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Es gibt zwei Möglichkeiten des sommerlichen Verzichts auf das Fernsehen. Die Katastrophen-Variante tritt ein, wenn die Überspannung eines Gewitterblitzes den Apparat beschädigt und die Reparaturwerkstätte gerade Urlaub hat. Die Wohltats-Variante tritt ein, wenn der sogenannte TV-Konsument selbst auf Urlaub ist und sich in seinem Ferienquartier vorher nicht erkundigt hat, ob im Zimmerpreis auch ein Fernsehgerät oder zumindest ein Raum mit gemeinschaftlichem Fernsehempfang enthalten ist. Zimmer ohne eine der beiden Möglichkeiten sind, wie erfahrene Vermieter oder Hoteliers versichern, heutzutage schwer und kaum ohne Preisabschlag zu vermitteln. In Quartierverzeichnissen achten präsumptive Gäste häufig auf die Symbolzeile, in der ein kleines Kastel oder die Buchstaben TV die Sicherheit der elektrokommunikativen Informations- und Kulturversorgung andeuten. Es gibt kaum Urlaubsgäste, die bewußt auf feriales Fernsehen verzichten oder die den Nichtempfang sogar als Vorzug schätzen. Aber es gibt leichtsinnige Menschen, die andere Urlaubsqualitäten so hoch bewerten, daß sie rechtzeitig die Fernseh-Möglichkeiten einfach nicht beachten.

Die Folgen sind keineswegs zu vernachlässigen. Es mag schon sein, daß das Familienoberhaupt spätestens bei Sonnenuntergang in die lethargische Ermüdung eines erholsamen Tages versinkt. Eine gewisse nervöse Unruhe seiner ihm Anvertrauten sollte ihm jedoch rechtzeitig als mediale Entzugserscheinung auffallen. Die Blicke irren suchend in einen Winkel des Zimmers oder fixieren den in Gästezimmern häufig anzutreffenden Aquarelldruck einer südlichen Landschaft an der Wand als müßte daraus jeden Augenblick die Signation der "Seitenblicke" hervorquellen. Doch die südliche Landschaft rührt sich nicht und verdämmert im friedlichen Abendlicht. Schweigen lastet im Raum und daraus steigt in halblauter Resignation ein Satz entsagender Unzufriedenheit auf: "Nicht einmal Fernsehen haben wir da!" Der versteckte Vorwurf trifft. Der Familienvater oder jenes Familienmitglied, welches dieses Urlaubsquartier gebucht hat, hat die TV-Möglichkeit sträflicherweise nicht bedacht. Noch ist der geistige Schaden gering, aber was soll erst werden, wenn das Wetter umschlägt, wenn also Regen tagelang niederhängt, wenn Wandern und Schwimmen ausfallen müssen? Die Auswahl hierorts erhältlicher Printmedien ist gering, die drei Kriminalromane der hauseigenen Bibliothek sind schnell gelesen und in der nahegelegenen Burg Scherbenstein waren wir schon. Bleibt als Informations- und Unterhaltungsquelle nur der Hörfunk, dessen Dauerberieselung auf unterschiedliche Zustimmung stößt. Ein Glück, daß der Jüngste wenigstens sein Computerspiel mitgenommen hat! Für die Erwachsenen und Älteren erwecken Halma und Mensch-ärgere-dich-nicht etwas ermüdende Remineszenzen.

Man begibt sich verhältnismäßig früh zur Bettruhe und seufzt dem nächsten langweiligen Abend entgegen. Es dauert zwei bis drei Tage bis die Entzugserscheinungen abflachen. Es gibt einige Diskussionen und moderate Streitereien. Schließlich findet man sich ab und manchmal kommt es sogar schon zu familieninternen Plaudereien und der Entdeckung mancher verborgener Wünsche und Fähigkeiten. Der Vorwurfsblick in den Winkel oder an die Wand verschwindet.

Und dann trifft Bekanntenbesuch ein. Man sitzt beisammen, redet über dies und das, und einer fragt plötzlich: "Sagt einmal, ihr lebt da so ganz ohne Fernsehen? Geht euch das nicht schrecklich ab?" Verdutzte Gesichter, Kopfschütteln. Eine psychische Umstellung scheint vor sich gegangen zu sein. "Ehrlich gesagt", meint der Familienvater, "wir vermissen es nicht mehr. Und es ist auch so recht gemütlich!" Die Familie suggeriert Zustimmung.

Nach einer Woche geht das Nichtvermissen in einen Normalzustand über. Das Unglaubliche ist wahr geworden. Man kann auch ohne Fernsehen leben und noch dazu ganz angenehm.

Das mitleidvolle Entsetzen, welches nicht nur diese Familie kürzlich ergriff, als sie erfuhren, daß die islamischen Fundamentalisten alle Fernsehgeräte abliefern und entfernen ließen, weil durch sie nur die Unmoral verbreitet werde, weicht in diesen Urlaubstagen einem gewissen wohlwollenden Verständnis.

Es sei, so erzählte unsere Beispiels-Familie, heuer ein besonders schöner Urlaub gewesen, der die Nerven geschont und die gegenseitige Kenntnis vertieft habe.

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