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Begegnung in Laxenburg

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Am 23. März stand Prinz Sixtus vor dem Kaiserpaar. Er hatte am 5. März von dem französischen Staatspräsidenten Poincare folgende Vorschläge erhalten: Räumung und Entschädigung Belgiens, Rückgabe Elsaß-Lothringens an Frankreich, Freigabe Serbiens, das einen Zugang zur Adria erhalten soll, freie Durchfahrt durch die Dardanellen für Rußland. Österreich-Ungarn sollte im Interesse des Friedens keine Offensive gegen Italien unternehmen. Von diesen Anträgen war der Rußland betreffende durch die inzwischen ausgebrochene russische Revolution überholt. Andeutungen Poincaräs über die mögliche An-gliederung Bayerns oder Schlesiens an Österreich scheinen keine besondere Rolle gespielt zu haben.

Am Gespräch Prinz Sixtus' mit dem Kaiserpaar nahm Graf Czernin vorübergehend teil, ohne jedoch voll unterrichtet zu werden. Die Debatte endete damit, daß gemeinsam ein Memorandum in Form eines Privatbriefes Kaiser Karls an seinen Schwager ausgearbeitet wurde. Darin erklärt sich der Monarch mit den französischen Vorschlägen einverstanden, verspricht insbesondere, sich für die gerechten Ansprüche Frankreichs auf Elsaß-Lothringen einzusetzen und kündigt nur noch an, er müsse von Serbien Bürgschaften dafür verlangen, daß eine Lage wie die von 1914 nicht abermals eintrete. Sixtus übergab diesen Brief am 31. März Poincare, nicht ohne warmes, ja leidenschaftliches Eintreten für Verhandlungen auf dieser Basis. Wieder fragt es sich aber, Ob der Prinz richtig gehandelt hat, als er das Dokument aus der Hand gab, das in feindseligen Händen zur Waffe werden konnte und ja tatsächlich geworden ist. Es wirkte schon nachteilig, daß der kürzlich ans Ruder gelangte französische Ministerpräsident Ribot an einer Änderung der bestehenden Bündnissysteme nicht das gleiche Interesse zeigte wie sein Vorgänger Briand Er vereinbarte mit seinem britischen Kollegen Lloyd George eine Dreierkonferenz der alliierten Premierminister mit Einschluß Italiens, die am 19. April in St. Jean de Maurienne zusammentrat. Hier protestierte Italien energisch dagegen, daß der Kaiserbrief keine Gebietsabtretung an das Königreich in Aussicht nahm und brachte dadurch das ganze Projekt zum Scheitern.

Lloyd George, der sich an einer frühen Beendigung des Krieges sehr interessiert zeigte, riet Prinz Sixtus, den Kaiser zur Abtretung des Tren-tinos und der daimatinischien Inseln zu bewegen. Als Zwischenträger dieser Gedankengänge weilte Prinz Sixtus vom 5. bis zum 12. Mai 1917 nochmals in Laxenburg. Er fand eine veränderte Atmosphäre vor. Kaiser Karl hatte sich diesmal von seinem Außenminister ein Verhandlungsprogramm ausarbeiten lassen und erklärte, er könne seine Verbündeten nur zu Friedensverhandlungen bewegen, wenn er Garantien für die Integrität des eigenen Staates erhalte. Gebietsabtretungen an Italien lehnte er ab. Dabei dürfte die Erbitterung oller Nationalitäten der Monarchie gegen den früheren Bundesgenossen ebenso mitgespielt haben wie der Verfall der russischen Kampfkraft. Zwar wurde noch der sogenannte „zweite Kaiserbrief“ an Prinz Sixtus redigiert. Er kann aber nur noch von einer Fortsetzung der Fühlungnahmen mit Frankreich sprechen. Prinz Sixtus versuchte durch wiederholte Vorsprachen, die Aktion noch im Gange zu halten, mußte sie aber Ende Juni 1917 aufgeben. Die entscheidende Ursache dafür war wohl der Kriegseintritt der USA am 6. April.

Wie bekannt, hatte diese Friedensaktion ein Nachspiel, das sie erst zur „Affäre“ machte. Graf Czernin provozierte im April 1918 durch unvorsichtige Äußerungen über einen französischen Friediensfülhler, den er wegen der Verteidigung Elsaß-Lothringens abgelehnt habe, den neuen französischen Ministerpräsidenten Clemenceau zur Veröffentlichung des Briefes vom 24. März und brachte dadurch den Kaiser in eine höchst peinliche Lage. Er trat zurück, nachdem er von Kaiser Karl durch die Drohung mit dem Selbstmord eine Art Schuldbekenntnis erpreßt hatte. Das Ergebnis war eine starke Mißstimmung gegen den Herrscher. Wenn Lorenz in der erwähnten Biographie Kaiser Karls bemerkt, es sei Graf Czernins eigene Schuld gewesen, wenn er von der Existenz des ersten Kaiserbriefes nichts gewußt habe, so ist das richtig. Er hätte jedoch noch hinzufügen sollen, daß die ganze Aktion überhaupt in einer geradezu melodramatischen Art mißdeutet wird, wenn damals wie heute von „Verrat am Bundesgenossen“ und den „Intrigen einer italienisch gesinnten Kaiserin“ gesprochen wird!

Der einzige Vorwurf, der gegen die ehrenwerten Bemühungen Kaiser Karls tatsächlich erhoben werden kann, besteht wohl darin, daß er die Wirkungsmöglichkeiten seines Schwagers ebenso überschätzte wie dieser selbst. Hätte die Entente eine Verständigung ernstlich gewollt, so wäre der italienische Protest wohl ebenso wirkungslos geblieben wie zwei Jahre später auf der Friedenskonferenz.

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