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Südtiroler Miniaturen

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Brixen, im Juni

Immer neue Ueberraschungen vermag Südtirol dem Kunstfreund zu bieten, denn es ist überreich an kostbaren Werken und hat noch dazu für die funkelnden Perlen der Kultur die großartige Fassung seiner herrlichen Natur. Die alte Bischofsstadt Brixen, an der noch nicht so viele moderne Bausünden begangen worden sind wie an Bozen, Meran u. a., seit nach 1918 im übrigen Italien wohl kaum zugelassene Baumeister sich hier austoben dürfen, und die ringsum bergan steigenden Dörfer bieten, sorgsam bewahrt und behütet, viele Kleinodien mittelalterlicher Kunst. Da sind die Flügelaltäre und Wandgemälde von Klerant, Mellaun, St. Andfä, das schöne Neustift, Schlösser, Ansitze, das historische Wirtshaus an der Mahr, das idyllische Vahrn, die Plose mit dem Kreuztalhotel und vor allpm die Stadt selbst.

Ist man durch die Laubcjv auf den Domplatz gekommen und nach kurzer Andacht im barocken Dom in den Kreuzgang getreten, der mit seinen leider schwer zu erhaltenden Fresken ein wahres Museum der gotischen Malerei in Südtirol ist, dann steht man schließlich vor dem Eingang zum Brixner Diözesanmuseum. Direktor Dr. Karl Wolfsgrube r, der naijh dem Tode des Gründers, Dompropstes- Adrian Egger, die Leitung inne- hat, hat die reichen Schätie des Diözesanmuseums nach modernen Methoden neu aufgestellt. Jeder Besucher ist überrascht von dem Reichtum an auserlesenen Plastiken und Gemälden aus romanischer, gotischer und barocker Zeit, insbesondere sei auf die romanischen und gotischen Madonnenplastiken, die Flügelaltäre — darunter einen als Werk des Bartholomäus Dill, eines Sohnes von Tilman Riemenschneider, der in Meran lebte, identifizierten —, die Goldschmiedearbeiten der Schatzkammer und die mehr als 1200jährige Albuin-Kasel, die als kostbare Textilie frühester Zeit jährlich sogar verschiedene amerikanische Besucher eigens nach Brixen führt, hingewiesen.

Aus , den reichen Beständen des Diözesanmuseums und des Diözesanarchivs hat Direktor Dr. Wolfsgruber mehrfach interessante Sonderausstellungen veranstaltet; heuer sind bis in den Oktober die illuminierten Handschriften Südtirols aus den Beständen des Diözesan- und Seminararchivs und des Archivs der Propstei Innichen ausgestellt.

An der Domschule in Brixen und im Augustiner-Chorherrenkloster Neustift befanden sich im Mittelalter die berühmtesten Schreibund Minierstuben Tirols. Die ausgestellten Kodizes zeigen die hochentwickelte Eigenart dieser Schreibstuben und auch ihre zeitbedingten Beziehungen zu iro-schottischen, donauländisch-süddeutschen und böhmischen Schulen. Das halbe Hundert der ausgestellten, mit prachtvollen Buchmalereien gezierten Handschriften beginnt mit einem Fragment aus einem Missale des’ 8. Jahrhunderts und schließt mit dem erst 1774 geschriebenen Missale von J. B. Kerer. Glanzstücke sind das Missale des Caspar Rauther, das’ Brevier aus dem Besitz des Patriarchen Ludwig von Teck von Aquileja, das sogenannte Cusanus- Missale und das Taistener Graduale aus dem 15. Jahrhundert. Interessant ist, daß die Brixner. Eigenliturgie mit 24 besonderen Festhymnen erst am Ende des 15. Jahrhunderts von der römischen Liturgie abgelöst wurde, damals entstanden drei große Gradualien für Brixen. In deutscher Sprache finden sich einige sehr schöne Gebetbücher, das St.-Johannis-Brudcrschafts-Buch von 1578 und ein außerordentlich schönes Tiroler Kalendarium aus dem 15. Jahrhundert mit einigen Monats- bildcrn.

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