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Das tödliche Feuerwerk

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Dieses Gewimmel von Verkaufenden und Käufern, von Schwarzhändlern und Nichtstuern, von Soldaten und Polizisten in jeder Uniform, von

Bettlern und Dirnen war aber in der Nacht zur Ruhe gekommen, als das Unheil über Saigon hereinbrach. Mit Ausnahme einiger amerikanischer Einheiten und Dienststellen, die die Ansetzung der Alarmbereitschaft als vertraute Störung hirmahmen, gab es in der ganzen Stadt nur zwei Gruppen, die auf Posten waren: das waren die Angreifer, über deren Stärke nach wie vor widersprechende Berichte vorliegen, jedenfalls waren es nicht mehr als einige tausend Vietkongs — und das war die Feuerwehr von Saigon.

Drei Uhr dreißig: die Stadt liegt im tiefen Schlaf. Man hatte bis lange nach Mitternacht in den Häusern ausgiebig gefeiert, Schnaps und Redswein waren in Strömen geflossen, das Knallen der Raketen war nach Mitternacht etwas schwächer geworden, es hatte aber noch nicht aufgehört. Jeder, der einmal ein Feuerwerk miterlebt hat — und in Saigon werden pro Kopf 60 Mark für dieses farbige Spiel zu Neujahr ausgegeben —, weiß, daß man schwer zwischen dem friedlichen Knallen und dem kriegerischen Lärm unterscheiden kann. Maschinengewehre, leichte Flakwaffen, Pistolen und Handgranaten, das klingt nicht viel anders als „Donnerschläge“ und andere Feuerwerkskörper.

So nahmen es auch die Angehörigen der deutschen Botschaft, die wie ihr Botschafter Dr. Kopf in der Nähe des Flugplatzes von Tan Son Nut wohnen, als kein schlechtes Zeichen, als sie in der frühen Morgenstunde durch anschwellenden Lärm geweckt wurden. Es mochte, so erzählten mir einige von ihnen ihre Gedanken, ein neuer Ansturm der Festesfreude sein, den man als Europäer zwar mit Unwillen anhörte, der einem jedoch als unvermeidliches Übel vertraut war. Erst als in einige leichte Bauwerke klatschend die Geschosse einschlugen, als sich die Brandrote zeigte und als Raketengeschosse in der Nähe mit einem Krach explodierten, der nun doch über den gewohnten Lärm hinausging, merkten die Deutschen, wie die übrigen Bewohner des Viertels am Flugplatz, daß etwas kaum Glaubliches eingetreten war: der Feind war mitten in die Stadt edngedrungen.

Das Land umkreist die Stadt

In den Stunden vor Beginn der Sperrstunde hatten sich die Viet- kong-Kommandos zu ihren Angriffszielen begeben. Sie warteten auf die Stunde des Losschlagens in leeren Schulen, buddhistischen Pagoden, Lagerschuppen oder in Wohnungen von Gesinnungsgenossen. Wochenlang, so berichteten Gefangene später, hatten sie die Angriffstaktik geübt. Ihre Vorgesetzten hatten keine Mühe gescheut, die Männer für ihre Aufgabe einzuweisen. Ungezählte Photographien waren beschafft worden, damit sich die Vietkongs auch ja in dem Gewirr der Straßen und Gassen zurechtfinden könnten. An Sand kästen mit Modellen der Gebäude hatte man durchprobiert, welches Verhalten am erfolgversprechendsten sein würde.

Ich weiß nicht, ob die Erzählung stimmt, die ich hörte, daß in der Nähe der Grenze Kambodschas wo sich die Vietkongs in der „Zone D“ ein dichtes Verteidigungs- und Tunnelnetz errichtet haben, ganze Anlagen errichtet wurden, die solchen Gebäuden nachgebaut waren, die nun gestürmt werden sollten. Es wird auch erzählt, daß die Angreifer mehr fach und feierlich das Gelöbnis abgelegt hatten, bis zum Tode zu kämpfen.

Die Vietkongs, die in jener Nach Tod und Verderben über Saigor brachten, gehörten zu den „Hauptstreitkräften“, der regulären Feldarmee. Sie waren erfahrene Partie nenkämpfer, und sie waren davon überzeugt, daß in Saigon die Bevölkerung nur auf den Anstoß von außen warte, um das Endziel der kommunistischen Taktik zu verwirklichen, den Aufstand der Massen. Nach den Lehren Mao Tse-tungs und Giaps, des Generalstabschefs der Nordvietnamesen, sollte als „dritte Phase“ dieser allgemeine Aufstand jeden Widerstand hinwegfegen. Darum gehörten zu den in Saigon eingesetzten Kämpfern nicht nur solche, die Waffen trugen, sondern auch politische Kader, die die Massen für die Revolution gewinnen sollten.

Vor allem aber befanden sich bei den Kommandos auch kleine Gruppen, die den Terror auf die Straßen und in die Häuser tragen sollten. Wenn, so dachte die Vietkong-Füh- rung, eine genügende Anzahl von Erschießungen von potentiellen Gegnern stattfinden würde, wenn der Rauch brennender Stadtteile den gepanzerten Kräften der bisherigen Herren von Saigon die Sicht verderben würde, dann müßte es möglich sein, die Hauptstadt des Feindes in die eigene Hand zu bringen und den Krieg mit einem totalen Sieg zu beenden.

Zwischen diesem Ziel — in Hue ist man dicht an seine Verwirklichung herangekommen — und der Wirklichkeit standen in Saigon um 3.30 Uhr ein paar hundert einsatzfähige, weil am Ort befindliche amerikanische Kampfsoldaten — und die Feuerwehr! Für letztere gab es keinen Alarm von oben, sie handelte aus eigenem Ermessen. Es gab in den ersten Stunden des plötzlichen Überfalls keinen Befehlshaber, der den Männern mit ihren blauen Uniformen und silbernen Helmen hätte sagen können, wo sie gebraucht würden. Es gab vor allem keinen Schutz durch die südvietnamiesische Polizei, deren über 20 befestigte Stationen in der Hauptstadt zur gleichen Stunde zu den ersten Zielen des Gegners gehörten. Die Polizei kämpfte einen einsamen Kampf auf Tod und Leben. Ihre Angehörigen wußten, daß es für sie keine Gnade gab, denn sie galten und gelten als die gehorsamen Knechte einer „Marionettenregierung“, die im Sold der Amerikaner steht.

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