6681030-1961_44_06.jpg
Digital In Arbeit

Algerische Sturmflut in Paris

Werbung
Werbung
Werbung

Den überraschten Restaurateuren blieb keine Zeit, ihre Terrassen zu räumen und das Mobiliar in Sicherheit zu bringen. Wie eine Sturmflut — und doch unheimlich gebändigt — wälzte sich die gegen 2000 Köpfe zählende Masse von Arabern gegen das Zentrum von Paris und war plötzlich da, diszipliniert, aber unaufhaltsam. In die Schreie der Männer, Frauen und Kinder mischte sich das Geheul der Polizeisirenen.

Die Sicherheitskräfte versuchten, der Lage Herr zu werden. Es kam zu Zusammenstößen. Der Fahrer eines Polizeiwagens verlor die Nerven und schoß in die Masse. Andere Polizisten er- öffneten das Feuer jetzt ebenfalls. Die Demonstranten flüchteten sich in 1 lausflure und Metrozugänge. Zurück- bljeben auf dem regennassen Pflaster Tote und Verletzte. Nach Stunden noch sah man die Blutlachen, Kleidungsstücke, Kinderwagen, Scherben und Trümmer. Der heiße Wüstenwind des algerischen Wahnsinns war über Paris hinweggefegt.

Unglaubliche Bilder gruben sich ins Gedächtnis der Pariser. Der Triumphbogen — sonst nur an feierliche Zeremonien gewohnt — wurde Zeuge .häßlicher Szenen: Die breiten Trottoirs der eleganten Boulevards füllten sich mit Muselmanen, die ihres Abtransportes harrten: sie hatten die Hände hinter dem Nacken verschränkt. Andere waren — auch sie mit hoch erhobenen Händen — gegen die Gitter vor dem smarten Hotel Grillon an der Place de la Concorde aufgereiht und starrten in die drohenden Mündungen automatischer Waffen. Die Irren der Heilanstalt St. Anne wunderten sich möglicherweise, als die Polizei kurzerhand algerische Demonstrantinnen bei ihnen unterbrachte, die allerdings, von den verärgerten Ärzten durch eine Hintertür wieder freigelassen wurden, worauf die Polizei erneut auf sie Jagd machte … Den Parisern aber fuhr der Schreck in die Glieder. War es noch Paris? Oder war es Algier oder Oran? Jedenfalls ein Schauplatz algerischen Krieges…

Behörden bleiben den Terroristen an Brutalität nichts mehr schuldig.

Aber die Schärfe dieser Maßnahmen ist nicht geeignet, die Öffentlichkeit zu beruhigen. Sie vergrößert bloß die +++++ses. Sie hilft damit dem FLN nur noch, seine Autorität und Kontrolle über die 400.000 Algerier in Frankreich zu vervollkommnen. Schon taucht die bange Frage auf, ob die französischen Sicherheitskräfte überhaupt eine Generalmobilmachung der algerischen Massen in der Metropole zu bannen vermöchten.

Seit Jahren will man offenbar daran vorbeisehen, daß die Anwesenheit von Hunderttausenden Moslems in französischen Städten zu einer Gefahr werden könnte. Man hat keine Versuche unternommen, die Einwanderung zu drosseln: in erster Linie wohl deshalb, weil Baugewerbe und Industrie diese zusätzliche Quelle von Arbeitskraft nicht entbehren können. Dabei fehlt den algerischen Arbeitern jegliche Ausbildung: iie französische Sprache beherrschen sie nur mangelhaft, und Unbeholfenheit iri dieser für sie fremdartigen Umwelt stuft sie in die niedrigsten Einkommensklassen ein. Eine „Expatriierung” dieser Bevölkerungsgruppe würde die französische Wirtschaft zweifellos vor große Probleme stellen. Um so mehr, als die Anspannung des Arbeitsmarktes sämtliche Länder der EWG kennzeichnet.

Wohin mit den Algeriern?

Umgekehrt müßte der Wegfall dieser Verdienstmöglichkeiten für die algerischen Arbeiter und ihre in der Heimat zurückgebliebenen Familien ernste soziale Folgen haben. Die algerische Wirtschaft ist keineswegs in der Lage, die unaufhaltsam anwachsende Bevölkerung ausreichend zu beschäftigen und zu ernähren. Man schätzt die Zahl der in Nordafrika lebenden, aber indirekt von Verdienstmöglichkeiten in der französischen Metropole abhängi-

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung