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Henleins aufhaltsamer Aufstieg

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TSCHECHEN UND DEUTSCHE. 1918—1938. Von Johann Wolf gang Brägel burger Verlagsanstalt, München, 1967. 663 Seiten, DM 65.—.

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TSCHECHEN UND DEUTSCHE. 1918—1938. Von Johann Wolf gang Brägel burger Verlagsanstalt, München, 1967. 663 Seiten, DM 65.—.

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„Die Braut ist zu schön“ — das Buch ist zu umfangreich; es wäre jammerschade, wenn das der Verbreitung dieses so reich dokumentierten Werks schaden würde. Der Autor hat in der Lebensgeschichte des Ministers Czech schon eine Hauptgestalt aktivistiscther, das heißt staatstreuer deutscher Politik in Böhmen geschildert; nun beschreibt er Entstehung, Bestehen und Ende der Republik in der Tschechoslowakei. Er schreibt als gewissenhafter Historiker — er läßt die Quellen reden; und da geschieht ihm denn auch — was eben nur einem gewissenhaften Autor geschehen kann! — daß die Quelle manchmal etwas anderes beweist, als der Verfasser meint. Brügel verurteilt Beran und die anderen Tschechen, die mit Heinlein verhandeln wollten. Er bringt aber auch die ganz eindeutig, ganz ausdrücklich staatstreuen Erklärungen Henleins. Das tut er in der berechtigten Absicht, ihnen Henleins gleichzeitigen Befehlsempfang in Berlin gegenüberzustellen und die Verlogenheit der SdP-Führung anzuprangern. Da nun aber Beran nicht Henleins Meldungen an seinen Führer, sondern nur Henleins öffentliche Reden hörte, so ist Berans Verhandlungsbereitschaft doch wohl soweit entschuldigt.

Brügel klagt nicht nur Beran an, sondern auch Kramäf, der es den deutschen Aktivisten schwer gemacht hat. Er schreibt überhaupt und natürlicherweise vom Standpunkt des Sozialdemokraten, der die ganze Rechte nicht mag. Das führt zu bemerkenswerten Feststellungen. Bekanntlich hat seinerzeit Pfltzner seinen Kollegen Pekaf zu einem „vernünftigen Tschechen“ stempeln wollen — das heißt natürlich: verständnisvoll für den Nazismus; und daraus haben die Kommunisten das Recht abgeleitet, Pekafs Andenken zu mißachten und seine Schüler zu persequieren. Brügel beweist, wie billig, daß Pekaf Nationalist war und blieb. Auch bespricht er den Gegensatz, der gerade auch in der deutschen Frage zwischen Kramäf und Benes herrschte. Er belegt — was jedem Tschechen wohlbekannt war, aber heute unter Deutschen vergessen wird —, daß Kramäf zumal in seinem verbitterten Alter national intransigent, Benes dagegen grundsätzlich versöhnlich war. Daß diese Haltung bei dem überhaupt rachsüchtigen Benes in völlig hemmungslosen Haß umschlug, ist eine andere Geschichte.

Brügel, sagten wir, schreibt als Sozialist, er schreibt im Sinne seines Klassenbewußtseins. Nun, was dem Autor recht ist, ist dem Rezensenten billig. Wir verbergen also nicht unser Mißvergnügen, wenn der Autor die Tätigkeit henleinistischer Edelleute beschreibt, nicht aber die entgegengesetzten Bemühungen der Deklaranten. Überhaupt gibt es Punkte, wo man wohl selbst links stehen muß, um Brügel richtig zu verstehen. Ein Beispiel! Bei der Präsidentenwahl von 1935 wurde der ohnedies vergebliche Versuch gemacht, dem designierten Thronerben einen zweiten Kandidaten entgegenzustellen. Das bezeichnet Brügel als „tückischen Anschlag auf die Demokratie“. Wie sagte doch Friedrich August III.? „Ihr seid mir scheene Republikaner!“

Ein anderes Beispiel! Brügel verurteilt die verständnislos reaktionäre „Haltung, die sich durch: Brünn bleibt deutsch! oder Algerie Frangaise-AppeJle dem Aufstieg geschichtsloser Nationen entgegenstellt“ — und ist dabei gewiß im guten Glauben, den Tschechen etwas Nettes gesagt zu haben. Ich muß aber doch sehr bitten — so lebhaft die Sympathien der Linken für die notabene fanatisch judenfeindlichen Algerier auch sein mögen —, daß man ein Volk mit 700 Jahren Schriftsprache nicht unter die geschichtslosen und mit den Fellag-has zusammenwirft...!

Dessen ungeachtet: die richtig beobachtenden Punkte, die bedeutsamen Dokumente sind so zahlreich, daß die böhmische Geschichtsschreibung dem Autor aufrichtigen Dank schuldet.

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