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Die Christen im Sog der Gewalt

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Während der Ölrausch in Nigeria die ethnischen Minderheiten bedroht, wird der Druck der Islamisierung auf Christen immer stärker.

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Während der Ölrausch in Nigeria die ethnischen Minderheiten bedroht, wird der Druck der Islamisierung auf Christen immer stärker.

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Eine schwarze Schicht klebt auf der Haut der Menschen und legt sich auf die Blechdächer der Hütten. Meterhoch lodernde Flammen von täglich 300 Millionen Kubikmeter Gas erhellen die Nächte und blasen den Ruß kilometerweit über das Land. Aus geborstenen Pipelines quillt Ol und verseucht die einst fruchtbaren Böden und das Trinkwasser. Die Mangrovenwälder an der feuchtheißen Meeresküste des großen Mündungsdeltas des Niger sind zerstört. Ein schillernder Ölfilm bedeckt die breiten Flußarme und die Lagunen, auf denen früher die Fischer reiche Beute aus ihren Netzen holten. Was den einen im Süden Nigerias ihre Lebensgrundlagen raubt, beschert den arideren Milliardengewinne: Im Delta des Niger sprudelt das Öl, täglich fast zwei Millionen Barrel.

Rund die Hälfte des schwarzen Goldes Nigerias wird von Shell gefördert, der Rest hauptsächlich von Mobil, Agip, Chevron, Elf und Texaco. Auch Österreich zapft mit: In der Raffinerie Schwechat wird auch nigerianisches Rohöl verarbeitet, importiert von der OMV und den heimischen Tochtergesellschaften der ÖLkonzer-ne. Hinter Saudi-Arabien, Algerien und Libyen ist Nigeria Österreichs viertgrößter Öllieferant.

Statt den Wohlstand der arabischen Scheichtümer brachte das Öl den sechs Millionen Bewohnern des Niger-Deltas Zerstörung, Krankheit und Tod. Das Schicksal der Minderheiten wird am Beispiel der halben Million Ogoni sichtbar: verbreitete Allergien, Haut-, Lungen- und Magenkrankheiten, eine Lebenserwartung von 51 Jahren, ein Arzt für 70.000 Menschen, 80 Prozent Analphabeten, 85 Prozent Arbeitslose, kein reines Trinkwasser, keine Kanalisation, keine Schulen, keine Elektrizität, keine Straßen.

Die jeweiligen Machthaber des bevölkerungsreichsten Landes Afrikas setzten seit der Entdeckung von Erdöl' im Ogoniland im Jahr 1958 auf das schnelle Geld. Heute stammen Nigerias Exporteinnahmen zu mehr als 95 Prozent aus dem Geschäft mit dem Öl, das zugleich 80 Prozent der gesamten Staatseinkünfte liefert. Die Ölmillio-nen fließen vorwiegend in Großprojekte der Industrie sowie in die Taschen von Politikern und Militärs. Völlig vernachlässigt wird hingegen der Agrarsektor mit den meist kleinbäuerlichen Produzenten. Die Importe von Nahrungsmitteln wuchsen bereits auf 20 Prozent der Gesamteinfuhren. Nach dreieinhalb Jahrzehnten des rücksichtslosen Baubbaus haben die Ogoni vor sechs Jahren den Startschuß zum Widerstand gegeben. Die „Bewegung für das Überleben der Ogoni” (MOSOP) fordert ein Ende des ökologischen Krieges, Kompensation für die erlittenen Schäden und eine Beteiligung am Reichtum der Bodenschätze. Auch die Izon, die Ogbia, die Ikwerre und die anderen ethnischen Gruppen haben sich organisiert. Sie alle fordern zudem politische Autonomie im Rahmen einer Fö-deralisierung und Demokratisierung Nigerias.

Die Militärregierung unter General Sani Abacha kennt wie jede Diktatur der Welt nur eine Antwort: die Gewalt. Die Sondereinheit Special Task Force überfällt mit Hubschraubern, ■ Panzerwagen und Maschinengewehren einzelne Dörfer des Deltas und metzelt die Rewohner nieder. Scharen von Ogoni fliehen ins benachbarte Benin. Mit diesen blutigen Massakern will Abacha den gemeinsamen Widerstand der Opfer des Öl-rausches brechen. Die Ermordung des Schriftstellers Ken Saro Wiwa im vergangenen Jahr sollte den Protest endgültig zum Schweigen bringen. In einem Schauprozeß vor einem Militärgericht mit bestochenen Zeugen wurde der Träger des Bruno-Kreisky-Preises für Menschenrechte gemeinsam mit acht weiteren MOSOP-Aktivisten des Mordes beschuldigt. Am 10. November wurden sie ungeachtet internationaler Proteste im Port Harcourt Gefängnis gehängt. Anschließend übergössen Soldaten Saro Wiwas Leiche mit Säure. Jegliche öffentliche Trauer wurde verboten. Wer in schwarzer Kleidung aufgegriffen wurde, kam ins Gefängnis. Kein Grab, keine Gedenkstätte sollen nach dem Willen der Militärs an Saro Wiwa erinnern. Trotz dieses Versuches einer Vernichtung über den Tod hinaus ist der Führer der Ogonis bereits zu einem Symbol im Kampf um Menschenrechte und Demokratie geworden.

Auch die Christen Nigerias geraten vermehrt ins Fadenkreuz der Gewalt. Im Sog einer Radikalisierung des islamischen Denkens häufen sich die Gewaltausbrüche. Wohin die religiöse Fanatisierung durch den wachsenden islamischen Fundamentalismus führt, zeigen die Lynchmorde an zwei Katholiken des Ibo-Stammes. Schauplatz war die Stadt Sokoto im Nordwesten Nigerias, Sitz jenes Sultans, der als höchste islamische Autorität des andes 26. Dezember 1994: Gideon Akaluka wird von einer Gruppe von Muslimen der Beleidigung des Islams beschuldigt und auf der Stelle enthauptet. Anschließend wird der Kopf des Toten auf einen Pfahl gesteckt und durch die Straßen der Stadt getragen. 24. Jänner 1995: auf dem Marktplatz wird ein Ibo beschuldigt, die Worte des Propheten Mohammed gelästert zu haben. Unmittelbar darauf prügelt ihn die Menschenmenge zu Tode.

Im Norden des Landes treibt die Gruppe „Dschamaatu Tadschdidi Is-lamiya” (Gesellschaft für islamische Erneuerung) ihr Unwesen. Sie fordert die meist als Geschäftsleute ansässigen Christen auf, die Häuser zu verlassen. „Dies ist der einzige Weg, um Ihr Leben zu retten” heißt es in den Flugblättern der Fundamentalisten, denn „Kano wird eine islamische Stadt, sowie ganz Nigeria bald ein islamischer Staat sein wird”. Viele Christen haben die Provinzstadt Kano bereits verlassen, die übrigen fürchten um Besitz und Leben. Seit einem Jahr herrscht eine nächtliche Ausgangssperre. Zu religiösen Ausschreitungen kam es 1982, als radikale muslimische Studenten acht katholische Kirchen in Brand steckten. 1987 brannte das Priesterseminar der Erzdiözese Kaduna. Rund 5.000 Menschen fielen in den letzten zehn Jahren dem religiösen Fanatismus zum Opfer.

Auch von Seiten des Staates wird der Druck der Islamisierung stärker. So besetzten im März dieses Jahres Polizisten drei christliche Schulen im Bundesstaat Kwara und verweigerten Lehrern und Schülern den Zutritt. Die Begründung der Behörden: in den christlichen Schulen werde kein islamischer Beligionsunterricht erteilt.

Wiederholt sprachen sich die katholischen Bischöfe Nigerias öffentlich gegen die „massive Abwertung des Lebens” aus, die in der „Zerstörung der Umwelt, der schwerwiegenden Verarmung des Volkes, in tiefgehenden ethnischen und religiösen Spannungen sowie in der rücksichtslosen Behandlung sozialer Unruhen durch die Behörden” sichtbar wird.

Auch im Ausland formiert sich der Widerstand. Eine führende Gestalt der nigerianischen Opposition ist Wole Soyinka. Der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1986, der selbst zwei Jahre im Gefängnis saß, lebt heute im Exil in Europa. Den Beschluß der Regierungschefs des Com-monwealths, nach der Hinrichtung Saro Wiwas Nigeria zwei Jahre Zeit zu geben, die Demokratie wiederherzustellen, hat Soyinka scharf kritisiert. Für ihn gibt es nur eine Möglichkeit: „Der Diktator muß gestürzt werden”. Eine totale Isolierung des Regimes

NIGERIA

Fläche: 923.768 km2 Einwohner: 98 Millionen Regierung: General S. Abacha, seit dem Staatsstreich vom 17.11.1993 Bevölkerung: Haussa 21 %, Yoruba 20 %, Ibo 17 %, Fulani 9 %, Kanuri 4 % u.a.

Sprachen: Amtssprache Englisch; Arabisch, Stammessprachen Religion: Muslime 46 %, Protestanten 26 %, Katholiken 13 %, Traditionelle Religionen 4 %, Unabhängige afrikanische Kirchen 11%

Katholische Kirche 45 Bischöfe, 2.503 Priester, 17.469 Katechistinnen und Katechisten, 2.493 Ordensfrauen, 282 Ordensbrüder, 3.327 Seminaristen; 38 Diözesen, 9.063 Pfarren und Missionsstationen, 18 Priesterseminare;

1.373 Kindergärten, 1.611 Volksschulen, 396 Sekundärschulen, 128 Spitäler, 165 Ambulatorien, 20 Leprastationen, 499 soziale Einrichtungen. durch westliche Staaten solle helfen, das Ende der Schreckensherrschaft zu beschleunigen und einen blutigen Bürgerkrieg zu vermeiden.

Ungerührt verschanzt sich General Abacha weiterhin im schwerbewachten Präsidentenpalast Aso Bock oberhalb der neuen Hauptstadt Abuja. Am Höhepunkt der Proteste des Vorjahres versprach er, am 1. Oktober 1998 die Macht in die Hände eines gewählten zivilen Präsidenten zu legen. Die Opposition fordert hingegen die sofortige Amtsübernahme durch den Sieger der Präsidentenwahl von 1993, Moshood Abiola, der nach wie vor im Kerker sitzt. Seit der Ermordung seiner Frau Kudirat Abiola, die die Kampagne zur Befreiung des Präsidenten anführte, ist die nigerianische Demokratiebewegung wieder um eine Hoffnung ärmer geworden.

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