6651207-1959_02_04.jpg
Digital In Arbeit

RENĖ COTY / HEIM NACH LE HAVRE

Werbung
Werbung
Werbung

Als den Tag der Wachablöse hatte man den 8. Jänner gewählt. Im Festsaal des Präsidentschaftspalais fand die Zeremonie statt. Unter den Gästen befand sich auch General Catroux, der Großkanzler der Ehrenlegion, er überreichte dem neuen Staatsoberhaupt General de Gaulle die goldene Halskette, die der obersten Rangstufe des Ordens entspricht. Am Nachmittag begaben sich Coty und de Gaulle zum Grabmal des Unbekannten Soldaten, begleitet von einer berittenen Eskorte der Garde Repüblicaine. Dort nahmen sie Abschied voneinander. Vielleicht entsann sich Coty, daß er seinerzeit bei seinem Einzug ins Palais Elysee gescherzt hatte: .„Bisher hat es einen unbekannten Franzosen gegeben, jenen im 'Grab unter dem Triumphbogen, jetzt gibt es einen zweiten — im Elysee.“

Tatsächlich, Renė Coty war so gut wie unbekannt in Frankreich, als er 1951 im 13. Wahlgang zum Präsidenten erkoren wurde. An jenem trüben Wintertag standen nur wenige Spalier, während er auf der Prachtstraße von Versailles nach Paris zu seinem Amtssitz fuhr. Aber im Lauf der Zeit lernte das Land den großgewachsenen, redlichen Mann schätzen. Der Beifall, der beim Wohltätigkeitsfest in der Großen Oper aufrauschte, galt nicht nur der Callas. Er galt auch Coty, der sich das letztemal als Präsident in der Oeffentlichkeit zeigte. Er galt ihm als Adieu und Dank, besonders aber, weil sich Frankreich in dieser Vätergestalt gewissermaßen selber sah: sein nobles Bürgertum mit seinen großen Tugenden und seinem

Individualismus, der von den laut durcheinanderwirbelnden Großstadtmassen überrannt zu werden droht.

Mit dem bekannten Erzeuger berühmter Gerüche gleichen Namens ist er nicht verwandt. ln Le Havre, seiner Heimatstadt,

leitete der Vater ein vom Großvater begründetes Pädagogium. In Caen hatte er Jus studiert, mit so großem Eifer, daß er sich noch als Großvater entsetzte, daß zwei Enkel ein mal mit Pauken und Trompeten durchgefallen waren. 1907 heiratete er die hübsche Germaine Corbet, eine Reederstochter, die fünf Häuser in die Ehe brachte. Sie wurden allesamt im Krieg zerstört, und er, damals Wiederaufbauminister, hatte weder eine Entschädigung verlangt noch erhalten. Die Sache trug zu seiner Popularität in Le Havre bei. Von Ehrgeiz nie geplagt, stieg er, langsam, aber stetig, die Sprossen der Kommunalverwaltung hinauf.

Die Cotys galten als ein Idealehepaar mit zwei Töchtern und zehn Enkeln. Mme. Coty war eine ausgezeichnete Köchin, die ihre Gäste mit den Leckerbissen der französischen Küche bekannt machte und der Haute Couture nichts zu verdienen gab, während ihre Vorgängerin, Mme. Auriol, für ihre charmante Eleganz bekannt war. 1955 ist sie nach einem Schlaganfall gestorben. Tausende Menschen drängten sich damals beim Trauergottesdienst in der Kirche La Madeleine. Denn den Franzosen hatte die sparsame Hausfrau imponiert und die ganze Häuslichkeit der Cotys gefallen: Bücher, gute Musik und viel Großpapa spielen. Und wenn jetzt der letzte Präsident der Vierten Republik mit dem Auto als Privatmann in die heimatliche Normandie fährt, denken noch viele Franzosen gerne an ihn als einen Mann der Gelassenheit inmitten unaufhörlicher parlamentarischer Krisen. Und Gelassenheit ist ja nach einem alten Wort die anmutigste Form des Selbstbewußtseins.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung