6585294-1951_42_10.jpg
Digital In Arbeit

Auch eine Eisenbahnkatastrophe...

Werbung
Werbung
Werbung

Anläßlich der Vollendung des neuen Wiener Westbahnhofes wurde ein Wettbewerb zur künstlerischen Ausgestaltung der beiden inneren Schmalseiten dieses Großbaues aus-gesdirieben; die Ergebnisse dieses Wettbewerbes nun waren in der vergangenen Woche im Liechtenstein-Palais am Alser-grund zu sehen: Hunderte von Entwürfen, mit denen man nachlässig und lieblos drei große Säle tapeziert hatte.

Vier Fünftel der Bewerber hatten es vorgezogen, sich nicht in geistige Unkosten zu stürzen und sich jener Symbole und Allegorien zu bedienen, mit denen man nooh im vergangenen Jahrhundert den technischen Neuheiten ein klassisch-humanistisches Stempelchen aufzudrücken versuchte: da wimmelte es von Flügelrädern, aus heiter blickenden, flügelbeschuhten Nackedeis hätten sich ganze merkurische Regimenter rekrutieren lassen, Marställe von Flügelrossen — von denen kein einziges „Pegasus hier? - und lange Maskenzüge, in dem es von „Perchten“ wimmelt, hätte man da leicht bilden können. In der Tat, diese Ausstellung glich einem Jahrmarktsunternehmen, das dem kleinen Mann im Ausverkauf letzte spätklassizistische Überbleibsel als Monumentalkunstgewerbe anzudrehen versuchte. Die Symbole waren dutzendweise und die Allegorien gratis zu erstehen...

Die preisgekrönten Entwürfe fügten sich dem Ensemble harmonisch ein. Der erste Preis wurde einem projektierten Mosaik zu-gesprodien, das weder Hirn nooh Herz, sondern nur jene Spiel- und Standbeine zeigte, wie sie schon gestern nur mehr zum Hackenzusammenklappen vor der jeweilig „volksnahen“ Kunst zu gebrauchen waren. Den nächsten Preis erhielt ein tüchtiger und begabter Maler dafür, daß er, der sich in jedem Jahr einmal den Ansprüchen beugt, die etwa ein Fußballtormann an die Kunst stellt, es heuei bei diesem Anlaß getan hatte. Von stiller Einfalt schließlich zeugte die dritte Preisarbeit, die für die Ausschmückung der Bahnhofshalle, wie viele andere auch, eine — Landkarte Österreichs vorschlug; im angefügten Motivenbericht stand wirklich und wahrhaftig, daß die näheren Details des Werkes erst nach Rücksprache mit dem „zuständigen Referenten“ ausgeführt würden ... „Österreich zwischen Ost und West“ war ein beliebtes Motiv in dieser Ausstellung; aber es scheint uns, als ob die Züge, deren Romantisierung dies alles galt, eher nach dem Osten und seiner von Amts wegen regulierten Kunst als nach dem immerhin etwas weniger simpleren Westen führen ...

Die öffentliche Kunstpflege hat mit dieser Ausstellung ein Debakel sondergleichen erlitten. Man kann sie darum nicht bedauern, denn sie war selbst daran schuld. Es ist nicht zu erwarten, daß ein Wettbewerb befriedigende Ergebnisse zeitigt, wenn er von einer Jury beurteilt wird, die zur Hälfte aus gewiß ehrenwerten Beamten, zum anderen Teil aber aus Künstlern besteht, die insgesamt einem bestimmten, nämlich dem ultrakonservativen Lager angehören; es ist eine Tatsache — und eine sehr betrübliche dazu —, daß die Namensliste dieser Jury sehr viele und sehr begabte Künstler davon abgehalten hat, an diesem Wettbewerb teilzunehmen, dafür aber eine Unzahl von Dilettanten lockte, was denn auch im Liechtenstein-Palais kaum zu übersehen war. Man mag immerhin darüber streiten, ob die Jury auch theoretisch als inkompetent und inkorrekt hätte gelten müssen; daß sie es de facto war, bewies die Kuriositätensammlung am Aisergrund. Sie gab “inen schwachen Vorgeschmack davon, was bei der nächsten Staatspreisverteilung zu erwarten sein wird...

Bemerkenswerterweise hat sich selbst die Jury nicht ganz dem niederschmetternden Eindruck entziehen können, den das allegorische Kroppzeug später auf die Wiener Kritik machen sollte: sie verteilte zwar — unbegreiflicherweise — sämtliche Preise, verlangte aber von den Ausgezeichneten neue Entwürfe. Ein Vorgehen, das in jeder Weise angreifbar ist: denn unter solchen Umständen hätten selbstverständlich überhaupt keine Preise, sondern höchstens Anerkennungsprämien verliehen werden dürfen und wäre sodann ein neuer Wettbewerb auszuschreiben gewesen. Denn es besteht keinerlei Grund, die Ausschmückung des neuen Westbahnhofes einem oder mehreren Künstlern nur deshalb anzuvertrauen, weil sie im vorhergegangenen Wettbewerb und in den Augen der Beurteiler gewissermaßen am wenigsten versagt haben. In diesem Falle wären nackte Wände den mosaikbedeckten vorzuziehen. Denn der Kalkverputz lügt wenigstens nicht.

Der erste wirklich großzügig begonnene Versuch, die Künstlerschaft zur Arbeit an neuen Großbauten heranzuziehen, endete mit einem Fiasko.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung