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„Antonius und Cleopatra“ wurde als dreiaktige Auftragsoper termingerecht zu der bis zuletzt von Krisen gefährdeten Eröffnung der neuen New Yorker Metropolitan Opera geliefert; Samuel Barber, der die vorwiegend deskriptive - Musik schrieb, und Franco Zeffirelli, der als Librettist, Entwerfer der Bühnenbilder und Kostüme sowie als Regisseur den Löwenanteil an Arbeit und Verantwortung trug, haben geflissentlich allen Kundenwünschen entsprochen. Was das elegante internationale Premierenpublikum (Österreich war durch Außenminister Dr. Tondic-Sorinj, Staatsoperdirektor Hilbert und Generalkonsul Willfort vertreten) in dem traditionell-funktionellen Hufeisentheater vorgesetzt erhielt, glich einem in sinnennahe Greifbarkeit gerückten Cecil-de-Mille- Monumentalfilm. Daß der Musik sekundäre Bedeutung zukommt, muß der Inszenator, um keine Tricks verlegen, intuitiv empfunden haben, selbst die Tatsache außer acht lassend, daß die Einweihung des prunkvoll seine farbenbunten Chagall-Wandgemälde den Vorüberwandelnden durch stockwerkhohe Fenster zur Schau stellenden Opernhauses den Wert der künstlerischen Darbietung überschattete. Man hat aus dieser Überlegung wenig Anlaß, sich über das Resultat einer artistischen Fehlleistung ungebührlich zu enragieren. Die Veroperung der Shakespeare-Tragödie trug, obgleich sich das Libretto fast wortgetreu an den Originaltext klammert, dem Barden wenig Ehre ein. Zeffirelli, fast bis zum Exzeß von „Visionen“ besessen, entschälte dem Fünfakter den Kern eines Liebes- geschehens, das — ohne dramatische Entwicklungsstufen und Überraschungsmomente — nicht den Torso, sondern das Skelett des historischen Dramas ergab. Fatumbedingt sieht man die Protagonisten dem Ende einer sie verzehrenden Leidenschaft sich entgegenmühen — und schwach ist menschliches Aufbegehren gegen das Diktat solchen Schicksals.

Eine kunstvolle Behandlung der Vorlage ist dem Buch nicht abzusprechen; es gibt der Oper, was der Oper ist — zumindest äußerlich; also Chöre, ein Ballett, ein Massenaufgebot an Statisten, selbst einen kleinen Zoo. An innerer Spannung aber fehlt es wie an psychologischer Durchleuchtung; statt Menschen aus Fleisch und Blut agieren Hampelmänner, widerstandslos den vorgezeichneten Reigen tanzend. Aus den Fugen gebracht wurde das zeitliche Gleichgewicht: im hektischen Hin und Her zwischen Alexandria und Rom rollen die von kurzen, blitzschnellen Szenenwechsel ee-

stattenden, Orchesterinterludien zusammengehaltenen 15 Bilder des ersten und zweiten Aktes ab — dann folgt, quaderschwer, ein einszeniger Finalakt, dessen Zeitlupentempo Barber durch den Einbau alles vorher Versäumten noch weiter ausdehnt. Die episodenhafte Zeichnung der Figuren (nur auf die Rolle der für Leontyne Prices Stimmvolumen zurechtgeschneiderten Cleopatra wurde Wert gelegt) versuchte Barber durch unterschiedliche Charakterisierung zweier Welten wettzumachen: das von kalter Staatsräson beherrschte Rom identifizieren denn jeweils gehämmerte martialische Rhythmen, die schwülstige Sinnenwelt Ägyptens in Glissandi gebadete Läufe der Streicher und der Einsatz von Zimbeln, Tamburinen und Trommeln, die in einem eilfertigen Stakkato die von Cleopatra anbefohlene Boudoir-Tanzszene begleiten. Von musikalischer Innovation ist keine Rede; die Tonalität der Partitur enthält einige schroffe Dissonanzen, die sie mehr verunglimpfen als die Langeweile des Hörers verscheuchen. Gewagt wird ein Nonensprung, der quasi Cleopatras Eigenthema bildet, experimentiert wird sogar mit elektronischen Klängen, wenn der vor der Schlacht bei Aktium in seinem Zelt grübelnde Marc Anton „seltsame Stimmen“ zu vernehmen wähnt.

Kompromißler oder Leisetreter — Barber hat an der mit „Vanessa“ begonnenen Linie gewaltsam festgehalten. Hatte dort schon ein Barak-Motiv seine fast identische Kopierung erfahren, war es auch diesmal nicht verwunderlich, einer getreuen Ausarbeitung des der „Frau ohne Schatten“ entlehnten Schmerzmotivs des Färbers zu begegnen. Eine Anleihe, an die sich postwendend Wagner-beeinflußter „ferner Hörnerklang“ und später Anklänge an des „Tristan“ Hirtenweise reihen. Will man die musikalische „Atmosphäre“ umreißen, ist die Partitur ein Rendezvousplatz, wo man späten Puccini, filigran instrumentierten Britten, unheil- schwangeren „Salome“-Strauss und Ponchiellis krasseste „Italianitä“ fröhlich zusammengekoppelt vorfindet. Eine Mischung, der — bis auf die eklektischen und elegischen Aufschwünge des dritten Aktes — Substanzlosigkeit als Bezeichnung dienen muß.

Die „Visionen“ Zeffirellis als Bühnengestalten waren schwer zu enträtseln. Er schuf — „im Zeitalter der Raumforschung“ arbeitend —, um dem Ganzen eine luftige Leichtmetallverpackung zu verleihen, ein verwirrend in Regenbogenfarben erstrahlendes glasröhrenartiges Quergestänge als einen die 15 Kurzszenen permanent überspannenden Rahmen. Das Horizontalmotiv dieses bereits antiquierten expressionistischen Dekors repetierte er mit einer aus bambusrohrgleichen Stufen bestehenden Holztreppe, die im Innern des Monuments, wo sich dreifacher Tod abspielt — die Eingeschlossenheit symbolisch auf den Dauerfrieden der Ewigkeit erweitet. Alles übrige war eines Zirkusmannes vom Schlage Barnums wert: es steigerte sich zum Spektakulösen durch das Anrollen einer ein düsteres Negergesicht tragenden Sphinx, die niemals stehen blieb, die Bühnenmitte anpeilte, verschiedene Drehungen vollführte, und zuletzt, ihr Rückenbild zeigend, zur dräuenden Riesenschildkröte erstarrte, als sei ihr Mechanismus abgelaufen ...

Alle Mitwirkenden des nur aus heimischen Kräften bestehenden Ensembles gaben ihr Bestes. In schauspielerischer Hinsicht wies die Besetzung große Schwächen auf, vor allem weil Leontyne Price das erotische Fluidum ebensowenig liegt wie Justino Diaz die Veräußerung von Mannes- und Heldentum. Thomas Schippers vermochte vom Pult aus nicht den Midas zu spielen: alles Gold hatte Zeffirelli längst aufgebraucht — und es war nicht des Dirigenten Fehler, daß Barber keines mehr übrig hatte.

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