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Das dicke Ende

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In der tschechischen Presse mehren sich die schmerzlichen Feststellungen des Unheils, das der chauvinistische Furor mit der Ausweisung aller Deutschen angerichtet hat. Die tschechische Zeitschrift „O b z o r y“ (Rundschau) schreibt in ihrer Nummer 32:

„Die Austreibung der Deutschen beginnt sich gegen die Tschechoslowakei zu richten. Im früheren Sudetenland, dem heutigen sogenannten Grenzgebiet, liegt der Schwerpunkt jener böhmissken Industrie, die hauptsächlich nur für den Export arbeitete. Zu ihr gehörte neben der Textilindustrie besonders die Erzeugung von Glas, Bijouterie, Pelzwaren und Musikinstrumenten. Die Maschinen und Werkzeuge dieser oft auf Heimarbeit aufgebauten Industrien wurden von den Behörden beschlagnahmt, so daß die ausgewiesenen Deutschen nur ihre Fähigkeiten und ihre Geschicklichkeit mitnehmen konnten. Alles andere blieb in den verlassenen Städten und Dörfern zurück. Der Hauptstrom der ausgewiesenen Deutschen ergoß sich nach Bayern, das nach dem anfänglichen Schrecken, den ihm diese Scharen von elend aussehenden Menschen einjagten, den Nutzen erkannte, welchen diese Menschen ihm mit ihren Kenntnissen zu bringen vermochten. Die Behörden unterstützen deshalb die Ansiedlung der Neuangekommenen. Die Einwanderung führte zur Gründung dreier großer Zentren der Industrie. In Schwäbisch-Gmünd ließ sich die Schmuckindustrie nieder. Den Gab-lonzer Glas- und Bijouterieerzeugern öffnete Kaufbeuern im Allgäu seine Tore. Bis jetzt konnten dort 30 Glasöfen und fünf Glaspressen eröffnet werden. Die Inbetriebsetzung neuer steht bevor. Die Einwanderer zeichneten aus ihrem Gedächtnis die Maschinen nieder, die sie zurücklassen mußten, und ließen sie sich von den einheimischen Handwerkern herstellen. Die Produktion läuft schon auf vollen Touren und die ersten Erzeugnisse konnten bereits in die Welt gesandt werden. So wurden im Monat August allein bisher 15 Millionen farbige Knöpfe — eine Spezialität von Gablonz — ausgeführt. In Erlangen und Mittelwald haben sich die B 1 a s- und Streichmusikinstrumentenmacher nieder-

Die Bedürfnisse des Menschen, von der Natur ausgegangen, haben den Völkern Gesetze gegeben, Obrigkeiten bestimmt. Throne errichtet zum Schutze der Gerechten, zum Schrecken der Bösen, denen die wehrlose Stimme der Vernunft ein zu schwacher Zaum ist... Die Natur schreibt dem Untertan, dem Herrscher, dem Freunde, dem Bruder, dem Bürger, dem Menschen seine Pflichten vor. Alle die verschiedenen Regierungsarten, die verschiedenen Gebräuche und Gewohnheiten, wodurch sich die Völker voneinander unterscheiden, haben, wofern sie nicht mit der Vernunft im Widerspruche stehen, ihren Grund in der Natur. Die Religion kommt dazu, und, weit entfernt, diese heiligen Bande zu zerreißen, befestigt sie vielmehr dieselben.

St. Augustinus: De civitate gelassen, die einst Westböhmen berühmt gemacht haben.

Diese neue Konkurrenz wird in der Republik (Tschechoslowakei) vielfach unterschätzt. Man vergißt, daß man langsam die Leute verliert, die eine der Voraussetzungen für das Blühen unserer Industrie waren So konnte zum Beispiel in Schluckenäu, wo sich eine Fabrik zur Herstellung elektrischer Geräte befindet und wo ein ausgezeichneter Spezialist — ein deutscher Professor — arbeitete, diese nicht weiterarbeiten, weil die Belegschaft, obwohl ihn die Leitung halten wollte, ablehnte, mit ihm weiterhin zusammenzuarbeiten. Aus W e i p e r t mußte der beste Posamentenerzeuger auswandern, ohne daß sich bis jetzt ein Tscheche fand, der dies Handwerk wenigstens gelernt hätte. Einmal ist es die unverständige Leitung der Betriebe, ein anderes Mal die Arbeiterschaft, dann wieder sind es die Ämter, durch deren Wirken wir die letzten deutschen Spezialisten verlieren, aus deren Zu-' zug nur die neuen Konkurrenzunternehmungen, besonders in Deutschland, profitieren.

Die Verhältnisse in den großen Fabriken sind ähnlich. Meistens besteht die Belegschaft der Arbeiter aus Deutschen und einem kleinen Teil Tschechen, während die Bürokräfte nur Tschechen sind. Oft sind in den Werkstätten überhaupt keine Tschechen. Wie sich dies geltend machen wird, wenn einmal alle Deutschen weg sein werden — ein Zeitpunkt, der in nicht mehr allzuweiter Ferne liegt —, kann sich jeder vorstellen. Der Versuch eines bekannten Unternehmers, tschechische Bürokräfte dazu zu bewegen, freiwillig in die Werkstätten zu gehen, mißlang vollständig. Viele Unternehmen, die für den Export arbeiten, müssen zusperren, weil sich in den vergangenen 15 Monaten nicht ein Mensch fand, der fachlich geeignet gewesen wäre, den Betrieb zu leiten. In einigen andersn Unternehmungen fand man Leute, die auch nadi dem Weggang der Deutschen in der Lage waren, den Betrieb weiterzuführen. Aber dies sind nur wenige. Bei der Ausweisung der Deutschen ging man sehr genau, vor. L eider vergaß man aber, daß die Industrie, und insbesondere die für den Export tätige, nicht nur aus Gebäuden und Werkzeugen besteht, sondern daß sie auch der Gehirne und Hände bedarf, die diese. i Maschinen erschufen. Der widitigste Teil unserer Exponindustrie übersiedelte nach dem Ausland und gibt somit jenen Ländern, zu denen nisnt nur Deutschland und Österreich, sondern auch England und Amerika gehören, die Möglichkeit, eine Industrie aufzubauen, die bisher der Stolz und die Quelle unseres Reichtums war.“

Es bleibt nur hinzuzufügen, daß die bisherigen Ergebnisse der radikalen Verstaatlichungsaktion, die nur die Zwergbetriebe als Privatunternehmungen bestehen ließ, nicht ermutigender aussehen.

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