"Kommissar Rex" auf tschechisch

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Von Fieber geschüttelt in Prag - der achte Teil der Furche-Serie "Oed und Edelschrott. Abenteuer auf Lesereisen".

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Von Fieber geschüttelt in Prag - der achte Teil der Furche-Serie "Oed und Edelschrott. Abenteuer auf Lesereisen".

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Ich habe kein Talent für Millionenstädte. Ich habe vor allem kein Talent für Millionenstädte, wenn ich sie ganz allein das allererste Mal betrete und dort tschechisch gesprochen und geschrieben wird. Da hilft mir weder Vilem Flusser, noch Franz Kafka, da helfen mir weder die erste Universität im mitteleuropäischen Raum, noch die gesammelten Fensterstürze.

Um diese meine hochgradige Talentlosigkeit in ihrer verheerenden Wirkung abzumildern, hat das Raukousky Kulturni Institut v Praze, also das Österreichische Kulturinstitut Prag mit mir per Fax vereinbart, daß mich am Bahnhof Praha-Holesovice ein Chauffeur erwarten wird, der zwar nicht weiß, wer ich bin und wie ich aussehe - wie natürlich auch ich nicht weiß, wer er ist und wie er aussieht - der aber ein Schild mit der Aufschrift "Kulturinstitut" vor sich tragen wird, sodaß ich ihn leicht erkennen können werde.

Als ich schließlich im Zustand völliger Orientierungslosigkeit - und leider auch ziemlich vergrippt - nach beinahe zehnstündiger Bahnfahrt im Bahnhof Holesovice mit meinen zwei schweren Taschen aus dem Zug stieg, begrüßten mich zwar jede Menge dubiose Gestalten, die mir eine günstige Prager Wohnung oder eine günstige Prager Prostituierte vermitteln wollten, jede Menge Schilder mit der Aufschrift "Taxi" oder "Milena" oder "Olga" oder "Felice", aber ein Herr mit einem Schild mit der Aufschrift "Kulturinstitut" war nicht da. Postwendend erlitt ich meine erste Prager Panikattacke. Während der Panik gelang es mir mit viel gestischer Mühe, bei einer rumänischen Gemüsehändlerin ein paar Kronen in Münzen zu wechseln, um das Kulturinstitut anzurufen, um 1) zu verifizieren, daß es tatsächlich existiert, um 2) den Mann mit dem Schild zu urgieren, und konnte dabei feststellen, daß die tschechischen Bahnhofmünzsprechautomaten durchaus westlichen Standard aufweisen; das heißt, sie sind samt und sonders defekt und fressen Münze um Münze ohne Gegenleistung. Nur jetzt keine Gallenkolik, dachte ich, nur die Ruhe! Vorab war mir von den Prager Taxis bekannt, daß es legale und illegale gibt. Die illegalen erkennt man daran, daß sie sich als legale ausgeben und im nachhinein horrende Preise verrechnen. Ich habe für Millionenstädte kein Talent, und ich habe auch Hemmungen, allein gegen die Taximafia zu kämpfen. Als ich mir im Institut am Jungmannovo nam endlich den Fieberschweiß von der Stirn wischte und von den unvereinbarten Ankunftsturbulenzen berichtete, meinte eine Beamtin: Ja fein, dann werden wir nächstes Jahr sicher ein Buch über Prag von Ihnen lesen können.

Die Lesung selbst im Altprager Literatentreff und Varietetheater Viola war wieder einmal schrecklich gut besucht - es gibt eine ganze Menge Wiener, die es auf die eine oder andere abenteuerliche Weise nach Böhmen verschlagen hat. Herr Dr. Bedrich Blasko von der "Prager Tageszeitung" hielt eine viertelstündige Einführung zu meiner Person und meinem Werk - auf tschechisch. Ich habe natürlich kein Wort verstanden, aber Thema und Problematik sind mir ja geläufig.

Ins Hotel Petr kam ich erst nach der Veranstaltung und dem Abendessen. If you want to go for night life, begann das Fräulein an der Rezeption, ich winkte aber gleich ab. I don't want to, thank you! No Milena, no Olga, no Felice, I'm sick. Ihre Worte bedeuteten implizit natürlich auch: Diesmal kein Pay-TV. Aber für einen Fieberphantasierenden ist "Kommissar Rex" auf tschechisch keine schlechte Alternative, allenfalls das Studium der "Prague Post": Havel's health improving. Black student murdered.

Anderentags holten mich der Direktor des Kulturinstituts und der Chauffeur zur Weiterfahrt nach Brno ab, wo ebenfalls eine Lesung vorgesehen war. Da war er also mit vierundzwanzigstündiger Verspätung, der Chauffeur: Fettes Flachhaar, Holzhackerhemd, das halbe Gesicht voll Krankenkassabrille, und er klärte das Mißverständnis auf: Ursprünglich hatte ja auch meine Gattin mitkommen sollen, und er war von ihrer Absage nicht unterrichtet worden: Er wartete am Bahnsteig auf ein aussteigendes Paar und wollte sein unter dem Mantel getragenes Schild erst in diesem Moment zücken und veröffentlichen. Es stieg aber kein Paar aus, und der Chauffeur mußte sich für das anrüchige Wort "Kulturinstitut" zwischen all den normalen Verlockungen offenbar fürchterlich genieren. Jetzt entschuldigte er sich tausendmal; ich pardoniere ihn hundertmal, dann ließ ich es bleiben, denn wir hatten es ja eilig und mußten nach Brünn.

Der Direktor des Kulturinstituts, ein Vorarlberger, der in Tirol studiert und dann die diplomatische Akademie absolviert hat, hat auf der diplomatischen Akademie als erstes gelernt, möglichst in jedem Satz den Konjunktiv und die Phrase "im Prinzip" zu verwenden, und in Bagdad lernt man das auch, im Prinzip jedenfalls; denn vormals ist er Gesandter in Bagdad gewesen, während des Iran-Irak-Krieges, und er ist dort drei Jahre lang gescheitert, einen veterinärmedizinischen Kongreß zu organisieren, was aber nicht an ihm, sondern an Bagdad gelegen ist. In Bagdad ist im Prinzip nichts möglich. Nun ist er hier in Prag, um sein Bagdadtrauma zu überwinden. Die Moscheen, erzählt er, darf man nur barfuß betreten; man muß barfuß rund um die Heiligtümer herumwatscheln und kommt nicht umhin, mitten durch den seifigen Barfußschweiß seines Vordermoslems zu stapfen. Es existiert ein Photo des Herrn Direktors, auf dem er Saddam Hussein die Hand schüttelt - aber nur aus Staatsraison; mit dem Photo hat er zu Weihnachten zu Hause in Vorarlberg seine Eltern verschreckt. Was das Außenministerium seinen Mitarbeitern manchmal antut im Rahmen ihrer Karriere!

Hier, sagt der Chauffeur an einer Stelle der Autobahn plötzlich, sind früher immer die sowjetischen Düsenjäger von ihren Übungsflügen kommend gelandet. Eine geradeaus verlaufende Autobahn würde sich ja auch dafür eignen, meint der Diplomat, im Prinzip. Als wir zwei Stunden später in der Abenddämmerung Brno und seine sozialistische Wohnbauästhetik und seine im Schnellverfall begriffenen Betonmenschengehege erreichen, weiß ich nicht nur alles über Bagdad, Nepal, Saudiarabien, Rom, Schweden, Brüssel und Bonn, sondern ich kenne mich auch bei der internen Besetzungspolitik und bei den sonstigen Angelegenheiten des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten recht gut aus: Das, was man hinter vorgehaltener Hand ohnehin munkelt, im Prinzip. Aber ich werde hier nicht undiplomatisch werden und mein Schweigegelübde brechen.

In Brünn kamen nicht so viele Leute zur Lesung wie in Prag, weil, wie mir die Universitätslektorin erzählte, gleichzeitig eine große Demonstration gegen Xenophobie stattfand. In Mähren ängstigt man sich im speziellen vor den alteingesessenen Vietnamesen und Roma. Ich bin noch in derselben Nacht mit dem Zug nach Wien zurückgefahren und habe gesehen, daß auch acht Jahre nach der Wende am Bahnhof Hlavni das Wort "Bahnsteig" dreisprachig zu lesen ist: Tschechisch, deutsch, russisch. Gespenstisch.

In Breclav stieg ein Wiener meiner Generation zu, der dort Leitungen verlegt. "Weil die Tschechen und die Tschuschen zu blöd dazu sind", erklärte er, "das Gesindel". Nur jetzt keine Gallenkolik, dachte ich, nur die Ruhe. Ich meinerseits trug kein Schild mit der Aufschrift "Kulturinstitut" - das machte dem Leitungsmann die Zunge locker, aber als ich ihm erzählte, daß ich gerade aus Prag komme, wurde er bleich im Gesicht, als wäre ich aus dem Dschungel oder aus dem Krieg gekommen. In Prag werden jeden Tag zehn Deutsche auf offener Straße ermordet, deklarierte er, in Brünn täglich fünf. Er war heilfroh und ein wenig verwundert, daß ich meinen tschechischen Fronteinsatz überlebt hatte. Ich meinerseits war heilfroh, als ich eine Stunde später - eine Stunde ununterbrochener xenophobischer und ausländerverachtender Ausfälle später - am Südbahnhof den Zug verlassen und in den D-Wagen steigen konnte, in dem niemand außer ein paar Tschechen und Kärntner Studenten saßen.

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