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Gehschule für Sozialpolitik

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Dennoch — für die Lage in Südtirol (und für deren falsche Beurteilung durch viele, auch wohlwollende Kreise) war der „Aufbau“ — der, wie sein Sprecher, Abg. Roland Riz, erklärte, von vornherein den Gedanken, selber Partei zu werden, ablehnte — typisch. Typisch vor allem für Südtirol als unterentwickeltes Gebiet. Da fanden sich Industrielle und Großkapitalisten mit den Vertretern der Arbeitnehmerschaft (zum Beispiel dem Generalsekretär des Südtiroler Gewerkschaftsbundes und dem Präsidenten des „Katholischen Verbandes der Werktätigen“, der freilich selber als zweifacher Präsident der Unternehmerschaft nähersteht); da vereinten sich Katholiken und Liberale, die sich 1947 noch über die Konfessionalisierung des Parteiprogramms zerstritten hatten; vor allem aber waren in dieser Gruppe — in der Unternehmer, Großagrarier und Kapital, wie die Lektüre der langen Unterzeichnerliste erkennen ließ, den Ton angaben — auch jene ehemaligen SVP-Führer versammelt, die von der römischen Politik „verheizt“ worden waren: der seinerzeit als radikal verschriene Parteiobmann Erich Amonn oder Toni Ebner, der als angeblich Radikaler zum erstenmal (1951) Parteiobmann war, als Magnago — der Radikale von heute — bei allen als „Appeaser“ galt, weil er in einem Interview für RIAS versöhnliche Töne angeschlagen hatte.

Es ist jedoch das Verdienst des „Aufbau“, eine — von den großpolitischen Ereignissen überdeckte — Diskussion wieder in Gang gebracht zu haben. Wer indes die Debatten in den Landesversammlungen der SVP in den letzten Jahren verfolgen konnte, der wird hierin in erster Linie einen Akt der Notwehr sehen. Den Vertrauensleuten der Südtiroler Volkspartei in den Dörfern fehlt der Sprachschatz, der Voraussetzung für ein sozialpolitisches Gespräch wäre. Was bei solchen Landesversammlungen aufklingt, ist wohl vielfach sozialer Notschrei, aber er wird in „völkischen“, allgemein ethischen oder dem frühsozialistischen Zeitalter entlehnten Begriffen aggressiv vorgetragen: da ist von „Geldsäcken“ die Rede, von „Judas-Drachmen“, für die — kapitalistischer Gewinne halber — „Heimat und Volkstum“ verkauft werden. Keine Auskunft

Wie viele Südtiroler Industriearbeiter gibt es? Auf die Frage erhält man keine Auskunft. Die etwa 15 größeren Südtiroler Betriebe (sie beschäftigen zwischen 20 und 350 Leute) haben durchweg eine fünfzig- bis hundertprozentige Südtiroler Belegschaft. Bei den italienischen Großbetrieben in der Bozener Industriezone sollen derzeit vier Prozent der gesamten

Arbeiterschaft Angehörige der Minderheit sein: Den größten Anteil von Südtirolern weisen die Lancia-Werke mit etwa 180 auf; insgesamt wird die Zahl der Südtiroler nicht über 3 50 liegen. Ein vor kurzem unternommener Versuch der Südtiroler Landesregierung (der die Erhebung von Statistiken verboten ist!), auf diese Frage Antwort zu erhalten, scheiterte: sowohl die Betriebe als auch die zuständigen staatlichen Ämter verweigerten die Auskunft. Auf dem Umweg über die Gewerkschaften ist eine Erhebung aus dem Grund nicht möglich, weil die Südtiroler zumeist in der kommunistisch-linkssozialistischen Confede-razione Generale italiana dei lavora-tori (CGIL) organisiert sind (obschon sie bei jeder politischen Wahl die Edelweißliste wählen).

Zweierlei steht fest: Das Südtirolproblem wird erst dann gelöst sein, wenn seine negative psychologische Komponente, wenn das Getto beseitigt ist; und: die Gettomauern lassen sich nur durch eine tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Reform niederreißen. Die Erreichung dieses Ziels erfordert gewiß eine weitgehende Zusammenarbeit der Sozialpartner — diese Zusammenarbeit darf indes nicht, wie es bis heute der Fall ist, darin bestehen, daß man von den aktuellheißen Problemen mit rhetorischen Appellen in nationalem Stil ablenkt; das „Aufbau“-Manifest war — allem modernen Gehalt zum Trotz — ein solcher ablenkender Appell.

2000 Arbeitsplätze im Jahr sollen, wie Assessor Fioreschy verkündet hat, von nun an geschaffen werden, um den Bevölkerungsüberschuß der Minderheit aufzunehmen. (Von den 7000 Vierzehnjährigen, die pro Jahr die Schule verlassen, sind 5000 Südtiroler.) 2000 Arbeitsplätze wären zum Beispiel im Baugewerbe — zwei Bauunternehmer haben das Aufbaumanifest unterzeichnet — nicht viel, vor allem nicht angesichts der Tatsache, daß mit der Gründung der Autobahngesellschaft Verona—Brenner sich für alle Firmen neue Arbeitsmöglichkeiten auftun. Südtirol steht damit wieder einmal vor einer jener kaum beachteten Alternativen: Autobahnbau bedeutet Arbeitskräfte; wenn sie das Land nicht liefert, werden sie zuwandern; von hundert Zugewanderten bleiben mindestens zwanzig im Land. Der Einheitspartei, der Fraktion „Aufbau“ in der SVP, dem „Katholischen Verband der Werktätigen“, der mit seinen 23.000 Mitgliedern zwar die straffste, aber leider keine moderne Organisation innerhalb der SVP darstellt, bietet sich hier die Gelegenheit, einen entscheidenden Schritt nicht zur Sicherung, sondern zur Entwicklung der Minderheit zu tun.

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