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Am letzten Faden Gottes

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Hoch geht die zweite Woge des Neoverismo. Sie hat den Namen Federico Fellini und trägt uns jetzt zwischen „La Strada“ und „Le Notte di Cabiria"

Der Ausdruck „II Bidone“ hat sich v-on seiner ursprünglichen Bedeutung, „Feldflasche", „Kanister“, in der Volkssprache entfernt und dürfte bei uns am ehesten dem Begriff „Halunke“, „Erzgauner" entsprechen. Er ist im Film der Star einer gerissenen Bande, die im Priesterkleid arme Leute um den letzten Groschen bringt — ein ganz Ausgekochter also, vergleichbar nur mit den berüchtigten Heimkehrer- und Flüchtlingsschwindlern, die mit tiefster Not und lautersten menschlichen Regungen dreckige Geschäfte machen. Aber dieser Bidone zappelt noch an einem dünnen Fädchen des Herrgotts. Möglich, daß ihn die Schatten eines frühen Alterns und ein unverkennbarer Hang zum Meditieren aus der Reihe drängen, wahrscheinlicher, daß der Faden auch von oben etwas angezogen wird: kurz, in der Stunde des Anrufes tut er ein schlichtes Werk des Erbarmens — und fällt darob der erbarmungslosen Rache den Komplicen zum Opfer.

Ein harter, brutaler, aber nicht „gnadenloser” Film in irgendeinem sehr weit gefaßten Sinn ist er als „religiöser Film" anzusprechen, mit mehr Recht jedenfalls als jene vielen Filme, die schmucke, smarte Kostümpriester am Rande pikanter Szen- chen aufmarschieren lassen. Der Neoverismostil hat Schockwirkung das Bacchanal der Gauner, die verzweifelte Hoffnung der dann doch geprellten Barackenbewohner! und tanzt in seiner waghalsigen Exposition konstant auf dem schmalen Grat zwischen tiefer Frömmigkeit und Gotteslästerung. Doch ist die Grundhaltung über jeden Zweifel erhaben — der französische Film „Der Abtrünnige" schrieb auf gleichen krummen Zeilen sehr gerade und sauber! Großartig Broderick Crawford in der Titelrolle, fast ebenbürtig Richard Basehart und Giulietta Masina in Nebenrollen.

Der alte Neoyerismo hatte Gestalt. Fellinis Filme haben dazu noch: Gehalt.

In den Spuren des alten, unvergeßlichen „San- Franzisko"-Films wandelt eine französisch-japanische Gemeinschaftsarbeit Ives Ciampis mit großer Besetzung Danielle Darrieux, Jean Marais, Kishi Keiko: „I. iebe und Tai f u n auf N a g a s a k i“- Liebevolle Details aus dem japanischen Alltag und eine denkwürdige Kamerafährt durch die Hölle eines Wirbelsturms sind die Vorzüge des Films, eine sehr flächige Handlung und simple Lösung wie im amerikanischen Kodex endet „die Farbige“ im Dreieck durch Tod die Untugenden.

Noch einmal das Rassenproblem. Aber der amerikanische Film „Heiße Erde“ entrückt das Problem auf englisches Territorium in Westindien, obwohl im Grunde die Heimat der heiße Boden wäre, und verstellt das Thema auch sonst dürch allerhand entbehrliche Zutaten. Hinreißende Kamera, glänzendes Spiel. Gleiches "gilt für „Mord in den Wolken“, einen Reißer von nervenzehrender Brillanz.

Drei deutsche Filme geben in unterschiedlichem Milieu nette, anregende Unterhaltung: „Von allen geliebt“ im Salon, „Der schräge Otto" auf der Revuebühne. ,„D er Wilderer vom S i 1 b e r w a 1 d“ im Wald und auf der Heide.

Ein sonderbarer Stilbastard ist der amerikanische Streifen „Die Tierwelt ruft“. Er beginnt als Kosmoganie und endet mit einem Tierschutzappell: dazwischen, offenbar aus Abschnitzeln von Walt Disney, ganz reizende Geheimnisse aus Steppe, Schilf und Prärie. Das Tierischeste an dem Film: der verzweifelte Humor des deutschen Kommentators.

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