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Die Anfänge des Kosakentums

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Zum Buch von Günter Stökl: Die Entstehung d:s Kosakentums. Isar-Verlag, München. 191 Seiten

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Zum Buch von Günter Stökl: Die Entstehung d:s Kosakentums. Isar-Verlag, München. 191 Seiten

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Als dritten Band der Veröffentlichungen des Osteuropa-Instituts in München hat der Wiener Privatdozent Günter Stökl, einer der wenigen jüngeren Slawisten, die sich weiten, welthistorischen Fernblick bewahren, seine gründliche und in ihrem behutsamen Ergebnis durchaus treffende Darstellung eines der interessantesten Probleme nicht nur der osteuropäischen Geschichte erscheinen lassen. Gestützt auf eine umfängliche Kenntnis der gedruckten Quellen und der Literatur des Gegenstandes — dem Autor scheinen nur die einschlägigen türkischen Arbeiten unzulänglich gewesen zu sein; er kennt Werke in deutscher, englischer, französischer, russischer, ukrainischer und polnischer Sprache —, scharfsinnig in der Interpretation seines Materials und soziologisch, nicht aber parteimäßig-politisch wertend, seine Ansichten am Beispiel aus anderen Zonen überprüfend, gelangt der Verfasser zu folgendem Bild: im langgestreckten Grenzgebiet, das den polnisch-litauischen und den Moskauer Staat von den „tatarischen“ Fürstentümern scheidet, formt sich auf einer zunächst tatarischen Grundlage eine Mischbevölkerung, in der allmählich das slawische Element zu überwiegen beginnt. Sehr mit Recht weist Stökl für die Charakteristik dieser Menschen, der „Kosaken“, auf die Analogie mit dem Wilden Westen Nordamerikas hin, ferner auf die sogenannte Militärgrenze zwischen dem Habsburgerreich und dem Ottomanischen Padischahat. Den Slawen fällt dabei die Rolle der Westleute, den Tataren die der Indianer zu. So wie sich die „Lederstrümpfe“ Sitten und Gewohnheiten der Rothäute angeeignet haben, mit denen sie bald in grausamem Kampfe, bald in wandelbarer Freundschaft standen, so nahmen die Kleinadeligen, die Bauern und die anderen, aus Polen oder aus Moskau in die „Wilden Gefilde“ geflohenen Out-laws tatarisches Wesen an. Dabei hat, was Stöckl wiederum sehr mit Fug bemerkt, der religiöse, ja sogar der nationale Gegensatz eine geringere Rolle als bei der Symbiose von Menschen in geordneten Gemeinschaften. Durch diese Feststellung werden die mannigfachen, sowohl in politischer Absicht als auch in scheinbar gelehrter Verkleidung gegebenen Deutungen des Kosakentums als eines nationalen oder religiösen oder rein sozialen Phänomens zurückgewiesen, die in viererlei, einander strikt widersprechender Ab- scha.tvng vorgebracht worden sind. Die bürgerliche ukrainisch-nationalistische Schule — Hrusevskyj, Rudnyckyj, Krupnyckyj — sieht im Kosakentum völkische Helden des Befreiungskampfes wider die Polen, der Sonderart wider die großrussische Assimilierung und gegen die muselmanisch-türkisch-tatarische Barbarei. Die Kosaken bilden sozusagen das verbindende Glied zwischen dem als „ukrainisch“ abgestempelten Kiewer Staat, der durch die Mongolen überrannt und vernichtet wurde und der nationalen Wiedergeburt, dem Separatismus des 19. Jahrhunderts.

Die großrussische Schule älteren Datums hat in mehreren Variationen, als deren bedeutendste Verteidiger Slov’ev, KluCevskij, Platpnov und der Exilhistoriker Vernadskij auftreten, die Kosaken als ein, je nachdem sanft mißbilligtes, schüchtern gelobtes oder warm gefeiertes demokratisches Element des Gesamtrussentums betrachtet, das national und religiös zum lateinischen Polen der „Pane“ und zur islamischen Welt im Widerspruch stand. Die polnische Geschichtsschreibung vor dem zweiten Weltkrieg erblickte — voran A. Jablonowski, Korzon, Smolka, Rawita Gawronski und der von Stökl nicht genannte Pulaski — im Einklang mit einem russischen Einzelgänger Ljubavskij in den Kosaken allerhand mongolisch-tatarische Volkssplitter, zu. denen sich entlaufene „ruthenische“ Bauern und sonstiges Gesindel aus der Rzeczpospolita gesellten. Diese anarchisch-gewalttätige, raublustige Masse hat dann durch Ueberfälle im tatarischen Stile, sei es im Einverständnis mit der Krim, sei es als Konkurrentin dieses Raubstaats, die polnischen Ostgebiete bedroht und verheert, übrigens auch Züge gegen die Türkei unternommen. Den Höhepunkt erreichte diese Tätigkeit in den furchtbaren Schlächtereien, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts, unter Führung Bohdan Chmelinyckyjs Polen und Juden der Grenzprovinzen ausrottete und die sich im 18. Jahrhundert wiederholte. Literarischen Niederschlag hgt dieser Leitgedanke in den berühmten Romanen Sienkiewiczs „Mit Feuer und Schwert“, „Sintflut“ und „Herr Wolodyjowski“ gefunden.

Eine vierte Theorie ist die nun im gesamten Osten verpflichtende der Kommunisten. Darnach waren die Kosaken Helden des Klassenkampfes, der sich unterschiedslos gegen die polnische Szlachta, gegen die russischen Bojaren und Cinov- niki, gegen die türkischen und tatarischen Begs und Murzen wie sogar gegen die eigene kosakische Oberschicht reicher Atamane kehrte: So 1.1. Smir- nov, die neuesten Sammelwerke der Akademie zu Moskau. In diesem Sinne wird heuer die Dreihundertjahrfeier des Vertrages von Perejaslav begangen, durch den 1654 die Ukraine unter Chmelinyckyj ihren Anschluß an das Moskauer Zarenreich vollzogen hat.

Univ.-Prof. Dr. Otto Forst de Battaglia

Graf und Herzog. Roman um Meinhard II. von Tirol. Von Fanny Wibmer-Pedit. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln. 402 Seiten. Preis 60 S.

Eine unserer Alpenheimat innigst verbundene Dichterin, Frau Wibmer-Pedit, erscheint uns noch nicht genügend gewürdigt. Hier ist eine bedeutende Begabung am Werk, die das Epische an sich ebenso wie das Historische mit seltener Meisterschaft beherrscht. Die Fruchtbarkeit ihres Schaffens verleitet die Dichterin nie zu einer Verflachung und zu geistiger oder stilistischer Flüch-tigkeit. Es wäre gut, wenn ihre Tiroler Romane im ganzen deutschen Sprachgebiet starken Widerhall fänden, zum Nutzen der allgemeinen Wertung unserer eigenen Literatur und der Erkenntnis österreichischer Geschieht!. Ihr jüngstes Werk befaßt sich mit Meinhard II. von Tirol, seiner Umwelt und seiner Zeit, dem 13. Jahrhundert, dessen richtige geistesgeschichtliche Würdigung nicht oft genug empfohlen werden kann. Wir lernen Meinrads Großvater und Vater kennen, .wir hören von dem Aufstieg Rudolfs von Habsburg und von der Teilung der Tiroler Macht durch die Abspaltung der Görzer Linie des Albert und schließlich von dem Machtzuwachs des Tirolers mit seiner Erhebung zum Herzog von Kärnten. Prachtvolle Frauengestalten geben dem Ablauf der Handlung die Wärme des Gefühls. Man möchte der Dichterin nur raten, künftighin in der bloßen Aufzählung historischer Tatsachen etwas zurückhaltender zu sein; das trocken Chronistische wuchert an einigen Stellen zu hoch. Auch im Verschweigen liegt ja ein Mittel des künstlerischen Ausdrucks.

Besonderes Lob verdient die Sprache. Sie ist weder archaisch noch anachronistisch, sie bildet das rechte Medium für die Gestaltung einer Welt, die siebenhundert Jahre zurückliegt.

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