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Lombardo-Venetien im Aktenspiegel

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Die „Relazioni“ sind eine umfangreiche Edition von Akten aus den Beständen des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs. Der Bearbeiter, Angelo Filipuzzi, Kulturinstitutspräsident, Universitätsdozent für Geschichte und Kulturattache, hat bereits für sein 1955 erschienenes Werk, „La pace di Miiano“, reiches Lob vernommen, die vorliegende Quellensammlung kann dies nur mehren.

Die ausgewählten Aktenstücke setzen mit dem Abbruch der Beziehungen zwischen Österreich und Sardinien am 24. März 1848 ein und enden mit der Wiederaufnahme des diplomatischen Verkehrs am 9. Oktober 1849. Vom mächtigen Unternehmen der vom römischen historischen Institut herausgegebenen „Fonti per la storia d'ltalia-“ muß man einige Stufen über die „Documenti“, deren zweiten Teil (Ausland), über die „Relazioni“ bis zu deren III. Serie herabsteigen, um zu den vorliegenden zwei Bänden zu gelangen. Diese beziehen sich, wie ein vorzügliches summarisches Verzeichnis anzeigt, auf die Korrespondenzen zwischen der außenpolitischen Zentrale in Wien mit allen mit der Beilegung des österreichisch-sardinischen Streitfalles und dessen Auswirkungen befaßten Personen. Selbstverständlich meldet sich beim Lesen bald der Appetit, und es werden vielleicht Schriftstücke wie zum Beispiel Radetzkys Bitte an Wessenberg um Verstärkungen (12. Juni 1848) vermißt werden. Wenn dafür manchmal auch weniger wichtige Akten erscheinen, dann — wie der Verfasser auf Seite XIX begründet —, „um das jeweilige Geschichtsbild von den unterschiedlichsten und vollständigsten Seiten zu beleuchten“. Das Historische Institut hat für die Auswahl strenge Leitlinien aufgestellt.

Von den insgesamt 431 abgedruckten Stücken betreffen den Handelsminister von Bruck, der die Friedensverhandlungen als Hauptbeauftragter führte, 110, den Ministerpräsidenten Fürst Felix zu Schwarzenberg 82, den Feldmarschall Radetzky 58, den Legationssekretär Freiherrn von Metzburg 52, den Staatsminister Graf Hartig 45, den Außenminister Freiherrn von Wessenberg 39 und so weiter. Diese Aufteilung entspricht ganz der von den Genannten gespielten Rolle, und zweifellos stehen Radetzky, Schwarzenberg und Bruck an erster Stelle. Eine Aktenedition ist freilich keine Geschichte, die Akten illustrieren jedoch in höchst lebendiger Art die Geschichte, und vieles wird erst beim Studium der Schriftstücke ganz verständlich, was die geschriebene Geschichte oft nur andeuten kann. Wie Radetzky, Schwarzenberg und Bruck den Krieg mit Sardinien schließlich zu einem für Österreich erfolgreichen Abschluß gebracht haben, bleibt ein Meisterwerk der Staatskunst im Zusammenwirken der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Komponenten, ein sehr lehrreiches Kapitel der europäischen, damals sogar Weltgeschichte. Radetzky pflügte den Acker, Schwarzenberg streute die Saat aus und Bruck brachte die Ernte ein.

Richtunggebend für den ganzen Ablauf war Radetzky, zunächst durch seine nach eingetretener Lähmung der politischen Faktoren erfolgte Übernahme aller Gewalten, dann durch die ermöglichte Fortsetzung der Operationen an Stelle eines von der durch Kleinmütige eingeschüchterten Regierung 1848 geplanten Waffenstillstandes, weiter durch den weitblickenden Abschluß des Waffenstillstandes von Vignale 1849, endlich durch seine Einflußnahme auf den Friedensvertrag. Hat Filipuzzi die Politik Radetzkys schon im „Pace di Miiano“ gebührend unterstrichen, untermauert er in den „Relazioni“ gründlich das Wirken des Fcldmarschalls. Ob Radetzky einen Ungehorsam begangen hat, indem er nämlich 1848 nicht unverzüglich der Waffenstillstandsweisung nachgekommen ist. beantwortet das Schreiben Wessenbergs an den Marschall vom 19. Juni 1848 (1. Band, Seite 168 f.), aus dem hervorgeht, daß die Regierung alle von Radetzky durch Schwarzenberg vorgetragenen Bedenken geteilt und das Vorgehen des Armeekommandanten voll gebilligt hat. Filipuzzi faßt noch einmal das Urteil der italienischen Nachwelt zusammen, das Radetzky „einen der militärisch und geistig machtvollsten und vollendetsten Heerführer des 19. Jahrhunderts“ nennt (1. Band,

Die Texte sind in der deutschen, französischen und italienischen Originalsprache bei Beachtung der zeitgenössischen Orthographie wiedergegeben und, mit Ausnahme des ungarischen Aufrufes Kossuths vom Oktober 1848, im Druck praktisch fehlerlos, was der Publikation alle Ehre macht. Für die Gewissenhaftigkeit der Arbeit spricht auch das Namensregister, in dem sich trotz der unglaublichen Vielfalt und Vielzahl der Personen nur gelegentliche und unwesentliche Irrtümer finden.

Italien fördert durch sein Historisches Institut eifrigst die Aufhellung seiner Geschichte ganz ohne Rücksicht auf die eingetretene Änderung der Staatsform. Publikationen wie jene des verdienstvollen Historikers Filipuzzi kommen auch Österreich zugute, denn die Geschichte Italiens und Österreichs ist von 1815 bis 1866 eine durchaus gemeinsame. Der lombardo-venetianische Vizekönig Erzherzog Rainei hat in seinen nachgelassenen Aufzeichnungen gewünscht, es möge die Geschichte der k. k. Verwaltung in Italien geschrieben werden: „Vielleicht findet sich 'einst jemand, der sich diese Mühe nimmt.“ 1956 war man österreichischerseits schon nahe daran, den Wunsch zu erfüllen. Die „Relazioni“ sind ein Baustein auf diesem Weg, und möglicherweise kommt es doch noch zu einer österreichisch-italienischen Gemeinschaftsarbeit in der Edition weiterer Aktenbestände beiderseits der Grenzen, ganz im Geiste der von der UNESCO geforderten einvernehmlichen Objektivisie-rung der Geschichtsschreibung. Gerade der, Historiker — und wir stehen vor einem nachahmenswerten Beispiel — vermag oft wesentlich mehr dem Frieden zu dienen als die von den Tagesereignissen überhitzte Parteipolitik, ein fragwürdiger Nationalismus, oder von Geschichtskenntnissen unbeschwerte politische Aktionen. Der wahre Frieden kann nur psychologisch erarbeitet werden. Der Italiener Metastasio, habsburgischer Hofpoet in Wien, hat für seine Grabinschrift, die in der Michaeler-kirche zu lesen ist, die Bitte an den Allmächtigen gewählt: „Fa ch'io trovi riposo in sen del vero!“ Damit ist ausgesprochen, daß der Frieden nur im Schöße der Wahrheit erblühen kann. Die Wahrheit zu ermitteln ist aber die Mission des Historikers.

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