Welche Lust in freier Luft

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Jetzt erst, nach dem Besuch einer sommerlichen Freiluftaufführung, ist mir vieles klar. Etwa warum einander in Wien das Kunst- und das Naturhistorische Museum wie zwei feindliche Blöcke gegenüberstehen. Und wieso gar das Technische Museum in weiter Entfernung der beiden Semper und Hasenauer-Gebäude liegt.

Kunst und Technik vertragen sich nämlich nicht mit der Natur. Und wo sie es zu tun scheinen, ist's wie mit einer Emulsion, sie vereinigen sich nur zum Schein, streben aber in Wirklichkeit strikte Trennung an.

Die Einsicht sollte freilich allen Veranstaltern von Freiluftaufführungen längst die Lust am Veranstalten von Freiluftaufführungen genommen haben. Daß sie es nicht getan hat, gehört zu den Wundern dieser Welt.

Noch nie einem Sommerspiel der genannten Art beigewohnt habend, ging ich dieser Tage naiv in Richtung eines Aufführungsortes und sah bei Annäherung an denselben viele Menschen, die trotz wolkenlosem Himmel regenschirmbewaffnet zur Freiluftbühne zogen. Außerdem trugen sie, zum Teil gar nicht theatermäßig gekleidet, Ausflugsdecken unterm Arm. Sie taten es, wie mir im Laufe der Vorstellung bewußt wurde, zu Recht.

Bereits am Ende des ersten Aktes fror ich erbärmlich, und einige andere, die gleich mir bar jeglichen Schutzes in die Arena gezogen waren, standen polternd auf und kamen ebenso polternd mit Diversem, was sie wärmen sollte und was sie aus ihren Autos geholt hatten, zurück an ihre Sitzplätze.

Diese waren wackelige harte Klappstühle, wie man sie aus Ausflugsgasthöfen kennt, und ich vergaß sie nur in seltenen Momenten, etwa wenn ein AUA-Flugzeug durch eine Pianissimo-Stelle der Ouvertüre donnerte oder wenn ich mit Spannung beobachten konnte, wie die ersten Fledermäuse die letzten Mauersegler ablösten, während mir zwei Gelsen gefährliche Lieder ins Ohr summten. Jetzt, Aida legte gerade eine heftige Liebesszene auf die Pawlatsche, fiel für eine Minute die Lautsprecheranlage aus. So konnte ich Hansi Hinterseer, dessen aktuellste CD aus einem nahen Gasthof ertönte, besser hören. Eine Dame in der Reihe vor mir zündete sich eine Zigarette an und erklärte ihrer Nachbarin, daß es heute erst ihre fünfte sei, der Herr neben mir öffnete, da er vom warmen Tag her durstig war, was er seiner Frau erklärte, mit lautem Knall eine Bierdose und süffelte sie genußvoll aus, und aus dem improvisierten Buffet nahm ich die Vorbereitungen für die Pause wahr, es schepperten Limonadeflaschen und ein leichter Cevapcic'i-Duft zog sich übers Publikum hin bis zum Nil auf der Bühne.

Jetzt, der Bühnenmond strahlte flackrig auf das Verdi'sche Geschehen hernieder, begannen einige wahnsinnig gewordene Mopedfahrer auf der nahen Bundesstraße ein Wettrennen, und es war wohl eine Maus, die mir verstört ein paar Zentimeter das rechte Bein emporgeklettert war, mich aber enttäuscht nach wenigen Sekunden verließ.

Da wurden auch schon die ersten Schirme aufgespannt, die Sterne waren einem wolkenverhangenen Firmament gewichen, erste Tropfen fielen hernieder, Radames wollte abgehen, doch die Regisseurin zwang ihn zum trotzigen Verweilen und behielt recht, denn der für einige Minuten aufkommende Sturm vertrieb das Regenwetter, erleichtert klappten die Paraplüs zu. Ganz nahe dem romantischen, aber witterungsabhängigen Ort, ich weiß es, wäre ein bezaubernder gotischer oder gar romanischer Saal gewesen, der sich gut für die Kunstdarbietung geeignet hätte.

Doch es soll nicht sein. Alljährlich lächeln sie uns werbend von den Plakaten an, der Diener zweier Herren, der Talisman, der Alpenkönig und der Menschenfeind. Unter freiem Himmel. Und es ist ja wahr. Das Käsbrot und der Glühwein in der Pause waren wirklich köstlich.

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