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Dennoch Kaiser und König

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Ein Kaiser kämpft für die Freiheit. Von Ludwig A. Windisch-Graetz. Verlag Herold, Wien-München. 227 Seiten, 17 Abbildungen. Preis 126 S

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Ein Kaiser kämpft für die Freiheit. Von Ludwig A. Windisch-Graetz. Verlag Herold, Wien-München. 227 Seiten, 17 Abbildungen. Preis 126 S

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Das vorliegende Werk ist der Bericht eines Augenzeugen, der — am Ende eines bewegten Lebens, reich an Höhepunkten, Enttäuschungen und Erkenntnissen — „es einmal der Geschichtsforschung ermöglichen soll, alle jene Quellen und Dokumente zu finden, welche ja auch in den verschiedenen Staatskanzleien vorliegen, und dann ein klares Bild auf die grauenvolle Tragödie werfen werden, die mit der Beseitigung des letzten Habsburgers das Wohl und Wehe sowie die Zukunft von vielen Millionen Menschen im Donautal vernichtet hat“.

Dem Verfasser, als Enkel jenes Mannes, der 1848 mit Radetzky den Bestand Alt-Oesterreichs rettete, standen nicht mehr die reichen Archivschätze der Familienbesitzungen in Kladrau und Sarospatak zur Verfügung (letztere sind nach jüngsten Mitteilungen ein Opfer der Budapester Katastrophe des Jahres 1956 geworden). Im hohen Alter, „nachdem er vieles besessen und vieles verlassen hat", wie Carl J. Burckhardt in seinem Vorwort schreibt, berichtet Windisch-Graetz subjektiv als Augenzeuge. Daß dabei da und dort Verzeichnungen auftreten, mindert keineswegs den Wert der unmittelbaren Darstellung, da es die Aufgabe des Historikers ist — um nochmals Burckhardt zu zitieren — aus der kritischen Beurteilung aller Zeugnisse „mit Gerechtigkeit" die Summe zu ziehen.

Das Bild des letzten Trägers der habsburgischen Kronen ist in der bisherigen Geschichtsschreibung durch Glorifizierung oder einseitige Verurteilung noch verzerrt, um so mehr, als die Archivbestände bis in die jüngste Zeit verschlossen blieben. Das österreichische Kriegsarchivwerk kam im VI. Band, S. 423, bezüglich der Friedensversuche des Kaisers über den Prinzen Sixtus auf Grund der Protokolle vom 16. März 1917 zwischen Czernin und Beth- mann-HoIlweg zu dem bisher zu wenig beachteten Tatbestand, daß die Einleitung der Friedehsgespräche dem deutschen Verbündeten — allerdings ohne Nennung des Namens — mitgeteilt wurde. Glaise- Horstenau beurteilte in seinem Werk „Die Katastrophe“ (S. 81) den jungen Herrscher dahingehend, daß er „in der gefühlsmäßigen Erkenntnis der sein Reich und sein Haus drohenden außen- und innenpolitischen Gefahren die meisten seiner und wohl auch der reichsdeutschen Staatsmänner gewiß und nicht selten weit überragte“. In einer der jüngsten Veröffentlichungen unserer Tage (Emil Franzel: „Von Bismarck zu Adenauer.“ Ideologie, Wahn und Realismus in der deutschen Politik. Bonn 1957. S. 86) wird der Friedensplan Kaiser Karls vom Frühjahr 1917, welcher auf der Abtretung Elsaß-Lothringens an Frankreich und der Räumung Belgiens sowie der Errichtung eines polnischen Staates beruhte, geradezu als Wendepunkt in der Geschichte des ersten Weltkrieges herausgestellt. Dazu gibt Windisch-Graetz aus eigenem Erleben eine Reihe von neuen Berichten, die beweisen, wie hartnäckig, aber auch vergeblich der junge Kaiser in den Jahren 1917 18 um eine konstruktive Friedenslösung und damit eine großzügige mitteleuropäische Konzeption bemüht war. Sein Hauptwidersacher, der Nationalismus der Völker des Donaureiches, vorweg die engstirnige Politik der Ungarn, die Einfallslosigkeit der Westmächte und die dem Gedanken des „Siegfriedens“ so ergebene deutsche Oberste Heeresleitung, blieben stärker.

In bezug auf die Innenpolitik sind die Kapitel über die engen Verbindungen Karls mit fortschrittlichen ungarischen Politikern aber auch mit der österreichischen Sozialdemokratie, vor allem Doktor Adler, außerordentlich interessant und zeigen (wie auch Oswald Gschließer in seiner jüngsten Untersuchung „Von der Monarchie zur Republik Oesterreich“, Wien 1957, darlegt), daß die Sozialdemokratie Alt-Oesterreichs erst in der Endphase die Wandlung zu einer radikalen republikanischen Richtung vollzogen hat.

Die soziale Einstellung des Herrschers und seine Abneigung gegen die herrschenden Gruppen, Klassen und Interessenverbände ließen wohl den Entschluß reifen, sich in vornehmer Zurückhaltung im November 1918 den Weg zu einer Neugestaltung ohne Blutvergießen zu bahnen.

Ein besonderes Kapitel bilden aber in den Aufzeichnungen von Windisch-Graetz die Erlebnisse an der Seite des exilierten Monarchen vor und während der beiden Rückkehrversuche nach Ungarn. Hier zeichnet der Verfasser sehr klar ein neues und durch die zeitgeschichtliche Forschung bestätigtes Bild der Entwicklung seit 1919 im Ungarn Horthys. Die fast zufällige Rolle Horthys als Retter vor der kommunistischen Gefahr hat durch eine willfährige Presse und Pseudogeschichtsschreibung dem einstigen k. u. k. Admiral einen Nimbus gegeben, der auch im letzten Erinnerungswerk Horthys verstärkt werden sollte. Die Wahrheit ist anders, und schon im Jahre 1920 wiesen einsichtige österreichische Stimmen darauf hin, daß die Uebergriffe und Gewaltmaßnahmen der ultranationalen Offiziersgruppen der Horthy-Armee gegenüber der Arbeiterschaft eines Tages keine Entschuldigung finden könnten (Oesterreichische Wehrzeitung vom 6. März 1920.) Windisch-Graetz zeichnet ein düsteres Bild der Frühepoche der Diktatur des Reichsverwesers, der in Wirklichl'-vt der Gefangene der radikalen rassenschützlerischen Elemente

um Gömböi war. Auf diesem Hintergrund gewinnen die Rückkehrversuche des gekrönten Königs neue Aspekte, um so mehr, als beträchtliche Teile der Arbeiterschaft und der Sozialdemokratie von der Wiederkehr des Staatsoberhauptes die Befreiung von den Gewaltmaßnahmen der Gegenrevolution erhofften. Daß die Pläne des Königs scheiterten, lag in der weltpolitischen Situation ebenso begründet wie in der Zurückhaltung Karls, ähnlich wie 1918 den Weg der Gewalt nicht zu beschreiten. Im übrigen

sei vermerkt, daß die dramatische Darstellung von Windisch-Graetz in den letzten Kapiteln seines Werkes über die ungarischen Ereignisse durch die vom Rezensenten eingesehenen Aufzeichnungen eines der hauptbeteiligten ungarischen Offiziere seine vollinhaltliche Bestätigung findet, wie überhaupt die ganzen Ereignisse in Mitteleuropa in den Jahren 1919 20 einer wissenschaftlichen Klärung bedürfen. Dafür wird der noch unveröffentlichte Nachlaß des Generalobersten Seeckt manche Aufschlüsse bieten können. Der Augenzeugenbericht von Windisch- Graetz ist aufrüttelnd, lebendig und voll Tatsachenmaterial zur Geschichte der Tragödie, die 1918 begann und bis heute nicht im. Donauraum ihren Abschluß gefunden hat.

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