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Weltgeschichte ein Weltgericht

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World Copyright 1954 by „Die Oesterreichische Furche"

Nach der Belgrader Loyalitätserklärung von 1909 hatten es die Führer der „Nirodna Odbrana“ für geraten gehalten, zeitweilig sich von aktiven Handlungen zu distanzieren; sie stellten auch die Besteuerung der Oeffent- lichkeit für ihren Verband ein, setzten der Organisation „neue Aufgaben“ und verschwanden in die Unterwelt. Aber schon 1910 taucht auf mehreren Akten der „Narodna Odbrana“ ein Siegel mit dem Totenkopf auf. Dieser wird aber bald die Signatur der neuen revolutionären Geheimorganisation „Ujedinjenje ili smrt“ („Vereinigung oder Tod“), die mit der „Narodna Odbrana“ durch gemeinsame Mitglieder verbunden, die Unterschiede der beiden verwischt. Der Geheimbund erhielt durch einen guten Kenner, den Ministerpräsidenten Doktor Milovanovic, der eingestandenermaßen zu einzelnen Mitgliedern Beziehungen unterhielt, den Namen „Crna Ruka“, „Schwarze Hand“, eine drastisdie Umschreibung, die sich rasch einbürgerte.

Der Ballhausplatz wurde durch den Gesandten und den Militärattache in Belgrad rasch und gut über die neue Gründung am laufenden gehalten. Schon am 12. November

1911 berichtet der Gesandte über die in Offizierskreisen bestehende Bewegung, aus der sich eine Geheimorganisation, mit der Kronprinz Alexander sympathisiere, herauszukristallisieren scheine. Allein in der Zeit vom 12. November 1911 bis zum 6. November

1912 gingen elf Berichte, die „Schwarze Hand“ betreffend, aus der k. u. k. Belgrader Gesandtschaft nach Wien. Am 22. November 1911 weiß der Militärattache in Belgrad Gellinek zu berichten:

„Bewahrheitet es sich, daß zirka 50 Prozent aller Offiziere dem Geheimbund angehören, dann wird diese Bewegung kaum mehr einzudämmen sein und möglicherweise Konsequenzen nach sich ziehen, die insbesondere das Verhältnis Serbiens zur Monarchie ungünstig beeinflussen würden. Der Einfluß der Verschwöreroffiziere von 1903 und die Schwäche der Heeresleitung ihnen gegenüber findet ebenso ein eklatantes Beispiel wie der Mangel an Disziplin in der Armee und an Autorität der Regierung in der Bevölkerung. Es erscheint nicht ausgeschlossen, daß die in den letzten Tagen kurz hintereinander erfolgten mysteriösen Ermordungen der beiden oppositionellen Abgeordneten Gjorgjevic und Stojano- vic — wie hiesige Zeitungen behaupten — ein Vorspiel zu den bevorstehenden Neuwahlen bilden, in denen sich die Altradikalen nur mit Mühe die Majorität erkämpfen würden. Diese furchtbare Anschuldigung der Altradikälen wird von der oppositionellen Presse offen ausgesprochen. Gellinek.“

Schon wenige Wochen später, am 2. Februar 1912, ergänzt Gellinek seinen Bericht (Akt Nr. 3264) durch konkrete Mitteilung:

„Feststehend ist, daß ebenso wie diese neue Strömung so auch die Gegenströmung im Offizierskorps in der Hand von Mitgliedern der Verschwörung gegen König Alexander liegt. Die Gründer der Organisation sind die Generalstabsmajore Dragutin Dimitrijevic — genannt „Apis", die Seele der Verschwörung von 1903 — und Milovanovic , sein damaliger erster Helfer und Intimus. Diese beiden gewannen zuerst mehrere höhere Offiziere für ihre Ideen, so auch den Kommandanten der Donaudivision, Oberst Bozanovic; und den bisherigen Präsidialchef des Kriegsministers, Oberstleutnant Dragomir Stojanovic — durchweg Offiziere, welche an den Ereignissen von 1903 hervorragenden Anteil hatten. An der Spitze der Gegnerorganisation stehen Offiziere, welche eigentlich nur dem Namen nach der Verschwörung angehörten Die Machthaber der radikalen Partei, in deren Händen der König und auch der Kriegsminister ein willenloses Werkzeug darstellen, scheuten scheinbar ein offenes Auftreten gegen die Organisation und erblickten den besten Ausweg darin, sie einfach in ihren Dienst zu stellen. Hierbei mag die Furcht vor terroristischen Anschlägen nach dem Beispiel der Ereignisse von 1903 nicht ohne Einfluß gewesen sein. Der Kronprinz war anfangs gegen die Organisation, vermutlich infolge der Gerüchte, daß sie ein Werkzeug des Prinzen Georg (seines Bruders: d. V.) vorstelle, um diesen zur

Der hier genannte Milan Milovanovic, Oberst, Mitglied des obersten Zentralausschusses der „Schwarzen Hand" ist nicht identisch mit dem Politiker und Minister des Aeußern Dr. Milovan Milovanovic.

Wiedererlangung seiner verlorenen Thronfolgerechte zu verhelfen. Die seiner Initiative zuzuschreibende Untersuchung gegen die „Crna Ruka" hatte jedoch das überraschende Resultat, daß nicht gegen deren Mitglieder, sondern gegen die Angeber, persönliche Freunde des Kronprinzen, eingeschritten wurde, ohne daß er deren Maßregelung durch den Kriegsminister — Wegversetzung von Belgrad — verhindern konnte. Daß sein Gegner, der Protektor der Organisation, Kriegsminister Stepanovic, im Amte verblieb, ist ein sicheres Zeichen, daß die ,Crna Ruka’ bereits Einfluß gewonnen hat."

Diese Zustände an den Spitzen des Staates und der Armee bargen naturgemäß das große Gefahrenmoment für die weitere Entwicklung. Die Gegenspieler der nach der Macht greifenden „Schwarzen Hand“ waren die Führer der Radikalen Partei, vor allem Minister Nikola Pasic. Aber oft schwankte die Zunge an der Waage zwischen ihnen hin und her und nötigte die Regierung zu Nachgiebigkeiten und Kompromissen, die unaufrichtig und bedenklich waren und in dem von heftigen nationalistischen Unterströmungen durchwühlten Lande unabsehbare Möglichkeiten bargen.

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