsgelände und die Verbauung des Zooviertels in Berlin, Lichtspielhäuser für Berlin und Breslau, ferner Entwürfe für den Völkerbundpalast in Genf und das Sowjetpalais in Moskau. Die Bewältigung ihrer Formprobleme reiht Poelzig in die Elite der europäischen Architekten ein und verschafft ihm internationale Geltung. Seine Rolle, die er im „Ring“, der exklusiven deutschen Architektenvereinigung sowie im „Werkbund“ spielt, stellen ihn mitten hinein in die Problematik der Auseinandersetzungen um das neue Bauen. In zahlreichen Vorträgen und Abhandlungen nimmt er zu den Problemen Stellung. Diese Tätigkeit, die er sehr ernst nimmt, wird ergänzt durch eine äußerst fröhliche Geselligkeit im Kreise seiner zahlreichen Freunde. Sein gastliches Haus in Berlin wird zu einem kulturellen Mittelpunkt, in dem trotz aller ernsten Probleme, die dort diskutiert werden, der Humor die erste Rolle spielt.

Seit der Machtübernahme durch den Nationalsozialismus, 1933, gehört Poelzig zu den Verfemten. Er behält zwar seinen Lehrstuhl, erhält aber keine öffentlichen Aufträge. Seine Tätigkeit beginnt sich dem Ausland zuzuwenden. Ein internationaler Wettbewerb bringt ihm den ersten Preis und damit die Planung für das neue Opernhaus und die. Musikakademie in Istanbul. Weitere Aufträge für die Türkei folgen, die er mit seinen Mitarbeitern ausarbeitet. Der türkische Unterrichtsminister sucht Poelzig für die Technische Hochschule in Istanbul zu gewinnen. Nach zahlreichen Reisen zwischen Deutschland und der Türkei sagt Poelzig zu. Kurz vor seiner endgültigen Uebersiedlung wird er — innerlich zerbrochen über die geistige Entwicklung in Deutschland — plötzlich dahingerafft. Zu seinem Tode schrieb Rudolf G. B i n d i n g : „Es verliert Deutschland einen seiner besten Männer, einen seiner besten Arten — und einen seines eigensten Wesens, wenn es auch nichts davon weiß

Sein Werk lebt weiter, nicht nur seine Bauten, sondern vor allem seine Schule. Poelzig hat allerdings nicht das hinterlassen, was man allgemein eine „Schule“ nennt. Seine Schüler waren alle Individualitäten. Er hatte kein „System“ der Lehre, aber er verstand die jeweils individuellen Begabungen so zu leiten, daß jeder zu sich und zu seiner eigenen Formensprache fand. Lind der beste Beweis für seine überragenden Qualitäten als Bildner der Jugend ist vielleicht der, daß eine bedeutende Anzahl der Lehrstühle an den Architektlirhochschulen im gegenwartigen Deutschland von seinen ehemaligen Schülern eingenommen wird. Aber nicht nur in Deutschland; in Oesterreich, in Jugoslawien, in Griechenland, in der Türkei, in Amerika trifft man ehemalige Poelzig-Schüler als akademische Lehrer. In seinem Atelier traf sich eine internationale Gesellschaft; aus der ganzen Welt scharten sich Schüler und Mitarbeiter um seine starke Persönlichkeit.

Der deutsche Bundespräsident hat mit seinem Buch über Poelzig einem großen Deutschen der Zwischenkriegszeit ein bleibendes Denkmal gesetzt.

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