Winddurchfegtes Blütenmeer

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Streifzug durch die endlosen Weiten Argentiniens.

Vor mir erstreckt sich die umfangreichste zusammenhängende Eisfläche außerhalb der Polarregionen. Mit 22.000 Quadratkilometer ist sie bereits größer als das Bundesland Niederösterreich und bleibt weiterhin auf Expansionskurs. So dehnt sich der Perito-Moreno-Gletscher jeden Tag um einen Meter aus. Vom nahegelegenen Aussichtspunkt werden wir Zeugen seines ständigen Bewegungsdranges. Da, ein ohrenbetäubender Knall! Im nächsten Moment bricht ein Eisturm so mächtig wie ein Hochhaus ab und donnert in den angrenzenden See.

Am folgenden Tag erleben wir auf Deck eines Exkursionsschiffes die weiße Pracht aus nächster Nähe. Im Slalom an gigantischen "Eisskulpturen" vorbei gelangen wir zum Fuß des Spegazzini-Gletschers. Blauschimmernd wie ein Juwel steigt vor uns Zwergen eine riesige weiße Mauer empor.

Blutrote Wiesen

Auf dem Rückweg aus der Eishölle durchqueren wir die Welt des Surrealen. Vor einer hochalpinen Kulisse spannt sich eine Wiese blutrot gefärbt. Wie in einer Vision eines modernen Künstlers durchschreitet ein Roß samt Reiter diese Traumszene. Bald entdecken wir eine natürliche Erklärung für diese außergewöhnliche Stimmung, nämlich farbig leuchtendes Gras. Ob es dem Vieh so gut schmeckt wie die grüne Variante?

Wir befinden uns hier am Rande der Anden, unweit der chilenischen Grenze. Mit fotografischen Studien beschäftigt, nehme ich plötzlich ein gewohntes, aber unerfreuliches Geräusch wahr, um gleich darauf von einem vorbeifahrenden Auto in eine enorme Staubwolke eingehüllt zu werden.

Aus meiner Kontemplation gerissen, erinnere ich mich, dass ich den Nationalpark verlassen und den nächsten, 300 Kilometer entfernten Ort erreichen möchte. Da es bereits spät geworden ist, beschleunige ich meinen Mietwagen auf 40, 50, ja sogar 60 Stundenkilometer. Beständig hämmert der von den Reifen hochgeschleuderte Schotter auf den Fahrzeugboden, als ob wir unter Beschuss geraten wären.

"Bist du wahnsinnig?" schreit meine Frau neben mir. "Willst du diesen Klapperkasten zu Schrott fahren?" So undankbar ist nun das zarte Geschlecht, nur ihr zuliebe habe ich doch diese großzügig ausgebaute, von allen Einheimischen gelobte Landstraße gewählt, anstatt den direkten Weg einzuschlagen!

Beinahe am Ende des argentinischen Festlands, 2.500 Kilometer südlich von Buenos Aires, stoßen wir auf einen sagenhaften Goldschatz. Auf einem sanft geneigten Abhang breitet sich ein endloser Teppich mit glühenden Blütenpolstern aus. Dieses prachtvolle Gewächs hat die baumlose, winddurchfegte Ödnis in ein zauberhaftes gelbes Meer verwandelt.

In der Gletscherlandschaft haben wir den charakteristischen Vogel der Antarktis vermißt. Wie die Seelöwen und See-Elefanten leben die schwarzweißen Magellan-Pinguine nur an der Meeresküste. Von Oktober bis März kommen sie zu Tausenden auf Punta Tombo zusammen. Nach sechsmonatigem Eheurlaub auf hoher See finden sich meistens die gleichen Partner in ihren angestammten Strandhöhlen wieder. Mit ihren besonders dicken Schnäbeln tragen die Männchen "Säbelgefechte" gegen ihre jeweiligen Rivalen aus. Geraten sie in Rage, töten diese drolligen Geschöpfe, die an tolpatschige Kellner erinnern, manchmal hemmungslos ihre Gegner.

Menschen hingegen lösen bei ihnen keinerlei Aggressionen aus und so watscheln sie friedlich zwischen den Besuchern umher. Pinguine finden wir nur auf der südlichen Halbkugel der Erde, die meisten Arten bewohnen polarnahe Lebensräume.

Nandus auf der Flucht

Die Guanakos wiederum, mit Kamelen verwandt, scheuen Menschen. Genauso flüchten die Nandus in die Weite der Ebene. In ihrer Lebensweise sind sie mit den Straußen der afrikanischen Savanne oder den Emus von Australien vergleichbar.

Manchmal trippeln igelgroße Gürteltiere über die Fahrbahn. Werden sie bedroht, können diese gepanzerten Tiere sich zu Kugeln zusammenrollen. Mit untergetauchten Köpfen suchen rosarote Flamingos in Teichen neben der Straße nach Nahrung.

Selbstverständlich gehört ein Ranchaufenthalt zu jedem Urlaub in Argentinien. Auf dem Rückweg nach Buenos Aires versuchen wir mitten in der Pampa unsere gebuchte Unterkunft ausfindig zu machen. Leider hat man die Lage der Estancia "Sumain" falsch auf unserer Karte eingetragen. Stundenlang irren wir umher, wobei uns unzählige Reiher und rosafarbene Löffler immer wieder von unserem eigentlichen Ziel ablenken. Dennoch kommen wir rechtzeitig zum Abendessen, das hier erst um 22 Uhr 30 serviert wird.

Bei diesem mitternächtlichen Imbiss stehen wie immer Riesenmengen von Rind- und Lammfleisch auf dem Speiseplan. Vorsichtig fragen wir, ob BSE-Gefahr droht. Die Anwesenden beruhigen uns; hier ist das Vieh, das im Freien lebt und sich von frischem Gras ernährt, kerngesund.

Nach dem Frühstück brechen wir zu einer Fotosafari auf. Statt Löwen und Giraffen bieten sich 5.000 Rinder und etliche Pferde als Motive an. Die Fleischkühe, die wenig Milch abgeben und kaum Pflege benötigen, weiden sorglos und frei bis zur Schlachtreife. Das wiederum entlastet den Gaucho, der nur die 700 Milchtiere zweimal täglich zur Station treiben muß. Von dort strömt der weiße Saft in ununterbrochener Kühlkette vom Euter bis zum Supermarkt. Selbstverständlich sind die Arbeitsbedingungen sauber, maschinell und hochmodern.

Der Großraum von Buenos Aires mit seinen zwölf Millionen Menschen ist, gleich einem Schiff auf hoher See, von wogender Pampas umgeben. Von diesem Umland haben die Einwanderer im 16. Jahrhundert gelebt. Dort jagten sie nämlich die entlaufenen Rinder, die sich dort bereits stark vermehrt hatten. Ihre Häute verkauften sie nach Europa, die Kadaver ließen sie den Aasvögeln und den Würmern zum Fraß übrig.

Und jetzt Tango!

Nach Wochen in der Wildnis sind wir hungrig nach Kultur - und das bedeutet hier vor allem Tango. Uns fesseln die blitzschnell und treffsicher umher wirbelnden Beine, die tollen Verrenkungen der Taille und des Oberkörpers der Tänzer, die immer neue erotische Konfigurationen zustande bringen.

Nun ist das windgebeutelte Patagonien mit seinen faszinierenden Tieren und seinen endlosen Blumenteppichen in weite Ferne gerückt, jetzt wollen wir Buenos Aires mit seinen großzügigen Parkanlagen und verlockenden Läden kennenlernen. Im Arbeiterviertel "La Boca" bestaunen wir Straßenzüge von einfachen, aber skurril bunten Häusern, dann statten wir Eva Perón einen Besuch auf dem Friedhof "Recoleta" ab.

Touristisch hat die argentinische Hauptstadt sonst nur wenig zu bieten, dennoch genießen wir die wunderbare Atmosphäre dieser "europäischen" Metropole, die sich zufälligerweise in Südamerika befindet.

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