Pädagogischer Angstbiß?

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"Sie sind trotz wiederholter Aufforderungen zum Elternsprechtag Ihres Sohnes (Ihrer Tochter) nicht erschienen und haben sich dadurch den Vorhaltungen der staatlich befugten Lehrkraft bezüglich Lernfortschritt und Verhalten des Erziehungsanvertrauten nachdrücklich entzogen. Gemäß § N.N. wird hiermit gegen Sie eine Verwaltungsstrafe von 1.000 Schilling (72,68 Euro) verhängt, welche Sie mit beiliegendem Erlagschein binnen 14 Tagen zur Einzahlung zu bringen haben.

Gez. Die Schuldirektion."

Der Geldbetrag und die Formulierung ist zwar geschätzt, aber ein Schreiben dieses Inhalts hätten demnächst Eltern zu erwarten, wenn es nach den Leitlinien des Christlichen Lehrervereins Oberösterreich aus dem Bezirk Schärding ginge.

Offenbar haben es die Pädagogen im nördlichen Innviertel satt, daß ihre Drohungen bei Schwierigkeiten oder auch nur routinemäßig "die Eltern vorzuladen" auf taube Ohren stoßen. Andererseits scheint es auch manchen Eltern ziemlich gleichgültig zu sein, wie die Lehrer mit ihren Sprößlingen zurechtkommen. Eine Art Pattstellung über den Primat der Erziehungsaufgaben greift um sich. Die Schulen schieben die Schuld den Eltern - und die Eltern den Schulen zu. Vertrauen ist aufgebraucht, Gespräch wird nicht mehr gesucht. Schlechte Dialog-Zeiten! Und die Flucht der amtlich Ermächtigten in das Pressions-Beispiel der Richter, die einen Zeugen oder Angeklagten notfalls mit Beugestrafen zwangsvorführen können.

Der Obmann der Elternvereine an den Pflichtschulen schrie empört auf und der Landesschulrat beschwichtigte. So heiß wird die Suppe, die da die Innviertler Kollegen einbrocken wollten, vorläufig nicht gegessen. Daß der Vorschlag aus einem christlich deklarierten Lager kommt, läßt polarisierte Positionen vermuten. Die Bildungssprecher der Grünen und Liberalen donnerten demgemäß politisch zurück.

Der pädagogische Angstbiß hat freilich psychologische Gründe. Der Platz am Katheder ist längst nicht mehr der eines angesehenen Honoratiors. Und jene aggressionsfreie Didaktik und Geduld, die an den Bildungsstätten gelehrt oder vorausgesetzt wird, überfordert so manchen Lehrer, der einst mit pädagogischen Idealen als Jugendbildner angetreten ist. "Klassenkampf", politisch entfremdet, kehrt wortwörtlich in die Schulklassen zurück.

Überforderte Lehrer Die sanfte Tour verfängt nicht. Die Sehnsucht nach dem Rohrstaberl wächst. Lehrer zu sein kann sogar lebensgefährlich sein, sosehr die vorgefallenen Morde auch als Ausnahmen deklariert werden. Mit einer Kugel im Bauch hören sich Psycho-Gutachten verdammt ungünstig an.

Die Lehrer beklagen, daß ihnen die wirksamen Mittel zur Disziplinierung verhaltensgestörter Kinder systematisch genommen wurden. Welche Strafe darf ein Pädagoge heute noch verhängen, um sich Respekt zu verschaffen? Wie in vielen Bereichen ist das Gleichgewicht von Rechten und Pflichten einseitig verschoben.

An den Stammtischen im Innviertel und anderswo wird längst die "g'sunde Watschen" und das "Außischmeißen" als Alternative gepredigt. Und derweil sich so der Papa an der Volksseele stärkt, sitzt daheim der Filius vor dem Fernsehapparat und zieht sich den täglichen Krimi hinein - und die doppelbelastete Mama bügelt die Wäsche für den nächsten Bürotag. Und da soll sie auch noch Lust haben, übermorgen der Vorladung zum Schulsprechtag zu folgen!

Unterrichtsministerin Gehrer, theoretisch mit solchen Problemen ebenso belastet wie praktisch befreit, hält verständlicherweise die Fahne gewaltfreier Pädagogik hoch. Von Strafverfügungen gegen nichterscheinende Eltern hält sie nichts - und betont sogar, daß solche Vorschläge in der ministeriellen Arbeitsgruppe für Erziehungsmodelle noch nie gehört wurden. Oberösterreichs Landesschulinspektor Riedl plädiert indes für strafweise "soziale Dienste", um unbotmäßige Schüler wieder auf den einsichtigen Weg zu bringen. Ob die Assoziation von sozialen Aufgaben mit Strafe ein "positiver Lernprozeß" ist, bezweifelt jedoch die Ministerin.

Für Praktiker ist guter Rat teurer denn je. Erfahrungsgemäß eskaliert die Schul-Situation alljährlich in dem Maße, in dem sich das Schuljahr zu Ende neigt. Doch das Prinzip von Lohn und Strafe, so unangenehm es ist, läßt sich damit nicht aus der Welt schaffen. Zwischen Prügel-Pädagogik und Soft-Psycho, zwischen Polizei-Staat und Ego-Verwilderung liegen noch manche unbegangenen Wege. Wenn das nicht so wäre: Wo kämen eigentlich trotz aller Schulschwierigkeiten die vielen normalen, anständigen Menschen her?

Eduard C. Heinisch

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