Mit dem Flixbus zum Tinder-Date - © Collage: Rainer Messerklinger (unter Verwendung eines Bildes von iStock/frantic00)

Tinder: 99 neue Leute mögen dich

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Vor sieben Jahren meldete sich unsere Autorin bei Tinder an. Seither hat sie gewischt, gematcht, gedatet – und den digitalen Heiratsmarkt beobachtet. Ein Erfahrungsbericht.

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Vor sieben Jahren meldete sich unsere Autorin bei Tinder an. Seither hat sie gewischt, gematcht, gedatet – und den digitalen Heiratsmarkt beobachtet. Ein Erfahrungsbericht.

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Frühsommer. Ich sitze im Flixbus Richtung München – auf dem Weg zu einem Mann, den ich noch nie gesehen habe. Wenige Wochen zuvor hat ihn mein jüngeres Ich in der Tinderapp entdeckt. Eine Handvoll Bilder, ein ausführlicher, sympathischer Begleittext. Eigentlich nicht mein Typ, denke ich zunächst, und wische dann doch nach rechts. Man muss doch das Schicksal auch ein wenig fordern! In der Tat: Es ist ein Match.

2012 gegründet, feiert Tinder 2014 zum Launch im deutschsprachigen Raum gleich seinen ersten Hype: Online-Dating mit niedriger Zugangschwelle – und kostenlos. Wie beim Durchscrollen des Bettwäsche-Angebots im Ikea-Online-Shop kann man potenzielle Partner sortieren: Die Guten wischen wir nach rechts, die Schlechten nach links. Das ruft zunächst einmal die Spötter hervor. Der Hohn und die Häme, die Tinder und seinen Nutzern in den Anfangszeiten entgegenschlagen, scheinen grenzenlos. Kaum ein Medium – je nach Niveau –, das nicht einen Tinder-Selbstversuch oder eine Metaanalyse über die Ökonomisierung von Partnerschaften veröffentlicht („Warum wir emotionale Krüppel sind“) und teils wüst über die Profile herzieht. Das bleibt nicht ohne Folgen: „Unseren Kindern sagen wir, wir haben uns im Supermarkt kennengelernt“, war in Variationen der meist verwendete Beschreibungstext der Tinderprofile, durch die ich mich in diesen Tagen klicke. Dass ich Journalistin bin, verschweige ich nicht. „Bin ich ein Versuchskaninchen?”, fragen die Kandidaten dann. Noch viel häufiger als „Wanna bang? – auf Deutsch: „Willst du Sex?“ Dieser Satz wird Tinder-Usern in der Berichterstattung allzuoft in den Mund gelegt. Ein Grund, weshalb die App auch bald in Verruf gerät.

Es gibt auch böse Menschen im Internet

Nicht jeder ist in der echten Welt auch der, für den er sich im Internet ausgibt: Im Flixbus überprüfe ich deshalb alle Informationen erneut und google die Anhaltspunkte, die ich aus dem Chatverlauf herauslesen kann. Schließlich gibt es auch böse Menschen im Internet, das ist nicht anders als in der analogen Welt. Aber: Alles stimmt. Er arbeitet in einem Ingenieurbüro und macht ein Aufbaustudium nebenher. Eine alte Beziehung ist zerbrochen. Nun scheint es, als wolle er sein Glück digital anstupsen. Wer zuerst geschrieben hat, wissen wir hinterher gar nicht mehr. Man ist einfach ins Reden gekommen.

„All In“ heißt das Zauberwort in den Arbeitsverträgen meiner Generation. An unbezahlten Überstunden fehlt es uns nicht. An Gelegenheiten, einen Partner zu finden, schon eher. Wo und wann bitte sollen wir die Traummänner und Traumfrauen aufspüren, von denen zuerst Walt Disney und dann Hollywood gesagt hat, dass wir sie eines Tages treffen werden? Um 5.30 Uhr klingelt mein Wecker, um 6.30 Uhr versuche ich, die Kinder angezogen beim Frühstückstisch zu haben, um 7.45 Uhr sollen sie in der Schule sein und ich kurz davor oder kurz danach an meinem Arbeitsplatz. Um 17 Uhr gehe ich los, um die Kinder wieder einzusammeln und die so genannte Care-Arbeit zu erledigen. Wird der Nachwuchs anderweitig betreut, sitze ich bis 21 Uhr im Job, um Liegengebliebenes abzuarbeiten. Dazwischen ruft die Französisch-Lehrerin an: Das Kind brauche halt Unterstützung, sagt sie – und ich bin mir nicht sicher, ob sie mir damit sagen möchte, ich solle gefälligst halbtags arbeiten gehen oder einen Nachhilfelehrer bezahlen. Vielleicht sollte ich mir einen Franzosen tindern?

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