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Nichts

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Der König wandelte durch seinen Garten. Es war Mitte Mai. Die Sonne schien, die Springbrunnen sprangen funkelnd empor, und Goldfische, so groß wie Delphine, schossen durch das kristallklare Wasser. Im Pavillon spielte ein Orchester und sieben Tänzerinnen tanzten um das Rosenbeet. Ueberall standen Zauberer, die zauberten, und auf dem Mittelweg stand ein Bauchredner und redete Bauch. Der König gähnte. „Wenn doch einmal etwas geschähe”, sagte er, „man kann sich rein zu Tode langweilen.” Aber er wußte nicht, was geschehen sollte, denn alles, was er sich ausdenken konnte, geschah bereits. Da rief er seinen Minister für Unterhaltung und Vergnügen und sagte: „Denk dir etwas Neues aus, bitte.”

„Feuerwerk”, sprach der Minister.

Sogleich stiegen Raketen, Pfeile und Feuerkugeln auf, und zum Schluß flog der ganze Palast in die Luft.

„Langweilig”, sagte der König, als es vorbei war, „kannst du nichts Lustiges ausdenken?”

„Ein Zirkus”, sagte der Minister

Und der Zirkus kam. Da war ein Dromedar, das’ “Flöte spielte: und da waren sechs Elefanten, die e twas taten, was Elefanten ‘ bnst nie-’ mals tun, und da war ein geflecktes Tier, das konnte „Danke schön” sagen. Der König saß in der ersten Reihe und gähnte so sehr, daß ihm die Tränen in die Augen kamen. „Das hätten wir auch hinter uns”, sagte er. als es vorbei war, „kannst du denn nichts ausdenken, wovon du selbst meinst: das ist wirklich verrückt. “

„Ich selbst”, sagte der Minister. Und er zog den Rock aus, ging ins Gras und stellte sich auf den Kopf. Dabei drehte er sich wie ein Kreisel und summte ein Lied.

„Abgeschmackt”, sagte der König, als es vorbei war, „ich will etwas Kostbares sehen. Ein Haus aus Glas, mit Fenstern aus Diamanten.

Und wenn es fertig ist, will ich es mit dem Stock kaputtschlagen.”

Da wurde das Haus gebaut. Alles: die Tische, die Stühle, die Kissen, die Betten und die Kohlen im Keller waren aus Glas, und die diamantenen Fenster funkelten wie Diamanten. Und als es fertig war, ging der König darin umher und zerschlug alles mit einem Stock. Die Scherben flogen ihm um den Kopf und seine Ohren waren voller Splitter. Doch als alles kaputt war und er etwas Neues ersinnen wollte, sagte der Minister: „Halt, das Geld ist zu Ende.”

„Dann verkaufe den Palast”, antwortete der König.

„Der Palast ist in die Luft geflogen.”

„Dann will ich noch einmal den Brummkreisel sehen”, sagte der König, „denn der war noch am lustigsten.”

„Hol ihn selbst”, sagte der Minister und ging weg.

Da begriff der König, daß er arm war. Und wieder nahm er seinen Stock und zog in die Welt. Er begegnete vielen Menschen und alle bat er um Arbeit und Brot. Doch die Menschen fragten: „Was kannst du?” Und er antwortete: „Nichts.” Da fragten sie: „Was hast du denn früher getan?” und er antwortete wieder: „Nichts, gar nichts.” Die Leute zuckten mit den Schultern und gingen weiter.

Eines Tages begab es sich, daß er müde und hungrig an einer Wiese vorbeikam, in der ein Mann auf dem Rücken lag und in den Himmel schaute. „Was tust du da?” fragte der König neugierig.

„Nichts”, sagte der Mann, „gar nichts.”

„So”, sprach der König, „das tue ich schon seit zwanzig Jahren.”

„Und ich seit zwanzig Minuten”, sagte der Mann, „doch es wird mir auch schon recht langweilig.”

Er stand auf und begann zu mähen. Und der König mähte mit ihm. Als es Abend geworden war, legten sie sich auf die Garbenbündel und sahen zu den Sternen. So taten sie es viele Wochen.

Dann kehrte der König mit verjüngtem Gemüt in sein Königreich zurück. Er blickte über die Mauer in den Palastgarten und sah, daß nun vierzehn Tänzerinnen um das Rosenbeet tanzten. Da liefen gefleckte Tiere umher, die nicht nur „Danke schön” sagen konnten, sondern auch „Rechts halten” und „Auf Wiedersehen”, und die Sonne stand neben dem Feuerwerk am Himmel wie eine bleiche Kugel. Der neue König aber sah von seinem Stuhl aus zu und gähnte.

„Höre auf mich!” rief der frühere König, „geh arbeiten! Arbeite den ganzen Tag und ruhe des Abends. Dann erst wirst du verstehen, was es heißt, zehn Minuten nichts zu tun. Es ist der Himmel auf Erden, das Paradies der Paradiese!”

Der neue König hob den Kopf und gähnte.

„Jagt diesen Landstreicher weg”, sagte er, ,denn auch er langweilt mich.”

Uebersetzung aus dem Holländischen

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