6654043-1959_19_04.jpg
Digital In Arbeit

ANDREJ A. GROMYKO / VERTRITT RUSSLAND IN GENF

Werbung
Werbung
Werbung

Die Sowjets hatten in den dreißiger Jahren zwei Asse im diplomatischen Corps, die schon als Erwachsene den Duft der europäischen Alchimistenküche vor 1914 mit überfeiner Nase eingeatmet hatten. In Stockholm die legendäre, 1872 geborene Alexandra M. Kol- lontaj (in Schweden redet man heute noch vo n ihr als der „Madame”), Tochter eines zaristischen Flügeladjutanten, in Washington Maxim Litwinow-Finkelstein (geboren 1876), der dem aus Uradel stammenden Georgij W. Tschitscherin 1936 als Außenminister gefolgt war. Litwinow wurde am Vorabend des zweiten Weltkrieges ein Botschaftsrat zugeteilt, der daheim im Außenamt durch Bienen- Fleiß aufgefallen war: Andrej Andrejewitsch Gromyko, Jahrgang 1908, das begabte Produkt der nachrevolutionären Diplomaten- schule: der erste, der auf internationalem Parkett debütierte.

Der Kleinbauernsohn aus Gromyki (Weißrußland) hatte Landwirtschaft studiert und am Lenin-Institut in Moskau promoviert. Der Laufbahn entsprechend, kam er in das ökonomische Institut der Akademie der Wissenschaften und in den Redaktionsstab der Zeitschrift „Probleme der Oekonomie”. Vermutlich durch Shdanovs, des großen Internationalisten, Fürsprache sattelte er zur Diplomatie um und kam nach Amerika. Er suchte — so wird berichtet — niemandes Gunst, las fleißig Akten, lernte eifrig weiter, galt als artiger, aber zugeknöpfter Gastgeber, dessen kargen Humor die Amerikaner lange für prägnanten Mutterwitz hielten. Frau, Sohn und Tochter blieben immer im Hintergrund. Er wußte sich eine bedeutende Stellung zu verschaffen, erleichtert durch die dann nach Hitlers Ueberfall auf Rußland üppig ins Kraut schießenden Gunstbezeigungen der Amerikaner, die Stalin nur „Onkel Joe” nannten. Der junge Mann mit den tiefschwarzen Augen, der interessanten Blässe, erzielte später im Weltsicherheitsrat, wo er sein Land vertrat, immer volle Ränge. Erst half er Molotow bei der Handhabung der Obstruktionellen Feinmechanik, später beherrschte er die retardierende Klaviatur selbst meisterhaft. Seine Njets kleidete er in Blumensträuße gefälliger Komplimente, die vielen Vetos führten zum Scherzwort über ihn: „Veni, vidi, veto!”

Mitte Mai 1947 wurde seine Tätigkeit belohnt: Ernennung zum Stellvertretenden Außenminister und Verleihung der roten Bannerordens. Bei der sich vertiefenden Front des kalten Krieges wurde er 1948 nach Moskau zurückberufen. 1952 kommt er auf den wichtigen Botschafterposten nach London. Damals tauchten Mutmaßungen um einen „Gromyko-Plan” auf. Er soll dem englischen Außenminister einen detaillierten Plan zur Neuaufteilung der Welt, Schaffung einer Pufferzone in Europa, ja sogar in Asien unterbreitet haben. Jedenfalls kam ihm dabei der neunjährige Aufenthalt in Amerika zugute, wo er mit scharfem Auge nicht nur Erfahrungen sammelte, sondern die Landessprache so perfekt lernte, daß er bekanntlich öfter die UN-Dolmetscher korrigieren konnte. Am 15. Februar 1957, zwei Tage nach dem großen Referat Schepilows vor dem Obersten Sowjet, wurde er zum Außenminister bestellt.

Daß der harte Verhandlet, als der er bei der Konferenz der Großen Vier in Genf Rußland vertreten wird, seine eigene Handschrift schreibt, ist kaum anzunehmen. Obwohl ihm die Amerikaner eine starke Persönlichkeit bescheinigt haben, ist der Außenminister der Sowjetunion nur das ausführende Organ genau festgelegter Richtlinien, die von den Lenkern des Parteipräsidiums gezogen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung