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Die Kosten der UNO

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Soeben wurde die zweite außerordentliche Vollversammlung der Vereinten Nationen eröffnet. Die Gruppierung der Staaten in zwei Lager ist unverkennbar geworden. Die Lösung der schwierigsten aller bisher aufgetauchten Fragen, der Palästinafrage, ist unabweislich geworden. Zum ersten Male wird eine Versammlung, die Völker aller Erdteile umfaßt, in einer anderen Sprache als Englisch oder Französisch geleitet. Der zum Präsidenten gewählte Dr. Arce von Argentinien bedient sich der spanischen Sprache, obwohl er Englisch und Französisch besser beherrscht als die Mehrzahl der Delegierten. Schließlich stellen die achtzehn spanisch sprechenden Länder Amerikas die an Zahl größte Gruppe einer Sprache dar. Wie in Genf drängen sich Sonderinteressen sachte vor das Gesamtinteresse, Prestigefragen vor Schicksalsfragen.

Wenn die Vereinten Nationen eine Versicherung gegen den Krieg darstellen, ist keine Prämie zu hoch für sie. Aber selbst bei der wertvollsten Versicherung fragt man nach den Kosten und erstrebt deren Herabsetzung. Wer nicht den Bienenstock am Lake Success — dem „See des Erfolges", wie ihn keine arabische Ortsbezeichnung blumenreicher und hoffnungsvoller benennen könnte — gesehen hat, wo 2 6 0 0 Angestellte in kleinen Zellen bei ewiger künstlicher Beleuchtung die mannigfaltigsten Probleme mit großer Sachkenntnis behandeln, kann sich kaum eine Vorstellung von der ungeheuren Arbeit machen, die hinter jeder Äußerung der Vereinten Nationen steckt.

Wenn in der Vollversammlung ein Delegierter eine Stunde spricht, so verursacht dies einschließlich einer einmaligen Über setzung für alle Mitarbeiter, 24 Arbeitsstunden während der Sitzung, 18 für die einsprachige Ausarbeitung des Protokolls, 21 für die Herausgabe des Journals in zwei Sprachen und 325 Arbeitsstunden für die Verfassung und Drucklegung der endgültigen Dokumente in den fünf offiziellen Sprachen: Englisch, Französisch,

Russisch, Spanisch und Chinesisch. Diese 386 Stunden vermehren sich um 20 Stunden bei Simultanübersetzung in vier Sprachen. Jede Stunde Debatte der Vollversammlung verursacht über 400 Arbeitsstunden, ein sechsstündiger Sitzjingstag zirka 2500 Arbeitsstunden.

Die Kosten der einzelnen Kommissionen sind je nach ihrer Größe und Wichtigkeit verschieden. Eine Sitzung des Sicherheitsrates kostet angeblich nicht viel weniger als eine der Vollversammlung. Die Kosten der einzelnen Staaten sind natürlich viel geringer, da ständig nur elf und nicht 5 wie bei der Vollversammlung teilnehmen. Die Frage, welchem Staate der Vorsitz der dritten Kommission zufallen sollte, erforderte drei Wahlgänge, bis endlich der Vertreter Guatemalas mit 2 Stimmen gegen den von Libanon, der nur 26 erhielt, durchdrang. Bei dem überflüssig schleppenden Vorgang mit namentlichem Aufruf, der 'leicht auf ein Zehntel abgekürzt werden könnte, e r- forderte dieses Ergebnis eine volle Stunde und kostete über 1 0.0 0 0 Dollar. Dagegen kostete eine dreistündige Sitzung der Kommission für soziale Angelegenheiten, die der Frage gewidmet war, ob sie Beziehungen zur internationalen Kommission für Strafrecht und Strafvollzug aufnehmen könne, da in letzterer Franco-Spanien vertreten sei, viel weniger. In ihr waren nur sieben Staaten vertreten, die Übersetzung erfolgte gleichzeitig in bloß drei Sprachen, sie dürfte nicht mehr als 150 Arbeitsstunden verursacht haben. Was ist nun der Preis einer solchen Sitzung, die nur recht mittelbar zum Zwecke der Friedenserhaltung beiträgt?

Da die Vereinten Nationen im Verhältnis zu den teuren Lebenskosten in und um New York nur bescheidene Gehälter zahlen, Überstunden und Nachtstunden bei vielen Mitgliedern des Sekretariats nicht abgesondert honoriert und eine durchschnittliche Jahresleistung von 1840 Stunden in 45 Arbeitswochen verlangt wird, sei der Einfachheit halber die niedrige Durchschnittsziffer von 2.50 Dollar pro Stunde zugrunde gelegt. Dann kostet eine solche dreistündige Sitzung aller- , dings nur 3 5 Dollar, eine sechsstündige Sitzung der Vollversammlung dagegen 6000 Dollar, also zirka 16 Dollar pro Minute. Das gibt aber nur ein unvollständiges Bild.

Um die Kosten der Vereinten Nationen richtig zu veranschlagen, müssen auch die Aufwände der Delegationen hinzugeschlagen werden. Sie müssen ja auch von den Völkern, also von der ganzen Welt, gezahlt werden. Es gibt Delegationen von drei Mitgliedern, wie die von Honduras, und von 4 9, wie die der Vereinigten Staaten, oder von 135 von Sowjetrußland. Die Arbeitsstunde einschließlich der Reise- und Aufenthaltskosten jedes Mitgliedes ist im Durchschnitt mit 20 Dollar zu veranschlagen. Eine Sitzung der Vollversammlung kostet daher die Vereinten Nationen sechzehn Dollar pro Minute, aber jede der Delegationen, wenn nur drei Mitglieder und fünf Sachverständige und Sekretäre teilnehmen, ohne die Kosten der Vorbereitung, 2.60 Dollar, also für alle 5 Delegationen fast 150 Dollar. Eine Sitzung des Sicherheitsrates kostet jede der elf teilnehmenden Nationen, wenn nur vier ihrer Mitglieder, Sachverständigen und Sekretäre anwesend sind, 1.30 Dollar pro Minute.

Es steht im Belieben jedes Delegierten, die Kosten jeder Sitzung zu erhöhen. Wenn er eine Rede von einer halben Stunde hält, so verursacht er damit den Vereinten Nationen 500 Dollar und jeder der anderen Delegationen 40 Dollar Kosten. Ist gerade keine Simultanübersetzung verfügbar und er spricht in einer anderen Sprache als französisch oder englisch, so verdoppelt das die Dauer der Übersetzung und die Kosten seiner Rede. '

Die verschiedenen Staaten tragen nun nicht in gleicher Weise zu den Kosten der Vereinten Nationen bei. Die Vereinigten Staaten tragen zirka 40 Prozent, die 3 russischen Republiken zusammen l/s Prozent, Australien 2 und Ka- n a d a 31/ Prozent. Die kleinste Beitragsleistung ist 4 Promille. Wenn im Sicherheitsrat Gromyko in einer halbstündigen Rede, die in zwei Sprachen übertragen werden muß, den Dollarkapitalismus der Vereinigten Staaten tadelt, so kostet das die Vereinigten Staaten 600, Rußland aber nur 100 Dollar und die anderen Staaten einen entsprechenden Anteil, Liberia zum Beispiel 6 Dollar. Wenn aber Austin in einer halben Stunde in englischer Sprache die Expansionstendenzen Sowjetrußlands kritisiert, so kostet das die Vereinigten Staaten 400, Rußland aber nur 5 Dollar. Diese Verteilung der „Gerichtskosten" eines kontradiktorischen Verfahrens ist ein Anreiz für alle jene Staaten, die weniger beitragen, die Zeit der Kommissionen freigebiger zu beanspruchen. Dem könnte abgeholfen werden, wenn jeder Staat zu den Sitzungskosten in dem Maßstabe beizutragen hätte, den seine Delegation im Zeitablauf in Anspruch nimmt. Das würde die Länge der Debatten heilsam beeinflussen.

Die Kosten des vierzehnstündigen Arbeitstages eines Delegierten, der mit Flugzeugen über die halbe Welt reist und in den teuersten Hotels wohnt, können mit 300 Dollar veranschlagt werden, was für die 00 Delegierten und Berater, von denen etwa die Hälfte jeweils in New York anwesend sind, mindestens

30 Millionen Dollar im Jahre ausmacht, wozu noch mindestens ein Viertel für die Kosten der Sekretariate zu rechnen ist.

Das Budget der Vereinten Nationen selbst ist von 19 Millionen im Jahre 1946 auf 2 1/i für 194 und einen Voranschlag von 35 Millionen für 1948 gestiegen. Die Versicherungsprämie für die ganze Veranstaltung beträgt daher drei Cent für jeden Bewohner des Erdballs. Keine Prämie ist zu hoch, die der Wahrung des Friedens dient. Vorläufig sind aber erst die Polizzen ausgeschrieben worden.

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