Haidlmayr - © APA-FOTO:HERBERT PFARRHOFER.

Haidlmayr und Huainigg: "Behinderte sind keine Bettler"

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2003 ist das "Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung". Die Grüne Theresia Haidlmayr kämpft schon seit Jahren im Parlament für die Rechte Behinderter. Mit dem Einzug von ÖVP-Mandatar Franz-Joseph Huainigg in den Nationalrat bekommt sie willkommene Unterstützung. Ein Gespräch.

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2003 ist das "Europäische Jahr der Menschen mit Behinderung". Die Grüne Theresia Haidlmayr kämpft schon seit Jahren im Parlament für die Rechte Behinderter. Mit dem Einzug von ÖVP-Mandatar Franz-Joseph Huainigg in den Nationalrat bekommt sie willkommene Unterstützung. Ein Gespräch.

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DIE FURCHE: Was erwarten Sie sich vom "Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung"?

Theresia Haidlmayr: Schon 1981 war ein Behindertenjahr, vor zwei Jahren gab es das Jahr des Kindes und dann waren die Frauen dran - aber auch die haben nicht viel davon gespürt. Das ist einfach Blabla. Zwar wird das von der EU sehr gut angedacht, aber es geht darum, was Österreich daraus macht. Ich sitze im Bundesbehindertenbeirat im Sozialministerium, der die x-te Sensibilisierungskampagne vorbereitet. Ich bin 47 Jahre alt, und 47 Jahre lang wird auf mich "sensibilisiert". Irgendwann habe ich genug.

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DIE FURCHE: Was wollen Sie?

Haidlmayr: Was ich will, sind Gesetze: Manchmal kann man eben nur "sensibilisieren", indem man Gesetze einführt und bei deren Nichteinhaltung straft. In den USA, wo es ein Behindertengleichstellungsgesetz gibt, sind viele Leute auch erst sensibel geworden, als sie bemerkt haben, dass sie sonst geklagt werden. Manchmal geht Sensibilisierung halt nur über die Brieftasche.

DIE FURCHE: Die Grünen fordern seit langem ein Bundesgleichstellungsgesetz für Behinderte. Vor der Wahl hat sich nun auch die ÖVP dafür ausgesprochen. Kommt das nicht etwas spät?

Franz-Joseph Huainigg: Es ist nie zu spät, etwas zu fordern oder umzusetzen. Ein gesetzlicher Anspruch darauf, überall barrierefrei hinzukommen, ist sehr wichtig, Genauso wichtig ist aber auch, dass man die freie Berufswahl hat. Fälle, wo eine blinde Frau nicht Richterin werden darf und ein gehörbehinderter Mensch nicht an der Pädagogische Akademie aufgenommen wird, darf es nicht mehr geben. Ein Gesetz ist also sehr wichtig. Im Gegensatz zu Theresia Haidlmayr glaube ich aber, dass das allein nicht reicht. Es braucht auch Meinungsbildungsprozesse. Ich denke da an das völlig falsche Bild von armen, mitleiderregenden Behinderten, das immer zu Weihnachten in den Medien gezeigt wird - vor allem in der Kampagne "Licht ins Dunkel". Auch das muss sich ändern.

Haidlmayr: Solange man nicht bereit ist, dieses jämmerliche Bild, das hier von Menschen mit Behinderung gezeichnet wird, zu ändern, wird sich auch im Bewusstsein der Öffentlichkeit nichts tun. Ich will nicht, als Beispiel, zum Verein "Licht ins Dunkel" betteln gehen müssen, wenn ich einen Duschsessel brauche - ich habe einen Rechtsanspruch darauf. Aber für die ÖVP scheint diese Darstellung behinderter Menschen unverrückbar. Denken wir nur an ihre geschmacklose Aktion "Behindert und trotzdem Mensch". Die ÖVP will kein bundesweites Behindertengleichstellungsgesetz, sondern die Landesgesetze, konkret die Baugesetze so verändern, dass barrierefrei gebaut werden muss. Das ist aber zu wenig.

Haidlmayr - © Foto: Wolfgang Machreich
© Foto: Wolfgang Machreich

DIE FURCHE: Sie fordern die Einführung eines Bundesgesetzes?

Haidlmayr: Ja, denn nur dann sind die Länder verpflichtet, ihre Gesetze auf alle Bereiche hin zu überprüfen. Es gibt seit drei Jahren einen Initiativantrag im Parlament, der auch mit deiner Unterstützung, Franz-Joseph, erstellt worden ist: Aber bis heute haben es die Regierungsparteien gemeinsam mit der SPÖ erfolgreich verhindert, dass er auch nur auf die Tagesordnung kam.

Huainigg: Das stimmt so nicht. Auch für Wirtschaftsminister Bartenstein ist ein Gleichstellungsgesetz das Gebot der Stunde. Das Problem ist, dass viele Gesetze im Baubereich in die Landeskompetenz fallen und dass die Ö-Normen in den Ländern unterschiedlich verbindlich bzw. unverbindlich ausgelegt werden. Die müssen harmonisiert werden, denn sonst gibt es zwar ein tolles Bundesgesetz für die Bundesbauten, aber die Länder bauen trotzdem hurtig weiter Barrieren auf.

Haidlmayr: Das stimmt genau nicht. Nur dann, wenn wir ein Bundesgesetz haben, müssen auch die Ländergesetze entsprechend geändert werden. Überhaupt ist Minister Bartenstein der falsche Ansprechpartner. Hier geht es um eine Menschenrechtsfrage, für die der Justizminister und der Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt zuständig sind. Aber von dieser Seite kommt überhaupt nichts.

Huainigg: Es gibt aber keinen Menschenrechtsminister und es hat noch nie einen gegeben. Aber Bartenstein ist als Wirtschaftsminister für dieses Vorhaben sicher unverzichtbar. Ein Grund mehr, warum die Grünen bereit sein sollten, in eine Koalition einzutreten, denn dann kann man im Behindertenbereich viel machen.

DIE FURCHE: Gibt es zwischen Ihnen beiden als Behindertensprecher "Koalitionen" oder geht die Parteilinie vor?

Haidlmayr: Wir arbeiten seit 20 Jahren zusammen und haben gemeinsame Ziele. Deswegen bin ich überrascht, dass diese Ziele, die wir in der "Selbstbestimmt-Leben-Bewegung" ausgearbeitet haben, jetzt von Franz-Joseph verrückt werden.

Huainigg: Ich freue mich auf eine Sachkoalition zwischen uns. Wir werden gemeinsam durchs Parlament rollen und schauen, welcher Rollstuhl schneller ist. Und es gibt ja noch andere Fragen, die wichtig sind: Etwa die, dass nicht nur die Wochenschau, sondern mindestens eine Nachrichtensendung pro Tag in die Gebärdensprache übersetzt wird.

Haidlmayr: Ich bin seit 1994 im Parlament, aber die ÖVP hat alles niedergestimmt. Es geht mir nicht darum, welcher Rollstuhl schneller ist, es geht hier um etwas völlig Anderes. Wenn du es schaffst, dass du die ÖVP so "sensibilisierst", dass wir die Anerkennung der Gebärdensprache bekommen, das Behindertengleichstellungsgesetz und die Valorisierung des Pflegegeldes, dann bist du für mich ein Übermensch, dann drehe ich mich im Kreis, so leidenschaftlich werde ich dem Antrag zustimmen.

Huainigg: Ich weiß nicht, ob genug Platz zum Rotieren ist. Aber im Ernst: Diese Schwarz-Weiß-Malerei - die ÖVP ist nur schlecht und die Grünen sind nur gut - ist nicht richtig. Die ÖVP hat vieles initiiert: Sie hat sich dafür eingesetzt, dass es überhaupt ein Pflegegeld gibt. Nicht zuletzt hat sie jetzt einen Betroffenen in den Nationalrat geholt.

Huainigg - © Foto: Wolfgang Machreich
© Foto: Wolfgang Machreich

DIE FURCHE: Was sind Ihre Ziele als ÖVP-Abgeordneter im Parlament?

Huainigg: Natürlich das Bundesgleichstellungsgesetz, natürlich die Stellung behinderter Menschen in den Medien. Auch Behinderte sollte zu Journalistinnen und Journalisten ausgebildet werden und in diesem Bereich auch arbeiten können. Dazu müsste aber die Presseförderung nach Kriterien vergeben werden, ob behinderte Menschen in Lehrredaktionen arbeiten können. Ebenso ist die Schulintegration ein wichtiges Thema.

Haidlmayr: Geht es nach den Vorstellungen von Bildungsministerin Gehrer, dann müssen behinderte Kinder, die noch in der Hauptschule integriert waren, danach in eine Sonderanstalt. Franz-Joseph, du hast meine tausendprozentige Unterstützung, wenn sich hier die Ministerin umstimmen lässt und behinderte Kinder das Recht bekommen, auch in der AHS-Oberstufe vielleicht sogar bis zum universitären Abschluss integrativ geschult zu werden.

Huainigg: Man darf das Thema nicht auf die AHS reduzieren. Viele schrecken zurück und sagen, geistig Behinderte können keine Matura machen. Es geht nicht um die Matura, sondern um die soziale Integration. Darum, dass behinderte Schüler nach der Schule beruflich einen integrativen Weg finden. Bald steht nicht mehr nur das Polytechnikum zur Verfügung, sondern auch Berufsschule und berufsbildende Schulen. Im nächsten Schuljahr wird es ein neues Programm des Unterrichtsministeriums geben, in das man die berufsbildenden Schulen einbindet. Das ist ein guter Weg, über HTL und HAK die Leute in den Beruf zu bringen. Es geht ja nicht darum, sie ewig in der Schule zu behalten, sondern die Integration weiterzuführen und für Behinderte gute Jobs zu finden.

Haidlmayr: In der ÖVP ist man doch noch so weit weg von der Thematik. Sie glauben, behinderte Kinder behindern den Ausbildungsweg von nicht behinderten Kindern. Die ÖVP hat Schiss davor, dass nicht behinderte Kinder auf der Strecke bleiben - was überhaupt nicht stimmt, denn Integration ist eine Chance für alle Kinder. Aber die letzten zwei Schulorganisationsnovellen sind genau in die andere Richtung gegangen. Diejenigen, die in der ÖVP etwas zu sagen haben, leben mit Leib und Seele für die Sondersysteme und nicht für Schulintegration.

Huainigg: Man muss versuchen, mitzugestalten und nicht nur draußen zu stehen und zu schimpfen. Deswegen finde ich es schade, dass sich die Grünen den Koalitionsgesprächen mit der ÖVP verweigern. Ich glaube, eine schwarz-grüne Koalition könnte viel erreichen.

Haidlmayr: Die ÖVP wird sich entscheiden müssen, ob sie ihren Wendekurs weiterfährt oder sich wieder ihrer christlich-sozialen Werte besinnt. Ihr Ende der Wende ist aber noch nicht erkennbar.

DIE FURCHE: Aber ist die erfolgreiche Kandidatur von Huainigg nicht ein Signal für die Mitte?

Haidlmayr: Er allein ist da zuwenig. Aber wenn er der ÖVP zeigt, wie der Hase läuft, dann freut mich das total. Sie werden es das erste Mal begreifen, wenn sie eine Klubklausur machen. Dann können sie nicht mehr auf den hohen Berg hinauf. Dann müssen sie dich mitnehmen und erst einmal ein Lokal finden, wo du keine Barrieren hast. Aber der Franz-Joseph wird in der ÖVP schon ein gewisses Bewusstsein schaffen.

Huainigg: Meine Position ist nicht: Einer gegen die ÖVP. Ich weiß, dass ich in meiner Partei Verständnis und Unterstützung für die Anliegen von behinderten Menschen finde.

Haidlmayr: Bis jetzt war es so, dass jene, die gegen die VP-Klubmeinung waren, bei der Abstimmung hinausgegangen sind. Aber das ist undemokratisch. Das Abgeordnetendasein darf nicht darin bestehen, dass sie bei Interessenkonflikten mit der Partei auf der Wanderschaft geschickt werde, also bei Abstimmungen den Plenarsaal verlassen.

Huainigg: Du weißt, dass ich in der Vergangenheit hartnäckig für die Rechte von Behinderten eingetreten bin. Gerade was den ORF betrifft, ob das nun mehr Untertitel oder mehr Gebärdensprache betrifft, konnte ich schon Einiges umsetzen. Bei der Aufklärung von Journalisten, wie die Darstellung behinderter Menschen in den Medien sein soll, ist noch viel zu tun. Und ich wünsche mir, dass es uns gelingt, den Diskussionsprozess über das Sendekonzept und die Darstellung behinderter Menschen bei "Licht ins Dunkel", erfolgreich weiterzubringen.

Haidlmayr: Seit 20 Jahren kämpfen wir hier gegen Windmühlen. Erreicht haben wir nichts. Für behinderte Menschen muss ich keine Spendenaktion wie bei einem Hochwasser machen. Wir sind keine unkalkulierbare Katastrophe, die vom Himmel fällt. Wir sind da. Deswegen brauchen wir einklagbare Rechte. Damit wir Menschen mit Behinderung so leben können, wie es uns zusteht: gleichgestellt mit nicht behinderten Menschen.

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