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Neue Musik in Japan

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Wer mit europäisch-klassisch geschulten Ohren nach Japan reist, dem klingt die jüngste Musik dieses Landes so unvertraut wie die älteste. Seit rund 100 Jahren stehen Erziehung und Kultur des Landes im Zeichen des Meiji, was auf deutsch etwa „erleuchtete Regierung heißt. Es bedeutet die umstürzende Reform, die das Geistesleben des Landes 1868 durch den Kaiser Mutsuhito erfuhr. In diesen 97 Jahren haben europäische, amerikanische oder westlich geschulte Lehrer japanische Kinder und Studenten im Geiste abendländischer Traditionen unterwiesen. Die erstaunliche Leistung des Volkes besteht darin, daß es zwar die fremden Lehren mühelos adoptierte und sich zu eigen machte, dabei aber in seinem Wesenskern unverändert blieb. Die Einflüsse waren vielfältig, und namentlich in der Musik wechselten Deutsche, Franzosen, Amerikaner und abermals Deutsche einander ab. Daran war die Politik, waren die beiden Weltkriege nicht ganz unbeteiligt. Seit dem Beginn des Jahrhunderts sind wir mit japanischen Musikern und ihren Leistungen in Kontakt; seit den späten zwanziger Jahren kennen wir Schallplatten, in denen sich das moderne japanische Musikleben spiegelt.

Die Entwicklung hat sich in den letzten 30 Jahren überstürzt. Wenn noch 1930 der Klang japanischer Orchester und Singstimmen fremdartig und für unsere Begriffe unvorteilhaft von dem unserer Ensembles abwich, so ist heute kein Unterschied mehr festzustellen. Dabei haben sich die In-strumentalisten leichter gewandelt als die Sänger. Tokio verfügt heute über ein halbes Dutzend erstklassiger Symphonie-Orchester des amerikanischen Perfektionstypus. Sie spielen Beethoven und Mozart so geläufig wie Strawinsky und Webern. Neben ihnen aber lebt und arbeitet in esoterischer Abgeschlossenheit das alte Gagaku des kaiserlichen Hofes, eine Truppe von Musikern, die ihre traditionellen Instrumente, exotische Schwestern unserer Flöten, Oboen, Lauten und Zithern sowie die aus China stammende Mundorgel Scho virtuos beherrschen. Wünscht aber der kaiserliche Herr für europäische Gäste einen Mozart-Abend, so vertauschen diese Herren ihre farbenfrohen und barock gestickten Hofkostüme mit Frack und weißer Binde und holen aus den Schränken Geigen und Violoncelli, Fagotte und Hörner und was man sonst für die Jupiter-Symphonie braucht. Die Musik des Gagaku tueicht von der sonst in Asien überwiegenden Einstimmigkeit ab; sie enthält Akkorde und heterophone Formen von Zweistimmigkeit, ohne jedoch irgendeiner europäischen im geringsten zu ähneln.

Japans moderne Kunstmusik hat in den letzten beiden Generationen wechselnde Prägungen durch Einflüsse verschiedener europäischer und amerikanischer Schulen durchgemacht. Debussy und Strauss, Strawinsky und Hindemith, Schönberg und Berg, Webern, Messiaen und John Cage lieferten ihr die Modelle, von denen sich die begabtesten Japaner weit genug wieder frei machten, um eigene stilistische Wege gehen zu können.

Die neue japanische Kunst ist durch die furchtbaren Eindrücke des letzten Krieges vielfach beeinflußt worden. Et gibt da Kantaten gegen den Atomtod und alle Arten politisch engagierter Komponisten neben reinem l'art pour Vart. Buddhistische Gedanken und Zen-Lehre haben ihr Echo nicht nur bei Mayuzumi gefunden. Fast alle Komponisten, welcher Schule sie auch angehören mögen, zeigen eine Sicherheit des Handwerks, die sie bei internationalen Wettbewerben oft in die erste Reihe stellte. Individuelle Züge wird man bei ihnen nicht immer erkennen. Auch der japanische Charakter, wenn man ihn nicht in der ästhetischen Perfektion erkennen will, tritt oft gegen Technisches zurück. Doch wer Japan kennt und die Nuancen seiner alten Musik erlebt hat, wird das Gemeinsame in winzigen Eigenarten der Melodik und des instrumentalen Klangs spüren.

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