Als die Neuzeit das Mittelalter ablöste

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"circa 1500": Die gemeinsame Landesausstellung von Tirol (in Lienz), Südtirol (in Brixen) und Trentino (in Castel Beseno) widmet sich einer Epoche des Umbruchs.

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"circa 1500": Die gemeinsame Landesausstellung von Tirol (in Lienz), Südtirol (in Brixen) und Trentino (in Castel Beseno) widmet sich einer Epoche des Umbruchs.

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Wie eine befestigte Stadt mit langer Umfassungsmauer, Türmen und Zinnen thront Castel Beseno lang hingestreckt auf einem Hügel. Die weite Sicht über das Etschtal zwischen Trient und Rovereto im Westen und auf bergiges Gelände im Osten war beste Voraussetzung zur Verteidigung dieser größten Wehranlage im Trentino an der Grenze des Deutschen Reiches. Und Beseno hat seine Schlacht gehabt, am 10. August des Jahres 1487. Allerdings eher ungefährdet, denn das Geschehen spielte sich an beiden Ufern der damals näher vorbeifließenden Etsch ab, als venezianische Reiterei durch eine kleine Truppe Tiroler Landsknechte erfolgreich daran gehindert wurde, für die Serenissima habsburgisches Territorium zu gewinnen.

Das an sich provinzielle Scharmützel, in dem der angesehene Condottiere Roberto da Sanseverino in den Fluten ertrank, ist als historisch wichtiges Ereignis in Erinnerung geblieben. Die Provinz Trentino, die sich mit der Schau "An der Grenze des Reiches" erstmalig an einer grenzüberschreitenden Landesausstellung beteiligt, bespielt mit der "Schlacht von Calliano" ihr vorzüglich in Stand gesetztes Castel, das für sich selbst Objekt par excellence ist, aber auch Schauplatz historisierender Events sein wird. Die räumlich und klimatisch bedingt kleine Schau zeigt unter anderem den in Mailand gefertigten Harnisch da Sanseverinos (Wien), die Votivtafel mit erzählerischer Darstellung des bei der Schlacht verwundeten Ludwig Klinkhammer (Stift Wien), sowie malerische alte Ansichten von Beseno und Umgebung.

Der martialischen Thematik in Castel Beseno stehen in den Ausstellungsorten Brixen/Land Südtirol und Lienz/Bundesland Tirol komplexe und sehr viel umfangreichere Präsentationen gegenüber. Unter dem Titel "circa 1500" verbindet die Gesamtschau "3 Länder und 3 Orte". Zwischen den einzelnen Stationen gibt es hier und da bereichernde Querzüge, geringfügige Überschneidungen. Allen Stationen gemeinsam ist die Beleuchtung jener Zeit zwischen 1450 und 1550, in der "Herbst des Mittelalters" und "Welt im Umbruch" aufeinandertreffen. Was beide Ausstellungen überaus lebendig macht, ist der konkrete Bezug zu Persönlichkeiten, die Geschichte gelebt und mitgestaltet haben: Nikolaus Cusanus, seit 1450 Bischof von Brixen beziehungsweise das auf Schloss Bruck/Lienz residierende Paar Leonhard Graf von Görz und seine Gemahlin Paola aus dem Hause Gonzaga in Mantua. Am Ende beider Ausstellungen steht die machtvolle Gestalt Kaiser Maximilians I.

"De ludo globi. Vom Spiel der Welt" heißt es in der Hofburg in Brixen, die in ihrem Innenhof den Besucher einlädt, auf einem sanften Rasenhügel eine konkav angeschnittene Kugel so auf den konzentrischen Kreisen des Spielfeldes zu plazieren, dass sie dem Punkt im Zentrum möglichst nahe kommt. Ihrer Form entsprechend läuft sie jedoch nicht gerade, sondern in Spiralen. Es ist also Übungssache, zur Mitte, die auch eine metaphysische Mitte meint, zu gelangen.

Nikolaus Cusanus bedient sich seiner Schrift "De ludo globi", 1463, ein Jahr vor seinem Tode veröffentlicht, in einem fiktiven Dialog zahlreicher Metaphern, um die Bemühungen des Menschen, sich der göttlichen Vollkommenheit anzunähern, darzustellen. Seine Rolle als Jurist und Kirchenmann, dem die Einheit der Kirche ein Anliegen war, als streitbarer Reformator und Forscher, dem Papst Pius II. "Unersättlichkeit des Geistes" vorwarf, ist eingebunden in eine Gesamtdarstellung der Epoche. Das neue Medium des Buchdruckes, unter anderem die wohl weltweit älteste erhaltene Buchdruckpresse, das zunehmend beliebte bürgerliche Porträt, Objekte der Volksfrömmigkeit, aber auch Zeugnisse von Hexenverfolgung, Ausländerfeindlichkeit und Judenhass sind einbezogen.

Die Ausstellung ist bestrebt, die vielfältigen Aspekte dieser an Widersprüchen reichen Zeit zu berücksichtigen. Eine Konzentration auf die herausragende Gestalt Nikolaus Krebs (Chryffs) aus Kues an der Mosel, dessen persönliche Stiftung in der Heimat vorzügliche Leihgaben wie den Bernkastler Altar beigesteuert hat, wäre allein genug gewesen, um Verharren in der Tradition und innovatives Denken in einer Gestalt vereint zu beleuchten, die "das Bild der Größe und Grenze des Menschen in seiner geistigen Schöpferkraft so bezwingend in den Mittelpunkt" stellt (Karl Jaspers 1964).

Mit "Leonhard und Paola. Ein ungleiches Paar" ist in Lienz den Veranstaltern eine Ausstellung geglückt, wie man sie sich nur wünschen kann. Im stimmigen Ambiente der kleinen und großen Räume im ausgezeichnet renovierten Schloss Bruck ist es gelungen, aus der Fülle erhaltener historischer Quellen und mit einer Vielzahl ganz unterschiedlicher Objekte eine aussagekräftige Präsentation zu gestalten. Es entsteht ein hervorragendes Bild jenes letzten Görzer Paares, in dem die unterschiedlichen Welten noch mittelalterlichen Rittertums einerseits und gebildeter, verfeinerter Kultur humanistischer Prägung zusammentrafen. Leonhard von Görz hatte große Sorge, seine zwischen Görz und Lienz zersplitterten Territorien vor dem Zugriff der Venezianer, der Türken und den Arrondierungsbestrebungen der Habsburger zu schützen. Die Heirat mit dem Hause Gonzaga versprach Schutz, Vermögen und vor allem den ersehnten Nachkommen. Die Übergabe der Mitgift zog sich hin, der Nachkomme war ihnen nicht geschenkt. Seine 20 Jahre jüngere Gattin starb früh, Leonhard mühte sich mit frommen Stiftungen und Verteidigungsbündnissen. Als der letzte Graf von Görz am 12. April 1500 stirbt, ist König Maximilian zur Stelle, um endlich die Lücke zwischen den habsburgischen Ländern zu schließen. Das "gedechtnus" an Leonhard begeht er mit einer Totenmesse im Augsburger Dom.

Kulturhistorisch von besonderem Interesse ist die umfangreiche Korrespondenz, die sich aus dem Hause Gonzaga mit Tochter beziehungsweise Schwiegersohn und Schwager erhalten hat, in deutsch, lateinisch oder italienisch. Italianita kam nicht nur mit Paolas Gefolge, darunter auch medicus und aromaticus (Gewürzkoch), sondern auch mit ihrer Aussteuer nach Lienz. Kostbare Truhen, die Leonhard später als Stiftungen vergab, Hausrat und Bekleidung und eine kleine, aber feine Bibliothek, zu der unter anderen Dante und Petrarca, ein Wörterbuch und ein Rechenbuch gehörten. Der rege persönliche Austausch zwischen Nord und Süd, zwischen den Kulturen, den Menschen sehr unterschiedlicher Lebenskultur verbindet die Vergangenheit mit den multikulturellen Aspekten der Gegenwart. Das Thema der selbstbewusst und selbständig sich bildenden, planenden und handelnden Frau, deren es im Rahmen dieser Landesausstellung zahlreiche Beispiele gibt, wäre einen eigenen Beitrag wert. Die Texte des umfangreichen Kataloges sind auch hierzu eine Fundgrube.

Bis 31. Oktober. Schloss Bruck, 9900 Lienz,Tel.: 04852-71500 Diözesanmuseum Hofburg, I-39042 Brixen-Bressanone/Südtirol,Tel.: 0039-0472-830505 Castel Beseno/ Besenello/ Trient, Tel.: 0039-0461-233770 Gemeinsame Homepage: www.1500circa.net

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