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OBERST GRIVAS / KEIM WIE MILTIADES

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Die delphische Pythia, auf goldenem Dreifuß sitzend und von Dämpfen umwallt, war eine wendige Person. Sie ließ sich nicht festnageln und war durch ihre Zweideutigkeiten berühmt geworden. Hätte sich der zypriotische Partisanenchef C r i v a s vulgo Dtghenis vor fünf Jahren, als Haß das Feldgeschrei auf der Insel war, an sie gewendet, um über die Zukunft zu erfahren, hätte sie etwa gesagt: Keiner wird Verlierer, keiner Sieger sein. Grivas, im Untergrund zu kühnem Pathos gereift, mißtraute der Prophetie, aber der Friede auf Zypern kam tatsächlich dergestalt zustande, daß es weder Verlierer noch Sieger gab.

Grivas ist die lange Wartezeit unverdrossen bei seinem Leisten geblieben, dem Kampf um Zyperns Freiheit. Er hatte, wie wir heute wissen, seinen eigenen Steckbrief gelesen, der, mit dem Siegel „Streng vertraulich” bei den britischen Kommandostellen zirkulierte. „Gesucht: George Grivas, genannt der .Oberst’, 55 Jahre alt, angegrautes Haar, kräftige Statur. Ehemaliger griechischer Heeresoffizier und Guerillaführer. Experte in Verkleidung, spricht auffallend den athenischen Akzent. Es wird vermutet, daß er die EOKA-Terro- risten anführt.”

Man schrieb 1955 und Grivas war der große Unbekannte. Einen wertvollen Hinweis lieferte zu dieser Zeit, als die 12.000 Engländer unter dem Rauhbein Sir John Harding gegen die Zyprioten gewichtlose Triumphe zu feiern glaubten, ein britischer Oberst. Er hatte Grivas gekannt. Es war die alte Geschichte vom Lehrling, der seinem Meister über den Kopf wächst. Die Engländer hatten ihn selbst in die Kniffe des Guerillakrieges eingeführt. Seine große militärische Begabung hatte er schon 1921 gegen die Türken und im zweiten Weltkrieg gegen die Italiener und Deutschen als griechischer Divisionär gezeigt, 1Q45 erhielt er Waffen gegen die Kommunisten. Vier Jahre später ging er dann zurück nach Zypern, wo er geboren worden ist. Dort kannte er nur ein Ziel: die Engländer von der Insel vertreiben. Sie litten schwer unter den Anschlägen, ‘baren hart im Zurückschlagen, gaben aber mit fairen Worten bekannt, daß die Aktionen gegen sie den Stempel ausgezeichneter Schulung trügen.

Nun hat aber dort die Vernunft den Sieg davongetragen. Alle Parteien: Türken, Griechen, Engländer haben beigegeben, ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Der Vertrag über Zypern war einer der klügsten Akte seit Ende des zweiten Krieges gewesen. Oberst Grivas, dessen bloßes Erscheinen bei den Zyprioten schon moralische Aufrüstung bedeutet hatte, ist mit einem Flugzeug nach Athen geflogen. Vorher hatte er den Befehl erteilt, die Waffen niederzulegen. Er wurde befolgt, denn die ganze Insel stand hinter ihm. Die Zyprioten sind arm und doch hat jeder die große Summe ignoriert, die die Engländer auf des Obersten Kopf ausgesetzt hatten. Der Empfang war ganz jenem würdig, den die alten Griechen ihren heimkehrenden Siegern zuteil werden haben lassen. Doch nicht beim Lorbeer ist es geblieben, der auch unter griechischer Sonne welkt. Er wurde zum Generalleutnant ernannt, aber nicht bloß „um des Ruhmes Schimmer”, sondern um in den Genuß einer diesem Rang entsprechenden Pension zu kommen, die Athens Parlament durch Gesetzesbeschluß seinetwegen rechtlich untermauerte. Der Dank des Vaterlandes wird vielen Patrioten zugesichert, vielen läuft er nach, ohne sie zu erreichen. George Grivas hat er erreicht. Und das ist eine Tat.

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