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Ein Ort kultureller Identität

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Doppeldeutigkeit des Museums zwischen Dienstleistungsbetrieb der Ereignisgesellschaft und Ort des kollektiven Gedächtnisses.

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Doppeldeutigkeit des Museums zwischen Dienstleistungsbetrieb der Ereignisgesellschaft und Ort des kollektiven Gedächtnisses.

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Wie wohl mit keinem anderen Ort verbindet sich so sehr die Vorstellung von dem, was ein Museum ist, wie mit dem Pariser Louvre. Mit seiner Gründung vor etwa 200 Jahren wurde jene Museumsidee etabliert, wie wir sie heute noch unseren modernen Museumsinstitutionen und unserem Denken vom Museum zugrundelegen.

Der symbolische Ort - das Museum wurde im französischen Königsschloß errichtet - und die symbolische Zeit der Eröffnung ~ am Tag des Revolutionsfestes vom 10. August 1793, das der „Regeneration der Menschheit" gewidmet war - weisen nicht nur dem Louvre-Museum, sondern der kulturellen Institution Museum gesellschaftspolitische Stellung zu: ab nun wird das Museum gedacht als Ort öffentlicher, kultureller Diskurse, der Formierung und der AVeitergabe von Bildung, der Bewahrung und Sicherung eines kollektiven Gedächtnisses.

Wenn heute der Louvre mit beträchtlichen Erweiterungen sich nachdrücklich als der Welt bedeutendstes Museum in Erinnerung bringt, so erneuert sich zugleich jene Dialektik, die mit seiner Gründung in Bewegung gesetzt worden war:

Die Dialektik von Nationalmuseum einerseits, dessen Kunstwerke und kulturelle Güter aus dem Bildersturm des „terreur" und aus Enteignungen von königlichem, feuda lern und kirchlichem Besitz so etwas wie kollektive nationale Identität vi-sualisieren konnten. Und Mensch-heitsmuseurn andrerseits, dessen universale Sammlungen unter anderem aus Annexionen von Kunstwerken und Kulturdenkmälern im Zuge der napoleonischen Feldzüge stammten. Als Abbild aller Kulturen aller Zeiten wurde es zum in ganz Europa bewunderten und studierten Versuch, das „kulturelle Erbe der Menschheit" zu versammeln und zu exponieren.

Die politische Instrumentaüsie-rung des Museums wird in der Neuinterpretation der kulturellen Identität der Nation sichtbar.

EIN SYMBOLISCHER ORT

Im Zuge der Umbauten des Louvre wurde eine archäologische Recherche gestartet, die bis hin zu den Fundamenten des mittelalterlichen Königsschlosses führt. Der Besucher steigt nun durch die berühmte gläserne Pyramide in die Tiefenschichten der Geschichte hinab, die ihn „zu den Ursprüngen" geleitet - aber auch zu den Museumsshops, Geschäften und Restaurants.

Diese Doppeldeutigkeit zwischen vielbesuchtem Massenmedium und Dienstleistungsbetrieb der Ereignisgesellschaft einerseits und sozialem Gedächtnis wie auch politisch-symbolischem Ort andrerseits, prägt den Wandel der Idee des Museums.

Für die anhaltende Bedeutung der politischen Instrumentalisierung mag der Hinweis auf die Gründung eines Deutschen Historischen Museiuns genügen. In der von den kulturellen Ambitionen der französischen Präsidenten inspirierten, gewissermaßen „persönlichen" Museumsgründung durch Helmut Kohl wird der spektakuläre Anspruch erhoben, die geschichtliche Identität der deutschen Gesellschaft zu historisieren — ein Projekt, das freilich nach der sogenannten Wende erheblich an Dynamik verloren hat. Der geplante großzügige Neubau wird nicht mehr verwirklicht.

Die Renaissance der politischsymbolischen Funktion des Museums findet ihren Niederschlag etwa auch im politisch motivierten Ausstellungsbetrieb sowie im Museum als zentrale städtebaulich-architektonische Bauaufgabe. Der lange, gerade auch um die Zeichenhaftig-keit der Architektur schwelende Streit um das sogenannte Museumsquartier in Wien ist dafür ein bezeichnendes Beispiel.

Dieses Wiener Projekt ist da nur eines unter vielen Museums„ufern" (Frankfurt), -„inseln" (Berlin - wo die Bauten des 19. Jahrhunderts saniert und zum Teil wiedererrichtet werden) oder -„foren" (Berlin).

„POLITIK DER EXPANSION"

Diese teilweise architektonisch beachtlichen Neubauten reagierten auch auf eine seit den späten siebziger Jahren wachsende Beanspruchung des Museums durch das Publikum. Es wurde mehr Museumsraum geschaffen, aber diese „Politik der Expansion", deren fragwürdiges Maß die Besucherzahlen waren und sind, ging nicht selbstverständlich mit innovativen strukturellen Änderungen einher. Am Beispiel der zahlreichen Museumsneugründungen der Stadt Frankfurt, deren Betrieb jetzt von drastischen Sparmaßnahmen betroffen ist, zeigt sich die zunehmende Unfinanzierbarkeit der entstehenden Kosten für Personal und Infrastruktur und damit die Grenze einer solchen Politik.

ANHÄNGSEL DES SHOPS

Die allmähliche Verwandlung des Museums zum Dienstleistungsbetrieb in der Ereignisgesellschaft setzt den ehedem statischen Sammlungsort durch rasch wechselnde Ausstel-lungs„events" gehörig unter Druck. Die Museen reagieren, was man auch beispielsweise an den österreichischen Bundesmuseen ablesen kann, damit, daß sie ihrerseits zum Veranstaltungsort einander rasch ablösender, für ein möglichst breites Publikum attraktiver Ausstellungen werden wollen.

Das aber ist eine Folge der Unterwerfung der Kultur, auch der Museen, unter wirtschaftliches Rentabilitätsdenken. Die Ökonomisierung der Kultur zwingt die Museen zunehmend, ihre gesamte Tätigkeit im Rahmen ökonomischer Effizienz zu Dianen, zu bewerten und zu „verkaufen".

Die ironische Charakterisierung eines amerikanischen Museumsleiters, daß das Museum zum Anhängsel seiner Shops werde, mag den Endpunkt einer Entwicklung markieren, die in Europa und in Österreich gerade erst eingeleitet wird: die gesetzlich ermöglichte, relative wirtschaftliche Autonomie der Museen gibt ihnen zwar Handlungsspielraum, drängt ihnen aber umgekehrt Verwertungsdenken auf. Die geplante Privatisierung zweier Bundessammlungen, des Bundesmobihen-depots und der Silberkammer - im europäischen Vergleich ein gänzlich unikaler Vorgang ~ revidiert den Öffentlichkeitsstatus des Museums grundsätzlich und stellt die Funktion des Museums als eigentümlichen kollektiven Erfahrungsort in Frage.

Inwieweit durch Musealisierung tatsächlich Erfahrungsprozesse historisiert werden können oder andernfalls dem Zerfall anheimfallendes Traditionsgut doch nur zum Besichtigungswürdigen stilisiert wird, ist fraglich.

Ein europaweit auffallendes Phänomen, das diesen Zwiespalt charakterisiert, ist die Gründung von Industriemuseen oder Veranstaltung von Ausstellungen zur Industriegeschichte als Reaktion auf die industrielle Strukturkrise mit ihren ökonomischen sozialen und kulturellen Folgen. Die Museahsierung ganzer Landschaften, die Ausdehnung des Museums auf ganze Regionen und soziale Milieus läßt mit Recht - und mit Skepsis - von einer „Musealisierung der Welt" sprechen.

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