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Unser Platz in der Weltgeschichte

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GESCHICHTE AUF DEM BALLHAUSPLATZ. Essays mr österreichischen Außenpolitik 1830—1945. Von Friedrieh Engel-Jänosi. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 1963. 346 Selten. Preis 165 S.

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GESCHICHTE AUF DEM BALLHAUSPLATZ. Essays mr österreichischen Außenpolitik 1830—1945. Von Friedrieh Engel-Jänosi. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln, 1963. 346 Selten. Preis 165 S.

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Der 70. Geburtstag des verdienten Österreichischen Historikers Friedrich Engel-Jänosi gab Anlaß zu einem Festband, der hauptsächlich aus den Jahren 1941—1951 stammende Aufsätze, zum Teil erstmals in deutscher Ubersetzung, umfaßt. Die älteren Themen beziehen sich auf das Halb Jahrhundert 1830 bis 1895, somit auf ein gutes Drittel der Geschichte auf dem Ballhausplatz. Sollte diese vollständig sein nach dem Gebäude, das seit 1717 steht, nach der Organisation des Dienstes und nach der Außenpolitik, müßte es ein Monumentalwerk werden und sich zu einer Gesamtdarstellung etwa seit Kaunitz erweitern. Der Autor beschränkt sich auf Einzelbausteine, die er in gewissenhafter Auswertung heimischer und ausländischer Quellen derart anschaulich zu gestalten versteht, daß jeder für sich schon genaue Vorstellungen davon ermöglicht, wie die außenpolitischen Entschlüsse dem Zusammenwirken des Monarchen mit dem Leiter der Politik, dessen engeren Mitarbeitern und den Auslandsmissionen entwuchsen. Wenn ein Vergleich gestattet ist, erinnert Engel-Jänosis auch sprachlich vollkommene Geschichtsschreibung an Spitzweg in der Malkunst oder an Stifter in der Prosadichtung: nicht bloß sagen, sondern denkend erleben.

Das Kapitel „Die Verantwortung des Geschichtsschreibers“ gibt mit dem angeschlossenen „Lebensbild“ Einblick in die Werkstatt eines Historikers, der stets österreichische Geschichte unter Beseitigung ihrer Überfremdung pflegt und dem dafür besonderer Dank gebührt. Er klagt mit Recht über die „Anämie in der österreichischen Geschichtsschreibung“ und — mit der Einschränkung „De viventibus nil nisl bene“ — über den Mangel an „evokativen“ Historikern hierzulande; er erstrebt „der Geschichte seiner Heimat jenen ihr gebührenden Platz in der Weltgeschichte zu sichern, der ihr durch eine im eigenen Lande entstandene Fehlinterpretation der Vergangenheit versagt worden war“. Mit selbs'tformulier-ten Urteilen eher zurückhaltend, will der Verfasser den Leser dahin führen, „daß dieser infolge der Darstellung die vom Historiker gewollten Urteile selbst fällt — freiwillig sozusagen ...“

Die Essays beginnen mit der Tätigkeit des Grafen von Prokesch-Osten im neuentstehenden Griechenland nach den Direktiven Metternichs, den, erklärlich, die griechische Frage doch mehr sekundär berührte. Prokesch-Osten, zu dessen Wirken als Offizier, Gelehrter und Diplomat der Verfasser wichtige Beiträge geliefert hat, begegnet uns dann als von Bismarck gehaßter Gesandter in Berlin, wo er an der meisterhaften Kriegsverhütung des Fürsten Felix Schwarzenberg — Olmütz 1850 — redlichen Anteil hatte, anschließend am Bundestag in Frankfurt a. M., der auch mit dem Krimkrieg befaßt war, dessen Erbe, die Frage der Donaufürstentümer, den Diplomaten — wie zu lesen ist — noch viel zu schaffen machte. Für die Haltung Österreichs während des Krimkrieges finden sich mehrere Beurteilungsgrundlagen: wohl könne man von einem „schließlichen Mißerfolg“ sprechen, doch war dieser nicht dem Außenminister zuzuschreiben, sondern „einer der großen politischen Antinomien der europäischen Geschichte“, anderseits stellte aber „der Pariser Kongreß einen dreifachen Sieg dar: er hob das Protektorat Rußlands über die christlichen Untertanen des Sultans auf: er schaffte das russische Protektorat in den Donaufürstentümern ab und er schloß die russische Flotte im Schwarzen Meer ein“.

Zwei weitere Untersuchungen sind dem Grafen Beust gewidmet mit den interessanten Details eines 1869/70 von Cavour geplant gewesenen Dreibundes Frankreich-Italien-Österreich, der Einverleibung Roms in Italien und des Kriegssommers 1870, als Österreich-Ungarn sich entschloß, „daß vorläufig die Neutralität beobachtet und vorbereitende Rüstungen eingeleitet werden sollten“ — war es nicht wieder sehr ähnlich wie im Krimkrieg?

Die Porträtschau Prokesch - Metternich - Felix Schwarzenberg -Boul - Beust beschließt Graf Kälnoky mit seinem Rücktritt als Außenminister im Mai 1895. Kälnoky war 14 Jahre dem Außenressort vorgestanden, zählte mit Felix Schwarzenberg zu den Organisatoren des auswärtigen Dienstes und wird von Heinrich Wildner „als der sicherste Außenminister der österreichischungarischen Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ bezeichnet. Der Rücktritt dieses Ministers war die Folge seltsamer Verflechtungen der Außenpolitik mit der ungarischen Innenpolitik, zugleich mit Interessen des Vatikans an katholisch-politischen Problemen der Monarchie.

Die für Geschichtsfreunde und Diplomaten gleicherweise aufschlußreichen Erinnerungen an die Jahre von Metternich bis Kälnoky wurzeln in „der Erkenntnis der Selbständigkeit und der Eigenziele der österreichischen Außenpolitik“, die nach Bismarcks Ausscheiden aus dem aktiven Dienst immer weniger unabhängig wurde. Auf Seite 235 begegnet uns der anderwärts schon erhobene Vorwurf, daß „österreichischen Staatsmännern und Diplomaten nie große Ehren erwiesen wurden und auch Metternich oder (F.) Schwarzenberg kein Denkmal errichtet worden ist.“ Engel-Jänosi leistet in seinem Lebenswerk einen wirksamen Beitrag dazu, daß solche Mindereinschätzung, wenn schon nicht in Erz, so in der maßgebenden Geschichtsauffassung berichtigt werde.

Als ein mutiger Versuch sind die dem Buche beigegebenen „Bemerkungen zur österreichischen Widerstandsbewegung 1938—1945“ zu betrachten, die überlegen lassen, wie vielschichtig die Widerstandsfrage ist, wie sie völkerrechtlich, staatspolitisch, strafrechtlich und pädagogisch umstritten und heikel bleibt. Die Geschichte der österreichischen Widerstandsbewegung leidet unter Quellenmangel und der Aussagescheu der Widerstandskämpfer; um so mehr ist es anzuerkennen, daß ein erstes Gerüst für fernere Forschungen aufgerichtet worden ist.

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