Die Handelsschüler-AG und der kleine Bär

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Der kleine Bär liest ein Buch", lautet der Titel des Pixi-Heftes, das die Drittklässler der Handelsakademie im zehnten Wiener Bezirk sichtlich stolz vor sich ausgebreitet haben. Es liegen gedruckte Exemplare in den Sprachen Deutsch-Türkisch, Deutsch-BKS (Bosnisch-Kroatisch-Serbisch), Deutsch-Tschechisch und Deutsch-Englisch vor. "Wir produzieren bilinguale Pixi-Hefte für Kinder mit Migrationshintergrund zwischen fünf und acht Jahren. Durch unsere Hefte wollen wir ihnen die deutsche Sprache näherbringen", sagt der 16-jährige Thomas Kreisinger, dem die Idee zur Geschichte für das Heft eingefallen ist.

Er darf sich Geschäftsführer des "Junior"-Unternehmens "Read It" nennen, seit seine Klasse am Projekt "Junior Company" teilnimmt. Die neun HAK-Schüler bieten ihre bilingualen Hefte im selbst erstellten Webshop an und sind so Teil des realen Wirtschaftslebens. "Un s e r Unternehmen funktioniert ähnlich wie eine Aktiengesellschaft", erklärt Kreisinger. "Durch den Verkauf von Anteilsscheinen haben wir 470 Euro Eigenkapital für unsere Unternehmensgründung erworben." Der Gewinn, der derzeit bei 1250 Euro liegt, wird am Ende des Geschäftsjahres unter den Anteilsschein-Eignern aufgeteilt. Zudem muss die Projekt-Gruppe Steuern und Abgaben an den "Staat", also an die Dachorganisation "Junior Österreich", leisten. Zwei Betreuungslehrer coachen die Neo-Unternehmer, Mentoren aus der Wirtschaft leisten wiederum fachliche Unterstützung. Hinter dem "Junior"-Projekt steht die Bildungseinrichtung "Volkswirtschaftliche Gesellschaft", die als Plattform der Begegnung von Schule und Wirtschaft fungieren will und ein Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge an die Schulen tragen möchte.

Vom Logo bis zur Bankenverhandlung

Die Herausforderungen für das Team sind vielfältig: Die Schüler haben bereits einen Businessplan entworfen, Logos designt, einen Firmennamen festgelegt, Investoren gefunden, mit der echten Bank die Kontokonditionen ausverhandelt und Marktforschung betrieben. Nun produzieren und verkaufen sie ihr Produkt, führen Buch, errechnen ihre Gehälter, erstellen am Ende des Schuljahres einen Geschäftsbericht und evaluieren sich im Team gegenseitig. Jeder nimmt je nach Talenten und Interessen unterschiedliche Aufgaben wahr. Zwei Sozialvereine haben sich als Abnehmer gefunden, 600 Stück sind bereits verkauft.

Die 16-jährige Katharina Klotz erledigt seit Herbst die Buchführung. Seither haben sich viele Fragen aufgetan: "Wo können wir günstig drucken? Wie bringen wir unser Kinderbuch an die Kunden? Wer ist unsere Zielgruppe?" Wenn etwas Dringendes ansteht, muss das gleich erledigt werden, egal, wie spät es ist. "Das Projekt bietet einen geschützten Rahmen, um herauszufinden: Welche Aufgaben liegen mir besonders? Wäre die Selbstständigkeit später etwas für mich?", erklärt Projektbetreuer Florian Wallner. Viele Talente könne er im Regelunterricht mit über 25 Schülern nie so individuell fördern. Ihm ist es besonders wichtig, die unterschiedlichen Ressourcen seiner Schüler in den Unterricht und in den Schulalltag zu integrieren und sie zu stärken.

Vielmehr als nur um praxisbezogene Wirtschaftskenntnisse geht es dem Pädagogen aber um soziale Kompetenzen. Neben den gängigen Fähigkeiten wie Präsentieren oder Moderieren sind in der Arbeitswelt zunehmend Konfliktfähigkeit und Resilienz gefragt. Auch dafür ist die "Junior"-Firma eine geeignete Spielwiese. "Die jungen Leute können im "Junior"-Projekt gemeinsam mit ihren Coaches reflektieren: ,Ich habe mich so und so verhalten. Wie hätte ich es anders machen können? Wie wollen wir miteinander tun?'" Natürlich geht beim ersten Anlauf so manches schief, doch bei diesem Projekt dürfen Fehler gemacht werden. "Aus diesen Fehlern können sie sich viel mitnehmen", ist Wallner überzeugt. Seine Kollegin Susanne Spangl hält es für eine der wichtigsten Erfahrungen, dass die Schüler lernen, nicht gleich bei den ersten Widerständen aufzugeben, sondern dranzubleiben. Wer ein Jahr lang ein Unternehmen erfolgreich führen will, müsse diese Kompetenz unweigerlich entwickeln. "Der Lerneffekt ist bei praxisbezogenen Projekten besonders nachhaltig", sagt Spangl.

Das Lernen macht Sinn

Bei den jungen Leuten kommt der Projektunterricht gut an. "Sonst sitzen wir meist in der Klasse und hören zu. Bei der 'Junior Company' bekommen wir einen kurzen Input, suchen uns die Informationen selbst und erarbeiten uns dann alles im Team", sagt der 16-jährige Stefan Reiter, der "von allem ein bisschen was macht". Durch das sichtbare Ergebnis ist ihm der Sinn hinter der Arbeit bewusst. "Wir machen das ja nicht für die Lehrer, sondern für unsere Firma -umso besser wir es machen, umso interessanter wird das Produkt für unsere Kunden." Nach der Matura will Reiter sein erworbenes Wissen umsetzen können. Man solle sich als Maturant auf Englisch gut verständigen können, auch in Deutsch ein tieferes Textverständnis mitbringen und gewisse Grundkenntnisse in Mathematik haben. "Wenn einem am Weg zur Matura immer wieder Verantwortung aufgetragen wurde und man die Erwartungen erfüllen oder gar übertreffen kann, bestärkt einen das sicher bei der Matura und auch danach", meint seine Mitschülerin Katharina Klotz.

Die Ideen der "Junior"-Unternehmer sind jedenfalls von Jahr zu Jahr originell: Von Regenschirmen, die sich per Fernsteuerung öffnen lassen bis hin zur vollautomatischen Nagellackentfernungs-Vorrichtung. Nicht immer bleibt es bei dem einjährigen Projekt.

Letztes Jahr gelang es einem Team, ein Getränk aus Limette, Hibiskus, Rosenblüten und Ingwer in Wiener Lokalen zu platzieren. Derzeit machen die drei Schüler noch die Matura, im Sommer wollen sie dann mit ihrem "levedrink" durchstarten.

Es gibt aber auch schon Beispiele von "Junior"-Absolventen, die heute erfolgreiche Unternehmer sind: Die Schülerin Sofie Quidenus etwa war 1999 bei einem "Junior"-Projekt für das Marketing zuständig. Ihr Marketingtalent konnte sie dann im Zuge des Studiums beim Launch einer automatischen Noten-Umblätter-Maschine unter Beweis stellen. Heute ist ihr Unternehmen Marktführer im Bereich der V-förmigen Buchscannung und hält zahlreiche Patente in diesem Bereich. Von einem solchen Erfolg träumt auch Thomas Kreisinger. Nach den Sommerferien will er gemeinsam mit vier Klassenkollegen und seinem volljährigen Bruder ein eigenes Unternehmen starten und die Idee mit den bilingualen Pixi-Heften ausbauen. Diesmal soll es auch auf eigene Faust klappen -länger als nur ein Jahr.

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