Glas Katharina - © Foto: Margit Körbel

Als Tänzerin durch die Corona-Pandemie: Wie ein Jahr Liebeskummer

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Geschlossene Theater bedeuten für viele Tänzerinnen nicht bloß fehlende Jobs. Auch Körper und Psyche leiden unter den Einschränkungen. Wie eine Künstlerseele auf 24 Quadratmeter gezwängt die Hoffnung nicht aufgibt.

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Geschlossene Theater bedeuten für viele Tänzerinnen nicht bloß fehlende Jobs. Auch Körper und Psyche leiden unter den Einschränkungen. Wie eine Künstlerseele auf 24 Quadratmeter gezwängt die Hoffnung nicht aufgibt.

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Als Katharina Glas am 3. Februar 2019 ein 15-minütiges Video, in dem sie aus zwei alten Ballkleidern ein neues näht, auf der Videoplattform Youtube hochlädt, ahnt sie nicht, dass sie damit den Grundstein für ihre Existenzsicherung nur ein Jahr später legt. Bisher lief es beruflich gut für Glas. Sie hatte ein passables Einkommen, musste sich nie Sorgen darüber machen, was morgen sein wird.

Heute sitzt Glas auf der Bettkante in ihrem WG-Zimmer in der Altbauwohnung in Wien-Mariahilf und trocknet die Tränen, die gerade nicht zu stoppen waren. Dabei ist Glas die Art Mensch, die man sprichwörtlich als Sonnenschein beschreiben würde. Sie lacht viel, spricht schnell, in einem ganz eigenen Mix aus Bayerisch, Hochdeutsch und Englisch. Die langen blondierten Haare sind locker hoch-, die schwarze Jogginghose in die Socken gesteckt. Auch wenn sich Glas nicht vom Fleck rührt, ist ihr Körper ständig in Bewegung. Die Beine wechseln regelmäßig vom Schneider- in den Langsitz, die Zehen sind mal geflext, mal gestreckt „en pointe“. Wenn die 28-Jährige spricht, sprechen ihre Arme und Hände mit, die Spannung geht bis in die Fingerspitzen.

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Langzeitfolgen

Katharina Glas ist Tänzerin. Oder, ist sie das noch? Ist man noch Tänzerin, wenn man seit einem Jahr keine Bühne mehr betreten hat? Wenn man seit Monaten an keiner Ballettstange gestanden hat, durch kein Tanzstudio gewirbelt ist? Wenn der eigene Körper sich nicht mehr anfühlt wie der einer Tänzerin? Die Muskeln weicher, die Arme schwächer werden? Trainieren kann Glas aktuell nur oberflächlich. Die Möbel in ihrem Zimmer sind ganz an die Wand gerückt. Der Spiegel steht jetzt gegenüber der Kleiderstange, die als Barre-Ersatz herhalten muss. Eine Yogamatte liegt auf dem unebenen Fischgrätparkett. Der Begriff Langzeitfolgen bekommt auf diesen 24 Quadratmetern eine neue Bedeutung.

Ist man noch Tänzerin, wenn sich der eigene Körper nicht mehr so anfühlt?

Als die Bundesregierung am 10. März 2020 das Verbot von Indoor-Veranstaltungen mit über 100 Personen als Maßnahme gegen die Verbreitung des Coronavirus verkündet, sitzt Katharina Glas gerade in der Maske. Der Koffer ist gepackt, der Kühlschrank zu Hause leergeräumt. Zwei Monate Tournee mit dem Kindermusical „Pipi Langstrumpf“ sollten in wenigen Stunden im Stadtsaal Steyr ihren Auftakt haben, gefolgt von vier Monaten Spielzeit am Volkstheater Rostock. Und dann kommt es ganz anders.

Mit den Worten „es ist vorbei“ überbringt der Intendant die Nachricht ans Ensemble, das halb geschminkt, halb kostümiert gerade noch der Premiere entgegengefiebert hat. Da der Beschluss erst um Mitternacht in Kraft tritt, kann diese Vorstellung noch gespielt werden. „Da stand ich das letzte Mal auf der Bühne“, sagt Glas, „und seither warte ich.“ Zahlreiche Pressekonferenzen wurden im letzten Jahr abgehalten. Jedes Mal zittert Glas aufs Neue. Wann wird sie wieder arbeiten können? Wann in ihr altes Leben zurückkehren? „Aber wir werden inzwischen nicht einmal mehr erwähnt“, lacht sie.

Dass das Künstlerleben auch herausfordernd sein kann, weiß Katharina Glas von ihren Eltern. Aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf in Bayern. Ihr Vater ist Hornist, die Mutter arbeitete als Friseurmeisterin oft in der Maske bei Opernproduktionen. Im Theater fühlt sich Glas schon in der Kindheit zu Hause. Sie ist fasziniert von der Sorglosigkeit, der Mentalität der Künstler und Künstlerinnen, dem familiären Umgang miteinander. „Eine Welt, die man als Außenstehender nur schwer verstehen kann“, meint Glas. Als Teenager steht sie zum ersten Mal selbst im Kinderchor einer Musicalproduktion auf der Bühne. Bei den Proben bemerkt der Choreograf ihr tänzerisches Talent.

Vom Traum zum Albtraum

Erst mit 15 entscheidet sich Glas aber tatsächlich dafür, Tänzerin werden zu wollen. Relativ spät – um professionell arbeiten zu können, beginnen die meisten bereits im Volksschulalter mit dem Training. Aber Glas hat einen Traum und einen Plan, diesen zu verwirklichen. Mehrmals die Woche fährt sie mit dem Zug zur eineinhalb Stunden entfernten Ballettschule, zu Hause studiert sie die Choreografien bekannter Tanzfilme ein.

Mit 18 beginnt sie mit gerade einmal drei Jahren Erfahrung an Kunstuniversitäten vorzutanzen. Anstatt sich aufs Abitur vorzubereiten, sitzt Glas im Zug nach Rotterdam, Dresden, Wien. Mit jeder Absage rückte der Traum näher ans Unerreichbare. Bis eine Nachricht vom Konservatorium der Stadt Wien (heute Musik und Kunst Privatuniversität, Anm.) eintrifft. Zwar sei Glas für ihr Alter weit hinterher, man sehe aber etwas ganz Spezielles in ihr. Eine Zusage.

Sie haben mir etwas genommen, das ich nie wieder bekomme. Kein Geld der Welt kann das ersetzen.

Katharina Glas

Neben dem körperlichen Leistungsdruck stellt sich Katharina Glas in den kommenden Jahren den psychischen Belastungen der Szene, gibt Freundschaften auf, verlässt Beziehungen, die ihrem Ziel im Weg stehen. Dinge, die sie für ihren Traum gerne in Kauf nimmt. Nach acht Semestern Studium in Wien geht es steil bergauf. Die junge Tänzerin ergattert einen Job nach dem anderen, tanzt unter anderem am Tiroler Landestheater, der Oper Bonn und bei den Salzburger Festspielen.

Mit 28 steuert Katharina Glas altersbedingt nun bereits dem Ende ihrer Karriere als Tänzerin entgegen. Die durch die Pandemie verlorene Zeit einfach hinten anzuhängen, ist keine Option. „Sie haben mir etwas genommen, das ich nie wieder bekomme. Kein Geld der Welt kann das ersetzen“, sagt Glas, die normalerweise nicht über Politiker(innen) schimpfen möchte.

Es sind die in ihren Augen unüberlegten, unverhältnismäßigen Maßnahmen, die sie wütend machen. Warum dürfen Profifußballer trainieren, viele Profitänzer jedoch nicht? Wieso dürfen Dienstleister wieder Kunden empfangen, Theater mit Sicherheitskonzept aber nicht öffnen? Aufzugeben und schon jetzt eine alternative Karriere zu beginnen, kommt für Glas nicht infrage. Es sollte eine bewusste Entscheidung sein, die Kunst hinter sich zu lassen. „Deshalb muss ich weiter hoffen.“

Anders als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen in der Kunstszene muss Glas aufgrund ihres Youtube-Kanals nicht um ihre Existenz bangen. Nachdem sie mit ihrem Ballkleidvideo beinahe über Nacht zur Internetbekanntheit wurde, füttert sie ihren Youtube-Kanal How to slay Omas Kleiderschrank („Wie man Omas Kleiderschrank ‚rockt‘“) weiterhin mit Videos zu verschiedensten Upcyling-Projekten.

Gelernt hat Glas das Handwerk nie, ihre erste Nähmaschine ersteigerte sie für zwanzig Euro auf der Flohmarktplattform Willhaben. Inspiriert von anderen Youtuberinnen und dem Wunsch, auf Premierenfeiern nicht ständig dasselbe tragen zu müssen, beginnt sie, sich autodidaktisch mit dem Thema auseinanderzusetzen. Das Nähen wird zu ihrem Ruhepol, etwas, das sie trotz körperlicher Erschöpfung oder gar Verletzungen ausüben kann. Nebenbei baut sich Glas ein stabiles Grundgehalt auf, das ihr die Auswahl von Tanzengagements erleichtert.

500 Stunden Videomaterial werden pro Minute auf Youtube hochgeladen. Die Wahrscheinlichkeit, mit einem neueröffneten Kanal erfolgreich zu werden, ist dementsprechend gering. Aber Glas scheint mit ihren Nähprojekten den Zahn der Zeit genau zu treffen. Nach vier Monaten haben 15.000 Menschen ihren Kanal abonniert, nach einem Jahr 70.000, mittlerweile sind es 125.000. „Wenn die Zahlen steigen, pusht es einen natürlich, weiterzumachen“, so Glas. Mit steigender Reichweite erhöhen sich auch die Einnahmen, die Glas über Youtube verzeichnen kann. Zu Beginn der Corona-Pandemie erwirtschaftete Glas mit ihren Videos genug, um ihre Miete bezahlen zu können.

Im Frühsommer 2020 erhält Glas das Angebot, ein Buch über Upcycling zu schreiben. Sie ist überzeugt, dass sie die Möglichkeit nur aufgrund ihrer Reichweite bekommt. „Wahrscheinlich gibt es Autoren, die es besser gemacht hätten als ich, aber keine Möglichkeit haben, an einen Verlag zu kommen“, so Glas. Im Jänner 2021 erscheint „How to slay Omas Kleiderschrank“ in einer ersten Auflage von 4500 Exemplaren und ist direkt ausverkauft. Eine zweite soll bereits im Februar folgen. „Damit habe ich 2020 wenigstens mit etwas Produktivem abgeschlossen“, meint Glas.

Anderen ginge es weit schlechter. Katharina Glas dürfe sich doch gar nicht beschweren. Trotzdem rollen die Tränen manchmal einfach drauflos.

Hauptcontent auf ihrem Youtube-Kanal ist nach wie vor das Nähen, zwischendurch gibt die 28-Jährige aber auch Einblicke in ihr Leben als Tänzerin, zeigt sich beim Kochen, Haarefärben oder Second-Hand-Shoppen. Im November 2020 geht ein Video online, in dem Glas sich auf ein Engagement am Landestheater Innsbruck vorbereitet. Ihr erster Job seit sieben Monaten. Gleich zu Beginn des Videos stellt sie fest: „Ich hab solche Panik, dass sie mir diesen Job wieder wegnehmen.“

Vom Training in Wien über das Kofferpacken, die Reise nach Innsbruck, den Einzug in die vorübergehende Wohnung bis zu den ersten Probentagen am Theater nimmt Glas ihre Zuschauerinnen und Zuschauer mit der Kamera mit. Bis am 31. Oktober der zweite Lockdown verkündet wird. Das Video endet abrupt mit einem Ausschnitt der entsprechenden Pressekonferenz. „Mir war wichtig, zu zeigen, was das für ein Einschnitt für uns war“, erklärt Glas. Indem sie ihre Lebensrealität in ihren Videos zeigt, könne sie zumindest ein wenig Aufmerksamkeit auf Künstlerinnen und Künstler lenken.

Bitteres Privileg

Das Buch und die aktive Arbeit in den Sozialen Medien sichern der Tänzerin heute ihre Existenz. Es sei ein Privileg. Anderen ginge es weit schlechter. Sie dürfe sich doch gar nicht beschweren. Trotzdem sitzt Glas manchmal in ihrem Zimmer und die Tränen rollen einfach drauflos. „Es ist wie Liebeskummer“, sagt Glas, „als hätte ich seit einem Jahr Liebeskummer.“

Wie es mit ihrer Karriere als Tänzerin weitergehen wird, weiß Katharina Glas nicht. Engagements hat sie üblicherweise durch Networking bekommen. Auf Partys zu gehen war Teil des Jobs. Wie lange wird es dabei noch Einschränkungen geben? Wie soll sie gebucht werden, wenn physisches Zusammentreffen nicht möglich ist? Wer solle sie anrufen, wenn Regisseure, Regisseurinnen, Intendanten und Intendantinnen sie nicht mehr kennen? Aktuell hat Glas zwar Jobs in Aussicht, Verträge gebe es aber kaum. Zu riskant für die Theater. Und wenn es Verträge gebe, dann oft zu schlechten Konditionen. Das Problem dabei: „Jeder nimmt diese Jobs an“, sagt Glas, „weil wir einfach wieder arbeiten wollen.“

How to slay Omas Kleiderschrank - © frechverlag 2021
© frechverlag 2021
Buch

How to slay Omas Kleiderschrank

Upcycling-Projekte aus Secondhand-Mode ganz einfach genäht
Von Katharina Glas
Frech 2021
112 S., geb., € 18,50

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