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ATLANTIS
Vor kurzem berichtete eine Grazer Tageszeitung, daß eine steirische Musikkapelle anläßlich einer Südtirolfahrt in Campo Tures herzlich aufgenommen worden sei. Was heißen soll, daß der Aufenthalt in Taufers stattgefunden hat.
Indes scheint das Verschulden an solchen
Entgleisungen nicht einseitig auf Seite der Reisenden und Berichterstatter zu liegen. Die Verwirrung geht vielmehr in erster Linie und in hohem Maße von den fachlichen Beratern der Landkartenverlage und von den Verlegern aus.
Besonders krasse Beispiele hiefür bieten die Karten des Columbus-Atlasses der Paul Oster-gaard K. G. und Kartographischen Anstalt Dr. Wagner, Berlin und Stuttgart, Auflage 1955. Während dieses Kartenwerk hinsichtlich Ostdeutschlands an der alten Versailler Grenzziehung festhält, hat sich der Atlas für Südtirol überhaupt kein System zurechtgelegt: Innichen, Salurn, Tramin sind mit ihren ehrlichen deutschen Namen allein eingezeichnet, hingegen Auer, Neumarkt, St. Michael 'und St. Pauls in Eppan oder Terlan ausschließlich mit den welschen (Ora, Egna, S. Michele, S. Paolo, Terlano), andere wiederum sind wenigstens doppelsprachig eingetragen, wie Bozen (Bolzano), St. Martin (S. Martino).
Aehnliche Prinzipienlosigkeit beherrscht den Großen IRO-Weltatlas, München 1949. Finden wir etwa auf Karte 17 noch ausschließlich deutsche Bergnamen, so sind die Ortsnamen zumeist doppelsprachig. Ausgerechnet der Ge-burts- und Heimatsort Andreas Hofers, St. Leonhard im Passeier, wird jedoch bloß italienisch bezeichnet: S. Leonardo. Besondere Inkonsequenz zeichnet auch den Münchner Verlag Th. Knauer Nachf aus In Knauers Weltatlas gibt es nämlich nur noch ausschließlich ein Merano, Bolzano und Dobiaco; dafür wird dem deutschen Landkartenleser für die Städte Milano und Ve-nezia gnädigst auch die deutsche Bezeichnung in Klammer geboten.
Daß es durchaus auch anders möglich ist, zeigt uns Andrees Handatlas von Velhagen & Klasing, 1937, der auf Karte 39 die ausschließlich deutschen Ortsbezeichnungen Südtirols bringt. Auch die Italienkarte des Großen Brockhaus 1954 zeigt für Südtirol ausschließlich deutsche Beschriftung.
Mit Genugtuung vermerken wir Gleiches auch von den österreichischen Schulatlanten, nämlich dem österreichischen Mittelschulatlas (Kozenn-Atlas), 80. Auflage, Verlag Hölzl, Wien 1955-, und dem Atlas für Mittelschulen, Verlag Frey-tag-Berndt, Wien. Freilich können wir ersterem den Vorwurf der Inkonsequenz anderwärts nicht ersparen. So leistet er sich auf Karte £2 folgende Ungereimtheiten: Wroclaw, Szczescin, Venedig, Florenz, Neapel, Beograd, Brno, Straßburg, Brüssel, während er auf Karte 56/57 wie folgt vorgeht: Wroclav (Breslau), Szczescin (Stettin), Kaliningrad (Königsberg), Legnica, Kostrzyn (die deutschen Namen Liegnitz und Küstrin werden also nicht geboten), Trento (Trient).
Ganz besondere Aufmerksamkeit aber verdient der 1955 in München im Verlag Goldmann erschienene „Goldmanns Großer Weltatlas“. Für ihn zeichnet als Geograph Prof. Luigi Visintin, Novara, verantwortlich. Das Kartenmaterial (Landkarten, Stadtpläne, Spezialkarten usw.) wurde, wie die Einleitung zum Atlas berichtet, vom Istituto Geografico De Agostini geliefert und basiert auf dem Grande Atlante Geografico, der bis 1943 in Italien vier Auflagen erlebte. Dieser auf der ausgezeichneten italienischen Landkartenkunst basierende Atlas scheut sich nicht, auf der Italienkarte für Südtirol eben auch Südtirol zu sagen und durchgehends und ausschließlich nur die echten deutschen Namen für Berge, Täler, Flüsse und Ortschaften anzugeben.
Vorbilder, wie das überaus hohe Niveau der österreichischen und der deutschen Kartographie erhalten oder wieder errungen werden kann, stehen somit ausgerechnet in dem italienischdeutschen Kartenwerk des Goldmann-Atlasses zur Verfügung!
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