6611726-1955_04_02.jpg
Digital In Arbeit

Menschenrecht besiegt das Gesetz

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist ein großes Glück für die Menschheit, daß über ihre ärgsten Torheiten die Zeit hin-wegschreiret. Je extremer eine Mode, desto lächerlicher wird sie im Gang der Zeit. Je höher sich die Fehler, die Leidenschaften, die Verirrungen der Sterblichen aufbäumen, desto eher verfallen sie dem Mißbehagen und dem Aburteil der Nachwelt. Was Großes glaubte man in der Umsturzzeit mit dem sogenannten Habsburger-Gesetz getan zu haben, diesen Vorschriften, die nach kaum einem Menschenalter in aller Form und Feierlichkeit als Verletzung der Menschenrechte auf den Index gesetzt worden sind! Und siehe da: Schon hat das Rechtlichkeitsbewußtsein der Oesterreicher das Verbannungsedikt dieser Gesetze an gut sichtbarer Stelle durchstoßen, und das ganze Volk hat zu diesem Akt seine Zustimmung gegeben:

Gegen Erzherzog Eugen ist das „Habsburger-Gesetz“, nach dessen Buchstaben er zur Verbannung verurteilt gewesen wäre, nie zur Anwendung gekommen. Einzelne gegenteilige Aussagen in der Presse der letzten Weiche beruhen auf einem Irrtum. Die von dem reaktionären Ausnahmsgesetz, diesem Produkt aus einer Zeit des erschütterten Rechtsbewußtseins, verlangte sogenannte „Loyalitätserklärün g“, die ihn von den Folgen des Gesetzes enthoben hätte, ist von Erzherzog Eugen nie geleistet worden. Nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Basel, in dessen städtischem Archiv er Studien für die Rechtsgeschichte seines Ordens betrieb, kehrte er, ohne einem Einwand zu begegnen, nach Oesterreich zurück. Bei ihrem Kommen anerkannte die zweite Republik schweigend den vorgefundenen Rechtszustand, der dem Erzherzog das Niederlassungsrecht und die volle Bewegungsfreiheit in Oesterreich gewährte.

Sosehr unterstützte das Rechtsempfinden der Bevölkerung das Verhalten der staatlichen Stellen, daß dagegen weder von links noch von rechts ein Vorwurf erhoben oder etwa eine parlamentarische Interpellation mit dem Verlangen nach der Anwendung des Verbannungsgesetzes gegen Erzherzog Eugen laut geworden wäre. Wohl aber vollzog — wie so mancher seiner Parteifreunde im stillen — der sozialistische Bürgermeister von Werfen in einer Trauerkundgebung seiner Gemeinde eine Totenehrung, wie sie kaum einen schöneren Ausdruck finden konnte. Ein Zeugnis echter, durch keine Parteischranken parzellierter Rechtsgesinnung. Von dem Erzherzog sagte der sozialistische Bürgermeister:

„Ich sah ihn selbst als guten hilfsbereiten und sozialen Menschen, der der Gemeinde Werfen so viel Gutes tat, daß es hre Pflicht ist, ihm nach seinem Tode noch einmal dafür zu danken. Der Wiederaufbau der durch die Feuersbrunst von 1931 stark mitgenommenen Festung, das durch ihn gewährte Wasserbezugsrecht aus der Festungswasserleitung für immerwährende Zeiten usw. beweisen seine Verbundenheit mit dem Markte Werfen. Zu seinem Abschiede läutet auch die Schloßglocke, die die Werfener bei feierlichen Anlässen erhebt, in bitterer Stunde aber zur Hilfe ruft. Diesmal erklingt sie im Gedenken an einen großen Mann, an den großen Freund und Helfer Werfens: für unseren Erzherzog Eugen!“

So denken und reden in Oesterreich nicht Umstürzler und nicht Feinde, vor denen sich die Republik zu fürchten hätte, sondern Hunderttausende anständiger redlichdenkender Menschen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung