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Der Traum ein Leben als Musical

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Das österreichische Musical sollte geboren werden, und ein musikalisches Großstadtmärchen ist daraus geworden. Das spricht für die Urheber. Denn die Forderung des Wiener Volksopernwettbewerbs nach einem Werk, das an „die Tradition der österreichischen Operette“ anknüpft und dabei „Aktualität und das dichterisch inspirierte Textbuch“ vom Musical bezieht, ist aus verschiedenen Gründen unerfüllbar. Vor allem mit der Tradition ist es nichts. Die Operette hat nämlich keine. Zumindest im Sinne einer werthaften Entwicklung. Eine Handvoll Juwelen am Beginn, alles andere nachher: Straß, Talmi, Konfektion. Paul Kont als Musiker von Rasse hat das empfunden; er hielt sich lieber an die Gegenwart, und die Jury gab ihm recht, indem sie sein „Traumleben“ mit einem Preis auszeichnete. Die Paritur trägt die Merkmale einer spielerischen Beherrschung der Systeme, die virtuos verbunden werden; in ihren harmonischen und rhythmischen Elementen ist sie originell, voll überraschender Einfälle, und dann finden wir jene als „Urwaldmusik“ apostrophierte Primitivform, die Carl Orff erst neulich mit den Worten verteidigte: „Wohl dem, der noch ein Stück Urwald in sich hat...“ In der Nachbarschaft drastischer Komik berührt die aus dem Nichts der Scheinwelt steigende Melancholie sehr unmittelbar. Anklänge an Kurt Weill und Gershwin, insbesondere in den Songs, seien vermerkt.

Die österreichische Note und das lokale Zeitkostüm verdankt das Werk dem Textbuch von Jörg Mauthe. Einer Anregung des Preisausschreibens folgend, stützte sich der Autor auf ein klassisches Drama der österreichischen Literatur, und seiner Gewandtheit, seiner dramaturgischen Intelligenz und seinem Blick für die Gestaltwandlung der Sinnbilder konnte es nicht schwer fallen, Grillparzers Märchen „Der Traum ein Leben“ in unsere Zeit und nach Wien zu versetzen. Es ist verblüffend, wie zwanglos.sich die Traumwelt Grillparzers in den „entern Gründen“ Qualtingers etabliert. Die Landschaft des Lebens ist hier die Häuserschlucht der Großstadt, das Traumreich des Königs von Samarkand die Prachtkulisse des plutokratischen Lebensstils unserer Zeit. Der von seiner unbestimmten Sehnsucht gepeinigte Rustan trägt das Kostüm des Autome-chanikers Franz, seine Mirza (heißt Mizzi) ist die Tochter seines Meisters, und als das Prinaip des Bösen hat Zanea sich in den Ganoven Swoboda verwandelt. Ruhm und königlicher Glanz werden zum dolce vita. Aber hier wie dort die Jagd nach dem Glück, der Fluch der Chance, die das Böse bietet, und am Ende als einzige Rettung das Erwachen, die Erkenntnis von der Nichtigkeit irdischen Besitztums. Die Analogie ist in allen Phasen durchgehalten, sehr stark und wirkungsvoll, und die sprachliche Zeitnähe ist durch den Dialekt hergestellt, in dem sich das trochäische Versmaß des Urbilds unversehens in einen Jazzrhythmus verwandelt.

Daß sich Wien die Uraufführung entgehen ließ, kam dem Salzburger Landestheater zustatten. Die Aufführung verdient jedes Lob. Das Bühnenbild von Ady Fuchs bietet dem Zuschauer Illusion und der Regie zwei Ebenen zur Ordnung des Handlungsablaufs. Karlheinz Strei-hing macht davon den besten Gebrauch und fügt dramatische Aktion, Opernhaftes, Revue- und Ballettszenen zu wechselvoll fließender Bewegung zusammen. Sehr eindrucksvoll die Choreographie Manfred Tauberts. Die größte Überraschung aber bereitete uns das Ensemble. Die Schauspieler sangen wie Sänger und tanzten wie Tänzer. Die Sänger spielten wie Schauspieler. Gerhard Mörtl war in der Rolle des Franz ein mitreißender Beherrscher der Szene. Die Vielseitigkeit dieses Schauspielers ist ebenso erstaunlich, wie die Fülle seiner Ausdrucksmittel und seine Intensität. Jovita Dermota war eine bezaubernde Mizzi und Robert Granzer als Swoboda eine treffend gestaltete Type. Auch alle andern erfüllten hohe Ansprüche. Wilhelm Pietschnigg leitete die Aufführung konzentriert und sicher. Vielleicht hätte er die dynamischen Effekte im Orchester manchmal etwas abschwächen sollen.

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