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Sdiiittbau und Hausform

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Der Verfasser des nachstehenden Artikels, Professor der Technischen Hochschule in Wien, 1st ein genauer Kenner und der österreichische Vorkämpfer der vor allem in Deutschland große Fortschritte machenden Säiüttbauweisen, die in Österreich durch ein Haus in Grinzing (1946) und das große Reihenhaus am Roten Berg (1947) Anwendung fanden. In den Ruinenmassen der deutschen Städte bedingt die Not der Zeit ein Bauen und Material, dem die bisher unter normalen Umständen gültigen Bauprinzipien vielfach gegensätzlich sind. Die hier folgende Veröffentlichung soll ėiiier Aüsspräche und, wenn möglich, einer Klärung der aufgerollten, auch für Österreich wichtigen Frage dienen.

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Der Verfasser des nachstehenden Artikels, Professor der Technischen Hochschule in Wien, 1st ein genauer Kenner und der österreichische Vorkämpfer der vor allem in Deutschland große Fortschritte machenden Säiüttbauweisen, die in Österreich durch ein Haus in Grinzing (1946) und das große Reihenhaus am Roten Berg (1947) Anwendung fanden. In den Ruinenmassen der deutschen Städte bedingt die Not der Zeit ein Bauen und Material, dem die bisher unter normalen Umständen gültigen Bauprinzipien vielfach gegensätzlich sind. Die hier folgende Veröffentlichung soll ėiiier Aüsspräche und, wenn möglich, einer Klärung der aufgerollten, auch für Österreich wichtigen Frage dienen.

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„Die österreichische Furche"

Ein Teil der stilistischen Zersplitterung, welche es bewirkt, daß fast an jeder Archi- tektürschule die Studenten nach verschiedenen Richtungen gezerrt werden, beruht auf der Vielfalt der heute zum Bauen benutzten Materialien Kargheit macht Stil, Überfluß Überflüssiges, Pomp und Hohlheit. Die Alten hatten es leicht, den Steinbalkenstil, die Gotiker den Steinrippenstil herauszubringen. Sie hatten nichts anderes. Die Römer verwirrte bereits die Vielart des Quader- und des Ziegelbaues, des Betons und des „Erzes“ zu konstruktiv monströsen Bauten wie das Pantheon, welches eine unaufrichtige Betonkuppel mit versteckten andersrhythmischen Ziegelrippen, naive klotzige Widerlager, Dachziegel aus Bronze und „erzene" Hohlbalken besaß. Analoges im rationalen Zeitalter bringt jede Bildzeit- scįrift hundertfältig. Der Mischstil, der vom gemischten Material kommt — und der’ die verhüllende Dekoration notwendig macht —, bringt es mit sich, daß die römische Ruine nur dann „erhaben“ wirkt, wenn die Bekleidungsstücke herabgefallen und die gewaltige Dimension des nackten Betonkerns zutage’ tritt. Bei den Griechen ist dies anders. Da sie (wie im völlig anderen Sinn der Barock) „echte“ Form machten, kommt es bei ihren Ruinen nicht zu dem Katzenjammer, dem eipst Professor Hoffmann drastisch Ausdruck gab, als er der vielgeliebten Oper in die zerstörten Eingeweide sah.

Der Schüttbau — nichtgestampfter Beton mit geringem Wasserzusatz — wird vielleicht die „echte“ Form bringen. Denn er ist optisch einfach. Er zwingt zur Strenge. An ihm kann man keine blechernen Rinnen mit Löwenköpfen anhängen. Löcher unter dem Gesims zu lassen, um gipserne Konsolen später hineinzustecken, ist bei ihm schwierig. Hölzerne, meterweit überstehende Sparren, drei- und vierfach wegen der Anpassung an die Landschaft mit Kantholz unterstützt, kommen nicht in Betracht, weil man die Dächer betonieren wird. Nicht einmal den halbrunden „Kuß der Muse“, den Segmentbogen von 1933, kann man ihm aufdrücken, weil die Bogenschalung zu der konsequenten Rationalität nicht paßt, Er verbietet auch das Schwingen und Biegen der Fassaden, überhaupt das Umspringen mit dem Baublock, als sei er aus Teig. Der Haupt- und Staatsaktion heutiger Architektur, dem Vor und Zurück kubischer Hausteile, ist er nicht hold. Er verlangt das klare Parallelepiped. Die einzige ästhetische Freiheit, die er gibt, ist das Belieben, die Fenster und Türen in schöner oder in häßlicher Proportion einzuschneiden, den Kubus im gefühlten oder im rücksichtslosen Verhältnis ztum Nachbarhaus, Fels oder Baum zu stellen und das Ganze in sich und zur Umgebung farbig fein oder ordinär zu machen. Dies scheint wenig zu sein, ist es aber nicht. Erstens, weil es eich nur auf die profane Architektur bezieht, zweitens, weil die früheren Profanstile es auch nicht anders machten, drittens, weil man die gebaute Weltanschauung am Haus des anderen — nicht am eigenen — satt hat.

Alle diese Beschränkungen, die die gebauten kubischen. Nettigkeiten — Erker, Risalite — wie die monströsen Bauklötze und runden Bäuche verbieten, kommen von der zum „Schütten“ notwendigen Schalung. Ob diese aus Drahtnetzen in Rahmen besteht oder aus Holz- oder Stahlblech oder Aluminiumtafeln — sie muß eben sein. Mit ebenen Tafeln kann man nur Par alle lepipede bauen. Selbstverständlich könnte man einen Bogen oder einen runden Erker mit Brettern so wie früher schalen. Aber das’neue Schalüngssystem wird an ein sehr strenges Gerüst gebunden, welches in gewissem Sinn die ordnende Wirkung der gotischen Joch- oder Trav 5-Teilung hat und sozusagen zum „Modul“ wird. In diese ebene Schalung schüttet man das Leichtmaterial zu steif miteinander verbundenen Wänden, Decken, Dächern. Das Haus hat keine Fugen. Der Betonierer zieht verschiedene Arbeitsvorgänge an sich, die der Stukkateur, der Zimmermann, der Rohrleger bisher dazu benutzte, den anderen warten zu lassen. Es geht schneller, das Haus ist wesentlich leichter und billiger.

Erfüllen sich die beschriebenen Möglichkeiten — woran zu glauben Grund ist —, so schlägt der Schüttbau zumindest in der Großstadt den Ziegelbau und den Skelettbau aus dem Felde. Was am römischen Bau als die Ursache der geringen Schätzung durch die Kunstgeschichte gerügt wurde, der Mischstil infolge Mischkon- s trukti on, wird mit der Entwicklung des geschütteten Bauens in den Hintergrund treten. Aus Preisgründen wird es kaum eine Wahl geben, aus Holz oder aus Ziegeln oder gar aus Stahl zu konstruieren. Die „indi? viduelle Art“, Spannweiten sehr groß oder sehr klein, die Fenster weit aufgerissen oder herzig, die Wände schief oder wie aus Brei oder mit nibelungischen Quadern zu machen, verbietet der die äußerst empfindlichen Platten berechnende Bauingenieur. Der Beton, der sich jeder Form bequemt, macht aus der ästhetischen Verachtung einen großen Schritt zum Flächentragwerk, zum Ganzbetonhaus, welches einfach und lapidar, charakterhaft wie der ägyptische Tempel seinem konstruktiven Wesen nach ist — wenn auch ungleich leichter und zierlicher.

Lassen wir jedoch die Metaphern. Stellen wir uns vor, wie schön es sein wird, wenn an den Häusern nicht Bogenloggien und Dreieckserkerkuben, wenn die Zimmerwände nicht mehr krumm sind, wenn überhaupt der Krampf mit den schiefen Wänden und den Schlangenlinienwänden, mit den bis. zum Badezimmer gläsernen Wänden, .mit den vom Maurer weiß angepatschten, dann wieder sargdeckelhaft-dunkelschwarzen Wänden, das Quaderwerk vom Pitti, das Balkenwerk von Hundings Hütte — wenn alles dies vorgestrige Mode ist! Wenn der Architekt weder verwegene Form noch gar verwegene Konstruktion zu machen beliebt, sondern einfach billige, nett proportionierte Wohnhäuser. Wie wird das von der Konstruktion zur Vernunft gezwungene Stadtbild — von der vordrängerischen Eitelkeit entkleidet — wieder klar und selbstverständlich, wieder ein „Gemeinwesen“ sein!

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