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Tito und der Vatikan

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Was seit Monaten als unmittelbar bevorstehend gemutmaßt wurde, ist nun endlich eingetreten. In der Jugoslawischen Hauptstadt Belgrad Unterzeichnete der „Vatikanische Reisende in Ostsachen“, Monsignore Agostino Casaroli, am vergangenen Wochenende ein Abkommen zwischen dem Heiligen Stuhl und der jugoslawischen Regierung. Wie erwartet, handelt es sich dabei um kein Konkordat im üblichen Sinne. Beide Seiten sprechen nur von einem Abkommen in der Form eines „Protokolls“ über die bisherigen Verhandlungen, in denen in einigen wichtigen Belangen, aber keineswegs in allen, eine Übereinstimmung erzielt werden konnnte.

Nicht nur die Form und damit die Bezeichnung des Übereinkommens tragen das Signum des Kompromisses und der langen, noch immer nicht abgeschlossenen Verhandlungen. Auch in den einzelnen Ergebnissen wurden ungewöhnliche Zwischenlösungen und teilweise Provisorien gewählt. So werden zwischen dem Vatikan und Belgrad die 1952 abgebrochenen diplomatischen Beziehungen wieder aufgenommen, allerdings nicht in Form von Botschaft und Nuntiatur; der Heilige Stuhl wird in Belgrad vielmehr durch einen Apostolischen Delegaten vertreten sein, während die jugoslawische Regierung einen Gesandten an den Apostolischen Stuhl entsendet. Beide haben die Aufgaben von ständigen Vertretern und werden aller diplomatischen Rechte teilhaftig sein.

„Schutz der Aktionsfreiheit der Kirche“

Das von Msgr. Oasaroli und — von jugoslawischer Seite — vom Präsidenten der Kommission für kirchliche Angelegenheiten, Milutin Moraca, als Bevollmächtigten Unterzeichnete Protokoll besteht aus vier relativ kurzen Artikeln, von denen zwei jeweils in zwei Punkte untergeteilt sind. Die ersten beiden Artikel enthalten „Grundpositio- nen“, die die beiden Partner bereits jetzt als verpflichtend niederlegen zu können glaubten. Der jugoslawische Staat könne und wolle auf Grund seiner Verfassung keiner der verschiedenen religiösen Konfessionen, die im Land vertreten sind, einen besonderen juridischen Status zuteilen. Die Regierung beschränke sich darauf, die Prinzipien darzulegen, „auf denen in der Föderalistischen Sozialistischen Republik Jugoslawien die Ordnung der juridischen Position der religiösen Gemeinschaften fußt und die von der Verfassung und von den Gesetzen garantiert sind“. Der zweite Punkt des ersten Artikels hält fest, daß die jugoslawische Regierung die geistliche Jurisdiktion des Heiligen Stuhls über die katholische Kirche in Jugoslawien anerkennt und den Bischöfen des Landes auch in Zukunft die Möglichkeit gibt, in kirchlichen und religiösen Dingen mit dem Heiligen Stuhl in Kontakt zu bleiben.

Durch diese Abschnitte des Abkommens werden die an und für sich durchaus für die Kirche nicht ungünstigen Verfassungsbestimmungen unterstrichen und erhalten gleichzeitig einen bilateralen Wert. Wie bei allen Verhandlungen des Vatikans mit Oststaaten ist es gerade diese Unterstreichung und Garantie der Rechte und der Aktionsfreiheit der Kirche, die auf dem diplomatischen Wege erreicht werden soll.

Gegen Mißbrauch der kirchlichen Funktionen

Der Heilige Stuhl anderseits entspricht im Protokoll zwei Forderungen der Belgrader Regierung. Er bestätigt das Prinzip, daß die Aktivität der katholischen Kleriker in der Ausübung ihrer priesterldchen Funktionen sich innerhalb des religiösen und kirchlichen Bereichs vollziehen müsse, ein eventueller Mißbrauch dieser Funktion „für Zwecke, die rein politischen Charakter haben“ also illegitim wäre. Sollte die Regierung — heißt es — diesbezügliche Beschwerden haben, werde sie der Heilige Stuhl entsprechend prüfen. Zum zweiten mißbilligt und verurteilt der Heilige Stuhl „im Einklang mit den Prinzipien der katholischen Moral jeglichen Akt des Terrorismus und analoger Formen politischer Gewalt, von wem er auch immer begangen wird“. Der Heilige Stuhl verpflichtet sich, „für den Fall, daß nach dem Urteil der jugoslawischen Regierung katholische Kleriker an derartigen Aktionen zum Schaden Jugoslawiens teilgenommen haben und diese die Fälle dem Heiligen Stuhl mittedlen zu müssen glaubt“, diese Hinweise zu prüfen und zu beurteilen, ob ein „für solche Fälle vom kanonischen Recht vorgesehenes“ Einschreiten erforderlich ist.

Es bestehen keine Zweifel, daß hinter den sehr vorsichtigen und scheinbar unverbindlichen Formulierungen doch wesentliche Übereinstimmung voriiegt, die unter Umständen bedeutsame Konsequenzen zur Folge haben kann. Vor allem dürfte gerade in diesen Abschnitten eine spürbare Absage an alle militanten Exilorganisationen der jugoslawischen Regierung gegenüber ausgesprochen sein, worauf die jugoslawischen Gesprächspartner bei den Verhandlungen immer wieder drängten.

Eine lange und bewegte Vorgeschichte

Die Beziehungen zwischen dem Vatikan und Jugoslawien haben in den letzten Jahrzehnten eine sehr wechselvolle Entwicklung genommen. Die Regierung Marschall Titos hielt zunächst am Konkordat aus dem Jahre 1935 fest, belastete jedoch bald die diplomatischen ü ‘‘Ziehungen durch zahlreiche k„ cnenfeind- liche Maßnahmen aufs schwerste. Trotz der Proteste des Vatikans wurde der Agramer Erzbischof Stepinac im Oktober 1946 vor Gericht gestellt und in einem Schau prozeß zu 16 Jahren Gefängnis verurteilt. Als 1952 der Papst die jugoslawischen Bischöfe in ihrem Widerstand gegen die vom Regime zur Spaltung der Kirche begünstigten Verbände „fortschrittlicher“ Priester bestärkte, wurde in der kommunistischen Presse Jugoslawiens die Forderung nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen, zum Vatikan laut. Den letzten Anstoß dazu gab schließlich die Ernennung des unter Hausarrest stehenden Erzbischofs Stepinac zum Kardinal.

Nach einer Periode offenen Kirchenkampfes besserte sich in den folgenden Jahren allmählich die Situation der Kirche. Belgrad suchte über die Schweiz und Frankreich mit päpstlichen Diplomaten Kontakte, um die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Beziehungen zu sondieren. Erlaubnis von Rom reisen jugoslawischer Bischöfe 1958, das feierliche Begräbnis von Kardinal Stepinac im Februar 1960, staatliche Auszeichnungen für jugoslawische Bischöfe sowie Verzicht auf jede Behinderung beim Konzil konnten als sichtbare Zeichen eines gewissen Wandels angesehen werden. Unter Johannes XXIII. vorsichtig angebahnte Kontakte zwischen dem Heiligen Stuhl und Jugoslawien wurden unter Paul VI. fortgeführt und intensiviert. Nach einer Unterredung zwischen dem Papst und dem jugoslawischen Botschafter in Rom im Jänner 1965 reiste der Unterhändler des Heiligen Stuhles, Msgr. Casaroli, zu ersten konkreten Vorverhandlungen nach Belgrad. Seither sind diese Gespräche mit Unterbrechungen weitergeführt worden, bis im April dieses Jahres während des Aufenthaltes einer jugoslawischen Verhandlungsdelegation im Vatikan Übereinstimmung in einigen wichtigen Punkten erzielt werden konnte. Das waren die Grundlagen für das nunmehr Unterzeichnete Abkommen.

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