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Der Auto-und-Bäume-Krieg

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In der Sendung des Österreichischen Rundfunks „Autofahrer unterwegs“ vom 12. Jänner 1961 wurde die Einsendung eines Autofahrers verlesen, in der es zusammenfassend hieß: „Darum habe ich den Bäumen an den Straßen den Kampf angesagt.“ Der Sprecher der Sendung forderte anschließend die Hörer auf, sich zu der Frage, ob Bäume an der Straße erwünscht wären oder nicht, mit ja oder nein zu äußern. Durch dieserart unglücklich gestartete Erforschung der öffentlichen Meinung, die auf Grund der Kampfansage eines einzelnen vorerst ohne Einspruchsmöglichkeit der Gegenseite gestartet wurde, drohte eine einseitige, ungünstige Beeinflussung der öffentlichen Meinung gegen die Alleen, Baumreihen und Einzelbäume an unseren Straßen und ' Wegen-, die zu einer weiteren Verstärkung des ohnedies verbreiteten Ver- stümmelungs- und Schlägerungswillens verschiedener Straßenaufsichtsorgane führen könnte.

Rettende Bäume

Wie irreführend der Kampfruf „Weg mit den Alleebäumen — sie gefährden das Leben der Autofahrer“ ist, zeigt allein eine Pressenachricht vom 10. Jänner 1961, das ist also nur zwei Tage vor der anklagenden Kampfansage.'

„Auf der Straße von Mühlbach am Hochkönig nach Bischofshofen geriet gestern ein mit 21 Personen besetzter Postautobus infolge der Schneeglätte von der Fahrbahn ab, und unmittelbar darauf überschlug sich das schwere Fahrzeug zweimal auf einem Hang, bis es von mehreren Bäumen aufgefangen wurde. Ein Fahrgast, die sechsjährige Christine Duller, erlitt schwere Verletzungen, elf Personen blieben unversehrt. Die Insassen des Wagens hatten nach dem Absturz erst nach Einschlagen der Fenster ins Freie gelangen können.“ Wären also diesmal nicht Bäume neben der Straße gestanden, so wäre jener Autobus bis in den Wildbach gekollert; wären aber die Bäume schon am Rande der Straße gestanden, so wäre der Absturz vermutlich überhaupt unterblieben. Wie richtig diese Annahme ist, belegen immer wieder gleichartige, gar nicht seltene Unfälle, etwa auch jene tödlich verlaufenen an der Nibelungen- und Wachaustraße, wo Autos im Nebel oder durch Schnellfahren von der damals baumlosen Straße abgewichen und im Strom versunken sind: also präsentieren sich Bäume an der Straße nachweisbar auch als Lebensretter, oftmals buchstäblich als letzte Sichtwarnung und Halt — vor sicherem Tod des Autobenützers; Bäume an solchen Standplätzen stehen daher von vornherein außerhalb jeder Kritik! In ähnlicher Weise bewahrten Bäume wiederholt das Leben von Fußgängern, die das ihnen erlaubte Bankett benützten, nicht ahnend, daß ein Auto unvermutet und lebensbedrohend von der Fahrbahn abweichen und nur ein Straßenbaum vor dem Überfahrenwerden retten könnte.

Anderseits ist es nur ganz natürlich, daß der Autofahrer vorerst an seine eigene Sicherheit denkt und mit

einigem Recht auf die gelegentliche Verschärfung von Unfällen durch Bäume verweist. Aber im gleichen Maße und an sich weit häufiger stehen doch noch immer massive Bankettsteine und Radabweiser aus Granit oder Beton am Rande der Straßenkrone oder wird diese durch Brü- stungs- oder Böschungsmauern besäumt, die allesamt für ein abirrendes Fahrzeug zumindest den gleich gefährd liehen Widerstand bieten wie so mancher, bedrohlich empfundener, daher nun bedrohter Baum. Und was ist mit den Masten für Telephon-, Telegraphund Stromleitung? Und bergen Straßengräben, Brückengeländer (statt Gleitschienen!) und dergleichen im Pechfalle nicht ebenfalls schwere und häufig tödliche Gefahrenmomente?

Keine Landschaft ohne Bäume

Zudem können moderne Landschaftsgestaltung und daher auch gleichsinniger Straßenbau aus guten Gründen auf Baumpflanzungen an Straßen nicht verzichten. Teils geschieht dies — es sei klar herausgestellt — aus heutzutage sehr berechtigten landschaftsästhetischen und heimatpflegerischen Absichten, teils werden Bäume als ingenieurbiologische oder verkehrstechnische Hilfsmittel benötigt So denke man an die prachtvollen Obstbaumalleen an den Straßen der Strengberge wie überhaupt des Alpenvorlandes, die allerdings vorwiegend für landwirtschaftliche Fahrzeuge bestimmt sind. Man erinnere sich an die Birken- und Lärchenalleen des Wald- und Mühlviertels oder an die Pyramidenpappelreihen im östlichen Niederösterreich und an die Maulbeeralleen des Burgenlandes. Man liebt noch immer mit Recht die Linden beim Wegmarterl oder die Bildeiche am Straßenrand. Man freut sich gerne an der Schönheit herbstlich verfärbter Ahorne, Ebereschen und Bu-

chen — dies auch an Straßen. Darum wurden an der 1954 bis 1959 erbauten Wachaustraße um Millionenbeträge aus Staatsmitteln auch viele Bäume gepflanzt.

Soll das alles einem „Fortschritt“ der Technik geopfert werden, deren sehr augenscheinlicher Teil das Auto ist? Sollen unsere Schnellverkehrsstraßen wirklich der Bäume beraubt werden, damit das Dahinrasen noch hemmungsloser, schneller und damit unvorsichtiger erfolgen kann?

Auch der Straßenbauer sieht im richtig gepflanzten Baum durchaus ein wertvolles Element seines technischen und baulich gestaltenden Bemühens. Nicht nur, daß durch Baum und Strauch sein Werk, die Straße, in der Landschaft erst richtig eingebunden und im Schwung der Linien betont und ausgeglichen wird. Der Baum kann mehr! Er vermag Rutschhänge sichernd zu halten, Wasser aus dem Böschungs- und Straßenuntergrund herauszusaugen und damit Frostaufbrüche zu verhindern, erwünschten

Blendschutz zu geben und — vor allem an Außenkurven oder bei Gerad- strecken — die oftmals notwendige, richtungweisende Leiteinrichtung zu bilden. Man denke an Nebel und Schneeverwehung, um sich zu erinnern, wie oft sich Autofahrer unterwegs buchstäblich an Straßenbäumen entlangtasten müssen, um von der Fahrbahn nicht abzuirren. Anderswo dienen die Straßenbäume dem nachweisbaren Bedürfnis der Landwirtschaft als Windbremse und damit der Bekämpfung von Flugerde, Austrocknung und sonstiger Schadwirkungen. Deshalb stehen in Südfrankreich und Norditalien über hunderte Kilometer hin in oft mauergleicher Enge mächtige Pappelalleen, die auch der forstlichen Nutzung des Ödlandes an Straßen dienen!

Schlußfolgerungen

Der Baum an der Straße kann ein prachtvoller Schmuck für die Landschaft, Nutz- und Nutzungsobjekt wie auch Verkehrshilfe sein, er kann aber auch an falschen Platz gesetzt werden und nach Art und, Wirkung fehl ausgewählt sein. Darum sei mit Wissen und Vernunft, mit Liebe und Erkenntnis an die Lösung auch dieses Problems geschritten. Hierfür abschließend einige Richtlinien zur praktischen Anwendung. Es sind jeweils zu bedenken:

1. Hauptzweck, Breite und Bauart von Straße, Fahrbahn und Straßenkörper, Belag und Querschnitt (Makadambelag, Asphalt, Pflaster, Beton ).

2. Höhen- und Geländelage der Straße, Landschaftseffekt.

3. Verlauf der Trasse; Gerad- und Bogenstrecken.

4. Klimatische Verhältnisse der betreffenden Gegend, insbesondere Frostgefahr.

5. Bodenverhältnisse und Wasserhaushalt.

6. Arteigentümlichkeit des Gehölzes (Größe, Wuchsform, Licht- oder Schattenart, Wurzelausbildung, Nutzungseffekt u. a. m.).

7. Wirkung des Gehölzes an der Straße (erwünschte und unerwünschte Einflüsse, wie Beschattung, Blüten und Laubschmuck, erwünschte Wirkung als optische Leiteinrichtung. Bodenbefestigung und Pumpwirkung, Gefahren aus Windbruch, Laub- und Fruchtfall ).

8. Einfluß auf benachbartes Feld- und Gartenland (Schollen-, Wurzelwirkung, Zwischenwirt von Schädlingen, Brutgehölz nützlicher Vögel).

9. Weitere Nutzeffekte, wie Holz, Früchte, Blüten (zum Beispiel Mostobst, Lindenblüten, Pappelholz).

10. Wahl des biologisch, verkehrsmäßig und gestalterisch richtigen Standortes. Pflanzungsart und Artenmengung, was u. a. eine anzustrebende Distanz von Bankettwand bedeutet, die nach Ansicht der Abteilung Straßenbau im Handelsministerium bei Neupflanzungen an Autostraßen fünf Meter betragen soll.

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