6663546-1960_21_01.jpg
Digital In Arbeit

Donner aus Paris

Werbung
Werbung
Werbung

Die Gipfelkonferenz. in , Paris wurde sechs Wochen bevor sie begann zerschlagen. Grollender als der theatralische, hektische und verlegene Donner, mit dem der Oberregisseur Chruschtschow in Paris durch seine unannehmbaren Forderungen an Eisenhower die Konferenz sprengte, bevor sie beginnen konnte, war das dreifache Donnergrollen, das in den letzten Wochen den Anzug des Gewitters verkündete: Die rasante Offensive gegen Chruschtschow und seine Koexistenzpolitik aus Peking, gipfelnd in unverblümten Hetzreden gegen ihn anläßlich der Staatsfeiern zu Ehren von Lenins 90. Geburtstages. Sodann, als zweites Donnergrollen, die immer sichtbarer werdende Unruhe führender sowjetischer Militärkreise, die sich von Chruschtschow weder eineinhalb Millionen Soldaten, die er entließ, noch die alten, geliebten konventionellen Waffen wörtlich und im übertragenen Sinne „abnehmen“ lassen wollen. Chruschtschows militärischer Reformplan, der Umbau einer Massenarmee mit einem breiten Offizierskorps und einer ansehnlichen Generalität und Marschallität an der Spitze zu einem relativ schmalen Korps vom Militärtechnikern, Raketendivisionen und Sondertruppen, hätte, wen er jetzt dürchftihtbw gewesen wäre, die Armee entmachtet. Dies mußte nicht nur eine gewisse Generalität alarmieren, sondern auch eine gewisse Parteihierarchie, die ihm seit dem Coup des XX. Parteitages, seit seiner „Enthauptung“ Stalins, erbittert gegenübersteht.

Erschöpft verließ Chruschtschow vor nicht ganz vierzehn Tagen in den Morgenstunden den Kreml, nach jener Nachtsitzung, in der das Generalsekretariat des Zentralkomitees der KPdSU, also die höchste Machtstelle der Sowjetunion, auf die Hälfte ihrer Mitglieder reduziert und dergestalt umgebaut worden war, daß' er, Chruschtschow, in ihm nicht mehr die Vorherrschaft besaß. Mit einer grimmigen Maske kam Chruschtschow in Paris an, mit ihm die mächtige, unerwartete Erscheinung des sowjetischen Verteidigungsministers, Marschall Malinowski.

Reduzieren wir deshalb die fiebrigen Gesten, die in den Wind gesprochenen Monologe Chruschtschows in Paris auf das, was er tatsächlich durch seine Taten und durch einige wenige ruhige Worte gesagt hat: Ich kann jetzt nicht verhandeln, ich kann jetzt nich mit euch reden; ihr seht ja, in welcher Situation ich bin; hinter mir sitzt, bei jeder Fahrt im Wagen, und bei jeder Konferenz neben mir. der Herr Marschall der Sowjetunion.

„Gebt mir sechs, acht Monate Zeit“: In dieser Zeit werden also die Rotchinesen gegen die UNO und gegen Formosa anrennen („So oder so“), wird der Ostblock sein Deutschland so oder so, vielleicht sogar durch Staatsvertrag, noch enger in seine geschlossene Gesellschaft einzuschweißen suchen. In dieser Zeit wird um Berlin gestritten werden. Alle Gefahren des kalten Krieges sind da also wieder wach.

Für den Westen handelt es sich in dieser Zeit darum, die Nerven nicht zu verlieren, die geringe innere Einheit zu verstärken, sich nicht bluffen zu lassen und selbst nicht zu bluffen. Je lautstärker der Osten spricht, ja schreit, um so gelassener ist ihm zu entgegnen. Auf Wien aber richten sich jetzt — nach Paris — die Blicke der Weltöffentlichkeit. Hier wird ja, wie erwartet, Ende Juni Chruschtschow bei seinem Staatsbesuch sich wieder an die Adresse der Welt wenden, und auf seine Weise Kunde geben von dem Fortschritt der inneren Auseinandersetzungen in Moskau und Peking — eben jener Kämpfe, die jetzt die Pariser Gipfelkonferenz verhindert haben.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung