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Wieder einmal im Schlepptau

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Ludwig Boltzmann, Sigmund Freud, Julius Wagner von Jauregg, Robert von Lieben, Fritz Pregl, Karl Auer von Welsbach und Richard Zsigmondy sind jene Naturwissenschaftler, deren Physiognomien, begleitet von einer schlagwortartigen Würdigung ihrer Werke, in den Räumen eines villenartigen Gebäudes in der Ingle Road von Karachi seit Jahresbeginn 1970 zu bewundern sind — und von einem Teil der ein halbes Tausend zählenden deutschsprachigen Kolonie in Pakistans ehemaliger Metropole auch als Erinnerung an Heimat und Schulzeit gebührende Beachtung finden.

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Ludwig Boltzmann, Sigmund Freud, Julius Wagner von Jauregg, Robert von Lieben, Fritz Pregl, Karl Auer von Welsbach und Richard Zsigmondy sind jene Naturwissenschaftler, deren Physiognomien, begleitet von einer schlagwortartigen Würdigung ihrer Werke, in den Räumen eines villenartigen Gebäudes in der Ingle Road von Karachi seit Jahresbeginn 1970 zu bewundern sind — und von einem Teil der ein halbes Tausend zählenden deutschsprachigen Kolonie in Pakistans ehemaliger Metropole auch als Erinnerung an Heimat und Schulzeit gebührende Beachtung finden.

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München anläßlich des 100. Todestages Johann Wolfgang von Goethes ins Leben gerufen, hat in seinem kulturellen Expansionsdrang bereits 56 Staaten der Erde — also mehr als 40 Prozent — „erobert“ und in nun 38 Jahren nicht weniger als 117 Exposituren gegründet. Drei davon stehen allein auf pakistanischem Territorium, und die Filiale in der Dreimillionenstadt, der wirtschaftlichen Aorta des Landes, hat es unter dem Titel „Aufbruch ins 20. Jahrhundert“ im Rahmen einer Ausstellung übernommen, auch österreichische und schweizerische Geistesheroen in einem Zentrum ehemaliger und noch heute stark spürbarer britischer Kulturdominanz einem größeren Kreise zugänglich zu machen. Ein eigenartig anmutendes Bild, im Schatten von Palmen und Platanen ein Porträt mit den Zügen Hugo von Hofmannsthals zu erblicken, beim Lesen der Zeüen „his life was one endless battle against in-feriority...“ unter einem Bildnis des scharfzüngigen Karl Kraus das Bakschisch-Geschrei hungriger und zum Betteln erzogener Kinder noch entfernt zu vernehmen, beim Anblick Max Reinhardts („made German dramatic art world-famous“) von einer Budapester Ärztin, deren Odyssee über vier Kontinente in den Dienst der britischen Armee geführt und hernach in Karachi ein vorläufiges Ende gefunden hat, nach dem Spielplan der Wiener Staatsoper ausgeforscht zu werden oder beim Verharren vor Roiner Maria Rilkes düster-traurigem Gesicht von einer jungen Pakistanerin gefragt zu werden, ob man die „Sonette an Orpheus“ gelesen habe. Georg Trakl und Arthur Schnitzler begegnet man ebenso wie Johannes Brahms und Anton Bruckner, Gustav Mahler, Hans Pfitzner und Hugo Wolf rufen Österreichs kulturelle Tradition in Erinnerung, während sich angesichts Adolf Loos' die Elendsbehausungen am Stadtrand Karachis aus der Erinnerung nicht verdrängen lassen; vor Edmund Husserls Denkerstirne angelangt, stört ein Lautsprecherwagen, aus dem mit enormer Phonzahl auf den Hungerstreik dreier Angehöriger der „Socialist People's Party“ zur Erzwingung der Schließung des größten Nachtklubs Karachis aufmerksam gemacht wird, die Reminiszenz an seine „Logischen Untersuchungen“.

Bedenkliche Abstinenz

Österreichs sichtbare kulturelle Potenz versandet gegen Osten. Außer der Bosporuszitadelle Sankt Georg und dem österreichischen Kulturinstitut in Teheran sind keine nennenswerten Stützpunkte unseres Landes bis hin zum Fernen Osten vorzufinden. Bedenkt man, daß das Münchner Goethe-Institut allein in Indien sieben Filialen aufzuweisen hat (New Dehli, Kalkutta, Madras, Bangalore, Hyderabad, Poona und Rourkela) und daß sich nicht allzu viele Anlässe zur Dokumentation deutscher Kultur außerhalb der Bundesrepublik bieten, wie etwa jene Ausstellung in Karachi, wo Österreich als „Beiwagen“ auf Leistungen der Vergangenheit und damit gewissermaßen auch auf seine Existenz in der Gegenwart hinweisen kann, so stimmt die mangelnde Präsenz ähnlicher österreichischer Institutionen auf dem indo-pakista-nischen Subkontinent bedenklich. Wer aus wirtschaftlichen Gründen verständlicherweise nicht mit seinen Nachbarn in punkto großzügiger Wirtschaftshilfe konkurrieren kann, sollte nicht a priori auch auf kulturellem Gebiet einem Gnadenbrot der ökonomisch Stärkeren ausgeliefert sein. Denn bei allem Zusammengehörigkeitsgefühl der deutschsprechenden Staaten: Die nationalstaatlichen Relikte werden auch in Zukunft stark genug sein, um bei der Bewußtseinsbildung in den Entwicklungsländern neben eigener und fremden Glorie insbesondere den eigenen Vorteil im Auge zu haben.

Außerdem gibt es kaum eine bessere Möglichkeit für einen Kleinstaat, der, zum Unterschied von den Großmächten, ohne die Last einer politischen Hypothek, darangehen könnte, mit relativ bescheidenem finanziellem Aufwand eine erfolgversprechende Imagepflege (respektive Schafhing eines solchen) in gewissen — bisher ziemlich vernachlässigten Ländern — zu betreiben. Und es wäre nicht nötig, als kultureller Appendix Deutschlands in Asien zu vegetieren, so erfreulich es auch manchem scheinen mag, auf fremde Kosten ein Stück eigener vergangener Größe publik gemacht zu bekommen.

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