6582338-1951_25_03.jpg
Digital In Arbeit

Der überwältigende Umschwung

Werbung
Werbung
Werbung

Es kann keinen authentischeren Kronzeugen für die Entwicklung des sogenannten Chiledeutschtums auch während des Dritten Reiches geben als Friedrich Karle, der damals, also 1936, im Jahrbuch des Auslandsdeutschtums schrieb:

„Der Kampf und Sieg des Nationalsozialismus bedeutete natürlich auch für die Deutschen in Chile eine gründliche Auf-rüttlung und Neubesinnung, bei der es nicht immer ganz ohne Kampf abging. Schon 1932 hatte die Bewegung in Chile Fuß gefaßt und vor allem unter den alten Frontkämpfern Anhänger gefunden. Zielbewußt wurden überall Ortsgruppen und Stützpunkte gegründet. Bis in die entlegensten Urwaldsiedlungen drang die Bewegung. ... Mehr und mehr gelang es, die Reichsdeutschen in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Sie leben heute (1936) den Rhythmus des deutschen Geschehens nicht nur in den großen völkischen Festen und Feiern mit, sondern der Nationalsozialismus umfaßt ihr ganzes matierelles, geistiges und seelisches Leben ... Aber wichtiger fast noch als die “Zusammenfassung der reichsdeutschen Gruppen ist die Tatsache, daß das hodenständige Deutschtum in der Tiefe erwacht und zum völkischen Gedanken vorgedrungen ist. In der Jugend begann es. Lehrer, die aus der Jugend- und Wanderbewegung des Reiches herkamen, hatten schon seit längerem den Weg gebahnt ... Im Zeich en des Sonnun-runenbanners hat der Deutsdie Jugendbund Chiles die Jugend in den großen Städten wie in den entlegensten Siedlungen erfaßt, um sie im Geist der Hitlerbewegung zusammenzuschweißen zu einer einheitlichen Willens- und Tatgemein-sdiaft... Der Führergedanke wird verwirklicht, Zudit und Haltung, Rasse- und Erbtreue wird selbstverständliche Pflicht... Es ist ein geradezu überwältigender Umschwung, der sich in den letzten paar Jahren in der chiledeutschen Jugend vollzogen hat...“

Was hier von einer Autorität wiedergegeben wurde, trifft auch auf die andern südamerikanischen Länder mit einem starken Auslandsdeutschtum zu. Die Kreise, welche die Weimarer Republik niemals anerkannt hatten, welche eine Bewegung, in Berlin damals wenig beachtet, gegen den Weimarer Staat eingeleitet hatten und durchführten, bereiteten damit dem Nationalsozialismus einen fruchtbaren Boden. Bis 1938 marschierten sie auch in Uniform in Chile auf und bildeten sozusagen einen Staat im Staate, bis dann die chilenische Regierung dem ein Ende bereitete. Tatsächlich war es ja so, daß sich im Reichsinnenministerium in Berlin eine Landkarte befand, auf der der Süden Chiles von Temuco bis Puerto Monte als Kolonie für das künftige Großdeutsche Reich bereits eingezeichnet war. Mit Valdivia als künftigem Sitz des neuen deutschen Gouverneurs.

Für die heutigeLage muß man vor allem folgendes berücksichtigen:

Unter dem Protektorat des Deutsch-Chilenischen Bundes gibt es in Chile, überwiegend im Süden, aber auch in der Mittelzone, ungefähr 43 deutsche Schulen mit etwa fünftausend bis fünftausendfünfhundert Schülern und SAülerinnen aus Reichsdeutschen und deutsch-chilenischen Kreisen und mit einer Lehrerzahl von etwas über zweihundert, wozu natürlich noch die Hilfskräfte, zum Teil reine Chilenen, kommen.

Man kann niemandem unter der Lehrerschaft einen Vorwurf daraus machen, wenn er notgedrungen Mitgl ed des Nationalsozialistischen Lehrerbundes wurde. Wer sich nicht beugte, flog. Das mußte zum Beispiel in Puerto Monte 1943 der aus dem Rheinland stammende Lehrer Julius Die-senberg erfahren, der fristlos entlassen wurde. Von den rund zweihundert ordentlichen Lehrkräften — und darauf kommt es an — waren mehr als die Hälfte nachweisbar eingeschriebene Mitglieder der NSDAP und zum größten Teil außerordentlich aktiv in den Organisationen tätig. Daran hat sich bis heute nicht das geringste geändert.

Wenn man sich auch nach außen hin in den letzten Jahren im großen und ganzen Zurückhaltung auferlegt hat, so kann man sich aber trotzdem vorstellen, wie stark der Einfluß dieser Lehrerschaft auf die reichsdeutsche und deutsch-chilenisdie Jugend ist.

„Siegreich wollen wir Frankreich schlagen“, wurde vor nicht allzu langer Zeit in der von Arthur Junge in Santiago geleiteten Deutschen Radiostunde gespielt und gesungen. Zu dieser sogenannten „Deutschen Stunde“ kam nun noch auf einem anderen Sender eine „Deutsch-Chilenische Stunde“, die von Arthur Kast, dem ehemaligen Leiter des geheimen Radio- und Nachrichtendienstes der deutschen Botschaft, geleitet wird. Kast engagierte Ende April als sonntägigen Sprecher den im Oktober 1950 nach Chile gekommenen deutschen Journalisten Heinrich Hansen. Nichts beleuchtet schärfer die gegenwärtige Lage im Deutschtum Chiles als dessen Auftreten. In Buenos Aires erscheint seit drei Jahren in glänzender technischer Aufmachung eine monatlich herauskommende Zeitschrift, „Der Weg“, die nicht einhundertprozentig, sondern dreihundertprozentig nach den Ideen von gestern orientiert ist. Der „Weg“ erklärte zum Beispiel, der Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer sei der „Totengräber Deutschlands“ (Heft 8/1950) und er behauptete (Heft 1/1951), Adenauer arbeite „für die Interessen des Bankhauses Kuhn, Loeb & Co. in New York“.

Was in Südamerika auf diesem Gebiet heute alles möglich ist, bewies jüngst Heinrich Hansens Rundfunkansprache Sonntag, den 13. Mai 1951. Es erscheint mir notwendig, zur Illustrierung der Lage das Wesentliche aus dieser sogenannten „Deutschland-Cluronik“ wiederzugeben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung