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Aden: Paradies oder Hölle?

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Aden heißt zu deutsch „Paradies“. Doch knapp 129 Jahre Kolonialherrschaft machten es, behaupten seine neuen Machthaber, zur Hölle. Erst seit etwas mehr als 129 Stunden ist es, scheinbar, wieder ein Paradies. Obwohl Sir Humphrey Trevelyan, der letzte Hochkommissar, den seit zwei Jahren andauernden Ausnahmezustand eine Woche vorher aufhob, der Truppenabzug einer organisierten Flucht glich, und es nicht zu einer ordentlichen Machtübergabe kam, gab es keine Unruhen.

Ihrer britischen Majestät Statthalter hatte sich bereits erst unlängst auf französisch empfohlen. Kein einheimischer Würdenträger gab ihm das Geleit, und er überreichte niemandem den Schlüssel des hoch über der Stadt gelegenen alten Goüver-neurpalastes, in dem Inzwischen schon der neue Diktator residiert, übrigens noch schärfer bewacht als sein „Mietvorgänger“. Nur die britischen Soldaten spielten eine Ab-schiedsmelödie; ihr frei übersetzter Refrain: „Es war einmal!“

Mancher der 120 Elitesoldaten — die, unter dem Kommando eines Marineleutnants, den Abflug ihrer

Kameraden sicherten, dann in ihre Hubschrauber sprangen, um hinüberzufliegen zum Flugzeugträger „Eagle“ — mag befürchtet haben, jetzt werde sogleich der Bürgerkrieg ausbrechen. Doch als die britischen Flotteneinheiten Anker lichteten und langsam zum letztenmal aus dem historischen Hafen ausliefen, herrschte vollkommene Stille.

Die Läden blieben geschlossen, und es waren so wenig Menschen auf den Straßen, wie während der schlimmsten Ausschreitungen. Patrouillen fuhren jetzt die Soldaten der Föderationsarmee. Fernsehen und Rundfunk spielten zunächst weiter englische Lieder und verbreiteten, kurz vor 24 Uhr, die letzten un-zensierten BBC-Nachrichten. Dann erklang noch einmal die Nationalhymne der „Südarabischen Föderation“.

Die Szene wechselt

Schlag Null Uhr änderte sich die lang gewohnte Szene. Während die britischen Schlachtschiffe dem „Kap der Guten Hoffnung“ zusteuerten, entrichteten die ungefragt, zu Untertanen der jüngsten arabischen Diktatur gemachten Südaraber ihren neuen Herren den ersten Tribut. Zehntausende pilgerten ergeben hinaus zum Flugplatz Khormaksar und bejubelten die im Morgengrauen heimkehrende 17köpflge Delegation der Terroristenorganisation „National Liberation Front“ (NLF); an ihrer Spitze den künftigen Diktator Kachtan Mohammed as-Schaabi.

Kachtan und seine Begleiter kamen aus jahrelangem Exil oder aus dem Gefängnis, von wo man sie geradewegs an den Genfer See geholt hatte. Im „Intercontinental“ der mondänen schweizerischen Kongreßstadt lernten sie die ersten Schritte auf dem glatten interkontinentalen Parkett; im Hauptquartier des „Christlichen Vereins Junger Män-

ner“ feilschten sie neun Tage lang um britische Subsidien. Londoner Chefdelegierter war Lord Shackle-ton, der noch vor einem halben Jahr in Aden versprochen hatte, Großbritannien werde seine letzte arabische Kronkolonie keinesfalls einem Chaos überlassen. Doch der übereilte Abzug (er war eigentlich erst für 8. Jänner 1968 geplant) und das kaum verhüllte Scheitern der Genfer Verhandlungen straften seine Lordschaft Lügen.

Shackleton versuchte bis zum letzten Augenblick vergeblich, gegen

Finanzhilfe in noch festzulegender Höhe Zusicherungen über die Haltung des neuen Regimes zur ungehinderten Schiffahrt durch das Rote Meer, dessen Südpforte es mit der Insel Perim beherrscht, und für die Sicherheit der in dem neuen Staat verbleibenden Europäer einzuhan-deln. Obwohl die Gespräche zweimal unterbrochen wurden, damit der Lord sich in London mit Außenminister Brown beraten konnte, einigte man sich weder über die erwähnten Garantien noch über die Höhe und Dauer der Finanzhilfe. *

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