Stadtplanung vor 10.000 Jahren

19451960198020002020

Catal Höyük muß auf ahnungslose Steinzeitgenossen wie ein Weltwunder gewirkt haben.

19451960198020002020

Catal Höyük muß auf ahnungslose Steinzeitgenossen wie ein Weltwunder gewirkt haben.

Werbung
Werbung
Werbung

Feuermachen lernte der Mensch, wie man heute annimmt, schon vor 800.000 Jahren, Häuser baute er vor 400.000 Jahren: Hoch genug, um darin aufrecht zu stehen, rund 17 Meter lang, mit Raum für 20 bis 25 Personen, mit festen Orten für die Feuerstelle, die Essenszubereitung, eine Art steinerne Werkbank und zum Schlafen. Das Alter der Venus von Willendorf wird auf 34.000 Jahre geschätzt, die älteste bekannte ummauerte Stadt mit Wehrtürmen, das spätere Jericho, wurde vor rund 10.000 Jahren errichtet. Doch der stadtgeschichtliche Jahrhundertfund entstand ein Jahrtausend später in Anatolien und heißt Catal Höyük. Hier wurde nicht nur ein Beispiel frühester Stadtkultur ausgegraben, sondern auch eine Fülle von Zeugnissen einer hochstehenden Handwerks- und Sakralkunst konnten sichergestellt werden.

Die Computeranimation haucht den unspektakulären Lageskizzen uralter Mauerreste Leben ein. Macht dem Nachfahren des Cromagnon-Menschen, dessen Intelligenz, Sinnesleistungen und Instinktsteuerungen sich in den letzten 10.000 Jahren wohl nur wenig verändert haben, das Abstrakte anschaulich und für sein Vorstellungsvermögen faßbar. Und da die Erkenntnisse der Archäologie von größter Bedeutung für unser Selbstverständnis als Menschen sind, ist das schmale, unauffällige, aber unmittelbar ansprechende Bändchen von Heinrich Klotz mit zahlreichen Farbbildern dieser Animation eine wichtige Publikation, zu der man dem Verlag C. H. Beck mit gutem Gewissen gratulieren kann.

Die Reste Catal Höyüks wurden 1961 unter einem 17 Meter hohen Hügel entdeckt und führten zur Erkenntnis, daß die älteste uns derzeit bekannte komplexe Stadtkultur, die ausgerechnet im abgelegenen anatolischen Hochland niemand vermutet hätte, um 3.000 Jahre älter ist als bis dahin angenommen. Die Stadt hatte schätzungsweise 10.000 Einwohner, bestand 1.000 bis 1.500 Jahre und muß Zeitgenossen, die noch nichts derartiges gesehen hatten und sie zum erstenmal erblickten, einen schier unfaßbaren Anblick geboten haben: Eine Ansammlung hunderter Häuser auf vielfältig versetzten Ebenen auf einer Fläche von 13 Hektar mit einem auch im heutigen Sinne städtischen Charakter, obwohl es in Catal Höyük weder Straßen noch Plätze gab. Die Häuser waren, zum Teil mit Höfen dazwischen, Wand an Wand aneinandergebaut und der gesamte Verkehr spielte sich auf den Dächern ab. Dadurch war die Stadt vor Eindringlingen geschützt - es gab keine offenen Straßen, in die Tiere hätten eindringen können, und menschliche Feinde mußten im Labyrinth unter der Dachlandschaft schnell die Orientierung verlieren.

Alle Häuser waren aus luftgetrockneten Lehmziegeln errichtet und hatten eine raffinierte, den Wänden vorgesetzte, von Holzstützen getragene Dachkonstruktion, die bisher nirgend sonst gefunden wurde. Der Kalkputz im Inneren wurde alljährlich neu überstrichen. Wurde ein Haus nach 100 bis 120 Jahren baufällig, errichtete man auf den eingeebneten Resten ein neues, so daß der innere, alte Teil der Stadt in die Höhe wuchs, während sie sich nach außen ausbreitete. Eine der erstaunlichsten Entdeckung von Catal Höyük ist ein Beleg der ordnenden Absicht, sozusagen ein Dokument frühester Stadtplanung und zugleich eines fortgeschrittenen Abstraktionsvermögens, nämlich ein typisierter Stadtrundriß an einer Wand, der auch den 140 Kilometer entfernten Vulkan Hasan Dag einbezieht. Die Stadt war offensichtlich das Ergebnis einer Mischung von Freizügigkeit und planender Überlegung.

Man schlief auf Lehmpodesten, unter denen man die Reste der Toten begrub. Vorher wurden sie, wie in vielen jungsteinzeitlichen Gesellschaften, von Geiern skelettiert. Das Geierheiligtum muß auch nach heutigen Begriffen ein unheimlicher Raum gewesen sein: Geier in voller Lebensgröße stoßen auf kleine Menschenleiber herab, deren fehlender Kopf besagt, daß es sich um Tote handelt. In der hockenden oder ausgestreckten Haltung, die sie auf den Darstellungen einnehmen, wurden die Skelette auch bestattet. Die Wandbilder sind künstlerisch auf der Höhe jener in französischen und spanischen Höhlen, die herabstoßenden Geier sind zum Teil "um die Ecke" auf zwei Wandflächen gemalt, wodurch ein Raumeffekt entsteht. Die Wirkung auf durch die niedrige Tür gebückt Eintretende muß beachtlich gewesen sein. Es gab in Catal Höyük aber auch reine Stierheiligtümer.

Aus der Allgegenwart weiblicher Figuren, darunter eine Frauengestalt mit drastisch übertriebenen Formen auf einem Leopardenthron, schließt ein Teil der Forscher auf eine matriarchalische Gesellschaft. Noch in der Spätzeit der Stadt veranschaulicht das Wandbild eines riesigen Stiers, neben dem sich die Jäger "wie Insekten, die den riesigen Stier umschwirren" ausnehmen, die Bedeutung der Jagd und die Haltung gegenüber dem Jagdtier zu einer Zeit, in der, historisch gesehen, die Seßhaftwerdung des Menschen noch nicht sehr weit zurücklag.

Monique Mulder versuchte in der Computeranimation möglichst viel von der Atmosphäre der Räume einzufangen - wie sie nach unserer heutigen Vorstellung gewesen sein könnte. Die stillstehenden Bilder des Buches geben davon eine gute Vorstellung. Vielleicht geht auch einmal der Wunsch der Forscher in Erfüllung, die Räume als virtual reality in voller Lebensgröße zu rekonstruieren - wie es mit der Höhle von Lascaux bereits geschehen ist.

DIE ENTDECKUNG VON CATAL HÖYÜK Der archäologische Jahrhundertfund Von Heinrich Klotz Verlag C.H. Beck, München 1998 80 Seiten, viele Farbtafeln, Abbildungen, Pb., öS 204,

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung