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Um 50 Jahre zu spät

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Eine tschechoslowakische Regierungs-Fachkommission hat gemeinsam mit der Vorbereitung der neuen staatsrechtlichen Regelung der Beziehungen zwischen Tschechen und Slowaken auch den Entwurf des Verfassungsgesetzes über die Stellung der „Nationalitäten“ in der Tschechoslowakei ausgearbeitet. Der Ent* wurf wird der Öffentlichkeit zur Beurteilung und Diskussion vorgelegt. Der Regierungsentwurf lautet:

„Die Nationalversammlung der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik hat im Hinblick darauf, daß das werktätige Volk der CSSR, das die Quelle und Träger der gesamten Staatsmacht ist, gemeinsam mit dem tschechischen und dem slowakischen Volk in freiwilliger, unzertrennlicher und brüderlicher Gemeinschaft auch die ungarische, deutsche, polnische und ukrainische Nationalität bilden, welche im Geiste der Politik der Nationalen Front schöpferisch an der Entwicklung des Landes und dessen sozialistischer gesellschaftlicher und staatlicher Ordnung teilnehmen und in diesem Rahmen selbständig ihr eigenes nationales Leben entfalten, erfüllt von den Grundsätzen des proletarischen Internationalismus und der sozialistischen Demokratie, im Bestreben, das freiwillige Zusammenleben, die Zusammenarbeit und Solidarität der Nationen und Nationalitäten weiter zu vertiefen und zu festigen sowie allen Nationalitäten eine gleichberechtigte Stellung und den Anteil an der Bildung des Staatswillens und bei der Ausübung der Staatsmacht zu sichern sowie ihnen wirksame rechtliche Garantien ihrer weiteren Entwicklung zu gewähren, folgendes Verfassungsgesetz beschlossen:

Art. 1

Die Tschechoslowakische Soziali- i stische Republik gewährleistet im i Geiste des Grundsatzes der Gleich- i berechtigung zwischen Nationen und i Nationalitäten der ungarischen, deut- : sehen, polnischen und ukrainischen i Nationalität die Möglichkeiten und l Mittel einer allseitigen und gleich- ! berechtigten Entwicklung.

Art. 2

• Die Nationaliäten sollen im Verhältnis zu ihrer Zahl in politischen Organen, Vertretungskörperschaften und in den übrigen Staatsorganen vertreten sein: sie sollen im wirtschaftlichen und kulturellen Leben eine gleichberechtigte Stellung haben. Durch besondere Gesetze des Tschechischen Nationalrats und des Slowakischen Nationalrats wird bestimmt, bei welchen Vertretungskörperschaften und Vollzugsorganen besondere Organe geschaffen werden, welche die Verwirklichung der Rechte der Nationalitäten sichern j und in dem durch das Gesetz bestimmten Umfang selbständig über t ihre spezifischen Interessen entschei- t den werden.

Art. 3

Den Bürgern ungarischer, deut- ‘ scher, polnischer und ukrainischer , Nationalität werden im Umfang und unter den vom Gesetz festgelegten Bedingungen folgende Rechte gewährleistet: das Recht auf Bildung in der Muttersprache, das Recht auf , Entfaltung des Kulturlebens, das ‘ Recht, die Muttersprache im Verkehr mit Ämtern und anderen staatlichen . Organen anzuwenden, das Recht, , sich in nationalen und gesellschaft- . lich-kultureilen Organisationen zu- . sammenzuschließen, das Recht, periodische und nichtperiodische . Zeitschriften herauszugeben und die . Massenkommunikationsmittel zu be- [ nützen.

Art. 4

J»der Bürger entscheidet frei nach 1 eigener Überzeugung über seine Nationalität. Verboten sind alle For- 1 men von Zwangsmitteln, die auf Ent- nätionalisierung gerichtet sind. Die } Angehörigkeit zu jeder beliebigen " Nationalität darf keinem Bürger i zum Schaden gereichen.

Art. 5

1 Dieses Verfassungsgesetz wird durch föderative und nationale Gesetze durchgeführt.“

Artikel 6 und 7 behandeln die Aufhebung des Artikels 25 der Verfassung Nr. 100 aus dem Jahre 1960 und das Inkrafttreten des neuen Gesetzes. Liest man diesen Text, so hat man den Eindruck, daß sich die Tschechoslowakei manche inneren i Probleme hätte ersparen können, ; wenn so etwas schon in der Verfas-sung von 1920 gestanden wäre. Das äußere Problem der Beziehung zum Großdeutschen Reich hätte sie sich i freilich damit ebensowenig erspart wie jetzt zur Sowjetunion.

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